Sacklzement!. Katharina Lukas

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Sacklzement! - Katharina Lukas

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rief einer und der ganze Saal brüllte vor Lachen.

      Solcherlei gewohnt, ließ sich der Professor nicht beirren und predigte weiter.

      »Aber manchmal, da geschieht es, dass die Zeiten nach Helden verlangen. Und dann stehen die Mutigen unter uns auf. Meistens Menschen, von denen man es gar nicht erwartet. Helden aus dem Volke.«

      Die Bürgerversammlung wurde unruhig und man murmelte leise durcheinander. »Was redet denn der?«

      »Wen meint denn der?«

      »Was will denn der jetzt?«

      »1945«, fuhr der Professor fort, »war so eine Zeit. Als der Krieg verloren war, war das Morden noch lange nicht vorbei. Belegt ist, dass es im Nachbardorf Haunzenberg zu einem Haberfeldtreiben kam. Eine SS-Werwolfkompanie übte in den letzten Kriegstagen Lynchjustiz an vermeintlichen Antifaschisten, fünf Männern und einer Frau, verraten von ihren Nachbarn und denunziert als Volksfeinde.«

      Jetzt war es mucksmäuschenstill im Saal.

      »Sinnloses Morden, tragische Schicksale!«, rief er sichtlich zufrieden. Jetzt hatte er sie. Er wurde lauter. »Aber es gab Mutige, die sich diesem Wahnsinn widersetzten! Die Schluss machen wollten mit dem Schlachten! Auch in Hintersbrunn gab es solche aufrechten und mutigen Menschen. Einer davon war Josef Krans­eder, dessen Tagebücher ich in München mithilfe eines befreundeten Professors für Neueste Geschichte und Zeitgeschichte ausgewertet und nachrecherchiert habe.«

      »Der sonderbare Kranseder? Der Hinterwäldler?«, erinnerte sich laut einer der anwesenden Bauern und der Professor nickte.

      »Er und ein Gleichgesinnter, ein kleiner Landwirt namens Andreas Schmied, haben sich mutig den unverbesserlichen letzten Schergen des Nationalsozialismus entgegengestellt. Andreas Schmied hat dabei tragischerweise sein Leben verloren. Ermordet in der letzten Nacht des Dritten Reichs von …«

      »Halt’s Maul!«, schrie Django und stand von seinem Platz in der ersten Reihe neben dem Bürgermeister auf. »Du redest von meiner Familie! Mein Onkel war damals erst 15. Er wusste es nicht besser, wie viele damals. Dass du ihn jetzt nach so langer Zeit an den Pranger stellst, das werde ich nicht zulassen!« Django war hochrot im Gesicht.

      Der Professor schaute ehrlich bestürzt und in den hinteren Reihen brach Streit aus. »Es geht mir nicht um die Verurteilung der damals Verblendeten«, sagte er. »Ich möchte ein Mahnmal stiften. Eine Erinnerung an die mutigen Menschen des Widerstands aus euren eigenen Reihen! Damit nicht nur die Namen auf den Kriegerdenkmälern …«

      »Schluss!«, schnitt ihm Django erneut das Wort ab und blickte nach hinten. »Was damals passiert ist, war tragisch. Dass mein Onkel … fast noch ein Kind … dass er kurz vor Kriegsende den Schmied im Streit erschossen hat, das wissen alle im Dorf.«

      Ein paar der Dorfbewohner waren inzwischen aufgesprungen.

      »Aufhören!«, schrie einer.

      »Er hat seine Untat bereut und mit seinem Leben bezahlt«, versuchte Django die aufgebrachte Menge zu übertönen. »Hat sich am nächsten Tag, als die Ami-Panzer kamen …«

      Da schepperte es hinten im Saal. Der alte Bäckermeister war aufgestanden und hatte dabei seinen Stuhl krachend umgeworfen. Die ganze Versammlung drehte die Köpfe nach hinten, wo Erwin Starck bis dahin unbemerkt gewartet hatte. Jetzt stand er da und schnaufte schwer. Er beugte sich nach vorn, stützte sich auf dem Tisch ab und fegte dabei sein Bierglas um.

      »Der Vater war’s!«, stammelte er. »Nicht der Bub! Der Vater hat geschossen!«

      Dann fasste er sich an die Brust, fiel vornüber und die Hölle brach los. Die Dorfbewohner schrien wild durcheinander. Der Hund des Professors fing an, laut und dunkel zu bellen. Die Tischnachbarn des Bäckermeisters versuchten, den leblosen Körper vom Tisch auf den Boden zu legen, und nestelten an dessen Hemdkragen herum.

      »Einen Krankenwagen!«

      »Stabile Seitenlage, du Depp!«

      »Wasser! Wir brauchen Wasser!«

      Der Nandl, die gerade zur Saaltür hereinkam, flog das Tablett aus der Hand, und mehrere Biergläser fielen klirrend und spritzend zu Boden. Jemand hatte ausgeholt und aus Versehen sie getroffen. Inmitten der ganzen Aufregung um den Bäcker hatte sich in einer anderen Ecke des Saals ein kurzer Wortaustausch zu einer Schlägerei entwickelt.

      »Nazisau!«, schrie einer.

      »Nestbeschmutzer!«, rief ein anderer.

      »Du Arschkriecher!«, schimpfte einer, der sich die Faust rieb.

      Einer der Bauernsöhne drückte seinen Tischnachbarn gegen die Wand. Ein anderer hob einen Stuhl drohend in die Luft. Alois Münchinger blutete aus der Nase. Der Bräu duckte sich unter einen Tisch und tippte auf seinem Handy herum. Nur Professor Sackbauer und Django standen unbeweglich vor dem Tumult und schauten zu. Django ergriff die Gelegenheit und schnappte sich die Unterlagen des Professors. Da bellte ihn dieser Drecks­köter an und der dadurch alarmierte Sackbauer riss sie ihm wieder aus der Hand.

      Django hatte genug gesehen.

      Ein großer Stein sollte es sein, mitten am Dorfplatz, direkt vor dem Greimerbräu, wo ihn jeder sehen konnte. Für jedermann zu lesen sollte dort stehen:

      ZUM GEDENKEN AN ANDREAS SCHMIED, DER SICH DEN BEFEHLEN DES NAZISTISCHEN TERRORS WIDERSETZTE UND AM 30. APRIL 1945 DURCH NATIONALSOZIALISTISCHE MÖRDERHAND SEIN LEBEN VERLOR.

      ANDREAS SCHMIED STARB FÜR SEINE GELIEBTE HEIMAT. DIESE GEDENKTAFEL SOLL MAHNEND AN DIE SCHRECKENSZEIT DES NATIONALSOZIALISMUS ERINNERN.

      Es spielte keine Rolle, dass der Name Schickaneder darauf nicht erwähnt wurde. Die alte Geschichte wäre wieder präsent in den Köpfen der Hintersbrunner. Man würde wieder darüber reden. Darüber, dass die »nationalsozialistische Mörderhand« einem Schickaneder gehört hatte, seinem Onkel, der anderntags beim Einmarsch der Amerikaner ums Leben gekommen war. Und dann würde man – wie beinahe geschehen – auf das alte Familiengeheimnis um den wahren Mörder stoßen. Und vielleicht auf viel mehr …

      »Das ist ja der Hammer!«, entfährt es Gundi, als Liesi mit ihrer Erzählung von der Bürgerversammlung fertig ist.

      »Ich weiß nicht, was ich davon halten soll«, antwortet Liesi und nestelt am Verschluss einer zweiten Proseccoflasche.

      »Was hat denn mein Vater gemeint mit ›Der Vater war’s, nicht der Bub‹?«, fragt Gundi endlich.

      »Kennst du die alte Geschichte nicht, vom Schickaneder-Buben?«, fragt Liesi zurück.

      »Ich glaub, ich hab sie als Kind einmal gehört. Aber eigentlich weiß ich sie nicht mehr«, antwortet Gundi.

      »Also damals, wie die Amis in Hintersbrunn einmarschiert sind«, erklärt Liesi, »da hat einer der verbliebenen Söhne des Schickaneders auf die Panzer geschossen, während der ganze Rest vom Dorf die weißen Fahnen in die Fenster gehängt hat. Hat er nicht überlebt.«

      »Einer der verbliebenen Söhne?«

      »Ja, das ist eine tragische Geschichte. Ignaz Schickaneder hat im Verlauf des Krieges fast seine ganze Familie verloren. Seine Frau und zwei seiner Söhne. Und dann hat sich der dritte von den Amis erschießen lassen, wo der Krieg eigentlich schon vorbei war.

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