Schweigen über Köln. Maren Friedlaender
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»Ein paar Ungenauigkeiten, aber überwiegend gut gespielt«, kommentierte die Musikkennerin neben ihr.
Als Theresa ihr zustimmte, lachte die Tante und gab ihrer Nichte einen Klaps auf das Knie. »Heuchlerin, du hast durchgeschlummert. Weiterhin diese schlaflosen Nächte?«, fragte die Tante. »Ich mache mir Sorgen um dich.«
»Keine Angst, solange du mich mit ins Konzert nimmst, kann ich den Schlaf ja nachholen. In der zweiten Halbzeit bin ich topfit«, versprach Theresa.
Sie blätterte im Programm: »Piotr Anderszewski, Feingeist und Fabulierer am Klavier ist berühmt für seine Eigensinnigkeit, mit der er die Hörer entzückt, bisweilen auch verstört«, las sie vor. Das Klavierkonzert von Beethoven dudelte an ihr vorbei. Theresa hätte es auch nicht wiedererkannt, wäre es ihr bereits am Vortag vorgespielt worden. Musikalisch brauchte sie stärkere Kost. Strawinskys »Sacre du printemps« wühlte sie auf. Da war sie ganz Ohr und der Körper wollte tanzen. Bei Robert Schumanns Sinfonie Nr. 4 in d-Moll brummte das Handy in ihrer Jackentasche. Sie zog es verstohlen heraus, verdeckte den leuchtenden Bildschirm mit ihrem Schal und sah die Nummer ihres Kollegen Marco Bär, der die Grippe gerade überstanden hatte und wieder einsatzbereit schien.
Sie antwortete per SMS: »Bin im Konzert, was gibt’s?« Die Zuhörer in der Reihe über ihr fingen an zu zischeln. Peinlich. Sie hatte größtes Verständnis, aber die Alternative war, ihren Platz zu verlassen, an allen vorbei die steilen Treppen zu erklimmen, um draußen zu telefonieren. Das Theater wollte sie nicht erleben. Greise Musikliebhaber konnten sehr aggressiv werden.
Bärs Antwort erschien umgehend auf ihrem Bildschirm: »Mordfall!«
»Wo?«
»Friedrich-Schmidt-Str., Ecke Vincenz-Statz-Straße.«
»30 Min.«
Das Zischeln von oben wurde bedrohlich.
Schumann neigte sich dem Ende zu. Noch vor dem Einsetzen des Beifalls keifte die Musikliebhaberin aus der Reihe neun: »Unverschämtheit, das Konzert mit Ihrem Herumgespiele am Handy zu stören.«
Tante Clarissa, die Theresas Notsituation kannte, drehte sich empört um und donnerte der Kritikerin entgegen: »Sie ist bei der Mordkommission, und eines verspreche ich Ihnen, wenn Ihr Mann Sie demnächst umbringt, wird meine Nichte nicht auftauchen.«
»Das kann mir dann ja egal sein«, murrte die Alte und fiel danach in den Applaus ein.
Theresa setzte Tante Clarissa ins Taxi, gab dem Fahrer die Anweisung, die alte Dame bis zu ihrer Haustür zu begleiten, und fuhr danach direkt zum Tatort. Es war kurz nach 21.30 Uhr und kaum Verkehr auf den Straßen. Sie brauchte von der Philharmonie 15 Minuten hinaus nach Lindenthal.
Erinnerungen werden wach
»Schick!«, kommentierte Marco Bär und deutete auf die schwarze Pashmina, die die Kollegin zum blauen Hosenanzug trug.
»Für Beethoven«, lächelte die Kommissarin. »Auch Schumann, glaube ich.«
»Ach – wieder mal im Konzert geschnarcht?«, grinste Bär, der die Schlafprobleme seiner Kollegin kannte.
»Ja, dafür topfit für unseren Toten – oder ist es eine Tote?«
»Ein Toter – er sitzt dort im Wagen.« Bär zeigte auf einen dunkelroten Renault Megane am Straßenrand.
»Wo ist die Kollegin Burrenscheidt?«
»Grippe.«
»Gerade erst bei uns angetreten und gleich mal krank?«
»Karneval!«
»Ich kann’s nicht mehr hören. Karneval – ist das eine Krankheit?« Rosenthal war wütend. Erst feierten die Leute tagelang, und danach kam der Arzt.
Der eher gemütliche, aber sehr akribisch arbeitende Kollege Oliver Korte hatte sie verlassen. Er war nach Bielefeld gegangen. Bielefeld – gab es die Stadt überhaupt? Rosenthal kannte sie nur als Autobahnabfahrt.
»Ich vermisse Korte«, sagte die Kommissarin. »Was macht der bloß in Bielefeld?«
»Ich vermisse Korte auch, aber ich glaube, die Eva ist okay.«
»Eva ist die Burrenscheidt, oder was?«
»Ja. Sie hörte sich gestern wirklich total erkältet am Telefon an, will aber morgen trotzdem kommen.«
»Viren verteilen?«
»Theresa!«, ermahnte Marco Bär. »Gib ihr eine Chance.«
Rosenthal schaute sich am Tatort um. Durch den hektischen Aufbruch nach dem Konzert und die Verfrachtung von Tante Clarissa in ein Taxi kam sie erst jetzt zu sich. Ein ungutes Gefühl beschlich die Kommissarin. Die Szenerie. Der Tatort. Zufall?
»Was ist los?« Bär schaute seine Kollegin prüfend an.
»Wieso?«
»Du siehst gerade aus, als sei dir ein Gespenst begegnet«, erklärte Marco Bär besorgt.
»Nein, nein. Alles bestens.« Die Kommissarin beschloss, vorerst zu schweigen. Es war wichtig, dass das Team sich unvoreingenommen an die Arbeit machte. Sie ging hinüber zu dem Auto, das am Straßenrand, auf der Seite zum Stadtwald hin, parkte.
»Kopfschuss«, erklärte der junge Gerichtsmediziner, dem sie das erste Mal begegnete. Er hatte Schnupfen und verbrauchte ein Papiertaschentuch nach dem anderen.
»Ach was«, sagte Rosenthal trocken und begutachtete die Einschussstelle an der Schläfe eines Mannes mittleren Alters, vielleicht 50, der mit nach vorn gefallenem Kopf zusammengesackt und nach rechts gegen die Scheibe geneigt auf dem Beifahrersitz saß. Auf dem Schoß hielt der Mann eine Pistole. Sie zielte in Richtung Fahrersitz. Anscheinend war der Fahrer nicht getötet worden. Offensichtlich hatte er seine Waffe schneller gezogen.
»Wo ist Herr Bellutt?«, fragte sie den jungen Rechtsmediziner. Sie arbeitete gern mit dem alten Kollegen zusammen. Bellutt war nicht nur Pathologe, er war nach 30 Jahren Tätigkeit in der Rechtsmedizin auch zum Philosophen mutiert, berufsbedingt.
»Und Sie?« Rosenthal schaute den jungen Mann fragend an.
»Markus Czerny, ich bin neu in der Abteilung von Dr. Bellutt.«
»Rosenthal, willkommen. – Identität?«, wollte die Kommissarin wissen.
»Ich hab’ meinen Ausweis nicht …«, stotterte der junge Rechtsmediziner.
»Nicht Ihre Identität, die des Toten.« Theresa wusste selbst nicht,