Schweigen über Köln. Maren Friedlaender
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Monika Münzer griff in ihr schulterlanges blondes Haar, drehte die widerspenstigen Locken zu einem Zopf zusammen und steckte ihn hoch, eine Geste, die sie immer dann gedankenverloren wiederholte, wenn sie nervös war. Sie widerstand dem Impuls, ins Auto zu steigen, um zur Friedrich-Schmidt-Straße zu fahren, eine Strecke von 15 Minuten. No big deal, dachte sie, kurz mal schauen. Stattdessen hockte sie sich auf ihr Sofa, zog die Beine ganz nah an ihren Körper heran und wickelte sich den flauschigen Bademantel eng um den frierenden Leib, sodass sie zu einer kleinen Kugel zusammenschrumpfte. Wie damals.
Zwei Stunden später rief Müller zurück.
»Ich will nur wissen, ob du etwas damit zu tun hast?«, fragte Monika Münzer.
»Er lebte, als ich ihn verließ«, sagte Müller wahrheitsgemäß.
Mehr wollte sie nicht wissen.
Ein Kollege
Theresa Rosenthal und ihr Team steckten weiterhin fest im Fall des unbekannten Toten. Wie hieß es so schön: Recherchen in alle Richtungen. Endeten alle in Sackgassen. Sie überlegte, ihren Aachener Kollegen Michael Fett anzurufen. Michel – französisch ausgesprochen – nannte sie ihn seit einer gemeinsamen Untersuchung in Lüttich. Es tat gut, mit einem klugen Kollegen zu sprechen. Grund genug gab es, denn das Fahrzeug, in dem das Opfer lag, hatte ein belgisches Kennzeichen. Fett war oft grenzübergreifend tätig, hatte gute Kontakte zu belgischen Kollegen. Warum hatte sie ihn nicht früher angerufen? Theresa seufzte. Keine einfache Geschichte – sie und Fett. Lüttich. War ein paar Monate her. Sie hatten nicht nur ermittelt. Ein schöner Abend. Fett kannte sich aus in Lüttich. Abendessen in einem algerischen Restaurant. Wie hieß es gleich? Chez Rabah? Danach ins »Les Olivettes«, eine Bar chantant. Klavierspiel, alte französische Chansons, die Gäste sangen mit und danach. Hotel. Eine Nacht mit Michel. Peinlich? Nein, es war eine schöne – Theresa stockte. Doch, schöne Nacht, nur. Theresa lebte in dritter Ehe. Mit Georg. Drei Ehen sind genug, dachte sie, und Fett ist nicht der Mann für Spielchen. Sie hatte plötzlich große Lust, seine Stimme zu hören, seine klugen Gedanken, seine Sicht der Dinge. Die ganz eigene Sicht eines Eigenbrötlers. Ein berufliches Telefonat, redete sie sich ein und griff zum Hörer.
»Fett.«
Als seine Stimme durch den Apparat drang, war Auflegen der erste Impuls. Sie antwortete nicht sofort, wartete einen Moment zu lange, bis er erneut seinen Namen nannte und sie in gezwungen lockerem Ton sagte:
»Hallo, ich hörte nicht, wollte gerade auflegen. Hier ist Theresa.«
Sie war froh, dass ihr Kollege Marco Bär sich nicht in der Nähe aufhielt. Sein unverschämtes Grinsen hätte sie nicht ertragen. Bär war in mancher Hinsicht ein Kind, hatte aber ein feines Gespür für Stimmungen. Ihren gekünstelt heiteren Tonfall im Gespräch mit Fett hätte der Junge mit Spott quittiert.
»Theresa, welche Theresa?«, hörte sie Fett.
»Rosenthal«, antwortete sie verwirrt und wusste gleichzeitig, dass er sie auf den Arm nahm. Kleine Rache.
»Ah, Theresa, die schöne Vergessliche.«
»Michel«, stotterte sie. »Ich rufe dich an, also wegen …«
»Du willst sicher hören, wie es mir geht«, half Fett ihr.
»Ja, selbstverständlich, das vor allem.«
»Mal abgesehen davon, dass ich seit Monaten auf diese Nachfrage warte, doch ja, davon abgesehen geht es mir gut.« Fett lachte, was der Anklage die Härte nahm.
»Michel, du weißt …«
»Schön, wie du das sagst, Michel, habe ich vermisst. Und du?«
»Das Übliche. Es wird in Köln weiterhin gemordet. Und bei euch?« Sie war froh, dass sie sich ins Berufliche retten konnte.
»Ich hatte gerade einen Toten an einer Brücke hängen«, berichtete Fett. »Große Nummer bei uns in Aachen. Baulöwe.«
»Victor Neels oder so, nicht wahr?«
»Die Brücke, an der er hing, hieß Victor-Neels-Brücke«, erklärte Fett. »Neels war zehn Jahre lang Kommandant der belgischen Streitkräfte im Camp Vogelsang und bemühte sich in der Zeit um eine Annäherung an die lokale Bevölkerung. Ihm zu Ehren wurde die Brücke auf den Namen Victor Neels getauft. Hast du Lust auf eine Tatortbesichtigung? Ein schöner Ausflug in die Eifel. Wanderung um den Urftsee, Kaffee trinken bei Bernd Hilger auf der Staumauer. Grandioser Blick.«
»Hat Hilger zufällig auch ein paar Hotelzimmer?« Theresa war froh, dass sie zu einem lockeren Umgangston fanden. Ohne auf Fetts Antwort zu warten, fragte sie: »Habt ihr den Fall aufgeklärt?«
»Nein. Und ihr? Was ist mit dem unbekannten Toten am Stadtwald. Kommt ihr weiter?«
»Nein, Michel. Deshalb rufe ich an.«
»Ah, deshalb.« Seine Stimme klang enttäuscht. Sie widerstand der Versuchung, ihm etwas Tröstendes zu sagen.
»Du bist über den Fall informiert?«, fragte sie stattdessen.
»Ich weiß alles, was in der Zeitung stand.«
»Das ist auch fast alles, was wir wissen. Ungefähr alles. Es wird niemand vermisst, auf den die Beschreibung des Opfers passt. Die Spur nach Belgien verläuft im Nichts. Der Fundort gibt Anlass zu Spekulationen, aber …«
Sie war ratlos. Fett hörte das. Er wollte ihr gern helfen, etwas Kluges beitragen. Es fiel ihm nichts Kluges ein.
»Geht ihr an die Öffentlichkeit?«, fragte er, vor allem, um im Gespräch zu bleiben.
»Ich glaube schon«, antwortete sie zögernd. »Du kennst die Vor- und Nachteile. Es gibt die Chance, dass jemand das Opfer erkennt, aber du bekommst unendlich viele Anrufe, du weißt, von Wichtigtuern, gelangweilten Rentnern, Spaßvögeln und so. Viel Arbeit, ohne Erfolgsgarantie.« Sie schwieg.
»Theresa?«
»Ich bin noch da, Michel.«
»Es bringt niemand rein zufällig einen Mann um an der Stelle, an der die RAF damals Schleyer entführt hat. Wann war das genau? 1978?«
»77«, korrigierte Rosenthal.
Fett zögerte. »Es gibt einen Zusammenhang. Konzentriere dich auf die RAF-Spur. Das ist mein Rat. – Wenn du einen Rat willst.«
»Doch, ja, danke, Michel.«
»Und geht möglichst bald an die Öffentlichkeit, sonst wächst zu viel Gras über die Spuren.«
»Du kennst das Prozedere, Michel. Müssen wir uns genehmigen lassen.«
»Das klappt sicher. Du bist eine gute Polizistin. – Wir sollten wieder mal zusammen in Lüttich recherchieren. Da sind wir doch immer sehr erfolgreich.« Er