Midrasch. Gerhard Langer

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Midrasch - Gerhard Langer Jüdische Studien

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Beobachtungen zu machen. Die rabbinische Hermeneutik ist eine „Hermeneutik der Anknüpfungen“. Damit ist gemeint, dass die Rabbinen ihre Auslegungen zu einem großen Teil auf der Basis von Assoziationen treffen, die sie aus dem intertextuellen Zusammenhang des Bibeltextes erschließen. Solche Assoziationen können sich aufgrund von Stichwörtern ergeben, sie können auf der Wortebene, der Satzebene, der Textebene bestehen, können sprachlich oder auch inhaltlich bestimmt sein. Des Öfteren setzen sie eine bereits vorhandene Assoziation(skette) bzw. einen von den Rabbinen geschaffenen Zusammenhang voraus. Macht man sich die Mühe, längere Abschnitte zu analysieren, wird die klare Strukturierung und Logik der Argumentation häufig deutlich, auch die Auswahl der Traditionsstoffe, was bei einem Blick auf kleine und begrenzte Textteile mitunter nicht möglich ist. Assoziation meint hier das Gegenteil von Willkür und Zufälligkeit, was nicht selten fälschlicherweise mit dem Begriff verbunden wird. Um diese Fehlinterpretation zu vermeiden, sei die Bezeichnung „Anknüpfung“ gewählt, in der das „Textgewebe“ als enger Verbund deutlich vor Augen tritt.

      Hier seien einige wichtige Elemente an Beispielen erläutert.

      |58|Die Bedeutung eines Wortes wird intertextuell erhelltDie Bedeutung eines Wortes wird intertextuell erhellt:

      Die Identifikation des Ortes Morija, auf dem Abraham seinen Sohn opfern soll, mit dem Tempel wird in BerR 56.10 in Verbindung mit dem zentralen Stichwort „Sehen“ aus Gen 22,14 erläutert und mit anderen Texten mit „Sehen“ (mit Rückblick auf die Zerstörung und hoffnungsvollem Ausblick) verknüpft:

      Siehe: Gebaut, wie es heißt: „Dreimal im Jahr lasse sich sehen (jerae)“ (Dtn 16,16). „Wie man noch heute den Berg nennt: [JHWH lässt sich sehen (jerae)]“ (Gen 22,14). Siehe: Niedergerissen, wie es heißt: „über den Zionsberg, der verwüstet liegt“ (Klgl 5,18). „JHWH wird ersehen (jire)“ (Gen 22,14). Gebaut und vollkommen, wie es heißt: „Denn JHWH baut Zion wieder auf und erscheint (nira) in all seiner Herrlichkeit“ (Ps 102,17).

      Die Identifikation von Morija mit (dem Tempel in) Jerusalem ist bereits in 2 Chr 3,1 gegeben und liegt mit großer Wahrscheinlichkeit den Autoren von Gen 22 bereits vor. Die Rabbinen setzen diese Beziehung zu Jerusalem voraus, wenn in BerR 56.10 die Erzählung in Gen 14 mit der in Gen 22 verknüpft wird:

      Abraham nannte ihn „Er sieht“ (jire): „Und Abraham nannte den Ort JHWH sieht“ (Gen 22,14). Schem nannte ihn Salem: „Und Melchisedek war König von Salem“ (Gen 14,18). Der Heilige sprach: Wenn ich ihn jire nenne, wie Abraham ihn nannte, so wird sich Schem, der Gerechte, darüber beschweren; nenne ich ihn dagegen „Salem“, so wird wieder Abraham, der Gerechte, sich darüber beschweren. Ich nenne ihn mit dem Namen, mit dem beide ihn nannten: „Jerusalem“, jire schalem. R. Berechja sagte im Namen des R. Chelbo: Als er noch Salem hieß, baute dir der Heilige eine Hütte und betete in ihr, wie es heißt: „Sein Zelt erstand in Salem, seine Wohnung auf dem Zion“ (Ps 76,3). Und was sagt er darin? Möge es doch sein, dass sich mein Haus in vollendetem Zustand zeigen werde. Eine andere Auslegung: Das lehrt, dass der Heilige, gepriesen sei er, ihm (in einer Vision) das Heiligtum gebaut, niedergerissen und gebaut gezeigt hatte.

      In diesen Kontext der intertextuellen Auslegung gehören zahlreiche Beispiele, in denen ein Text aufgrund seiner Begrifflichkeit mit anderen Texten in Verbindung gesetzt wird, die auf den ersten Blick nichts mit ihm zu tun haben. In BerR 56.1 führt das Stichwort „am dritten Tag“ dazu, dass verschiedene biblische Belege miteinander in Beziehung gesetzt werden, in denen ebenfalls vom „dritten Tag“ die Rede ist. Dadurch entsteht ein neuer, von den Rabbinen gestifteter Zusammenhang mit dem Geschehen um Abraham und Isaak, in dem nicht zuletzt die Bezüge zum Sinai, die Geschichte Israels, aber auch die eschatologische Dimension des Isaakopfers anklingen bzw. verbunden werden:

      „Nach zwei Tagen gibt er uns das Leben zurück; [am dritten Tag richtet er uns wieder auf]“ (Hos 6,2). Am dritten Tag der Stämme: „Am dritten Tag sagte Josef zu ihnen: [Tut folgendes, und ihr werdet am Leben bleiben, |59|denn ich fürchte Gott]“ (Gen 42,18). Am dritten Tag der Gabe der Tora: „Am dritten Tag, im Morgengrauen, [begann es zu donnern und zu blitzen. Schwere Wolken lagen über dem Berg, und gewaltiger Hörnerschall erklang. Das ganze Volk im Lager begann zu zittern]“ (Ex 19,16). Am dritten Tag [der Kundschafter]: „[Sie riet ihnen: Geht ins Gebirge, damit die Verfolger euch nicht finden;] dort haltet euch drei Tage lang verborgen, [bis die Verfolger zurückgekehrt sind; dann könnt ihr eures Weges gehen]“ (Jos 2,16). Am dritten Tag der Heimkehrer aus dem Exil: „[Ich ließ alle an dem Fluss zusammenkommen, der an Ahava vorbeifließt.] Dort blieben wir drei Tage“ (Esr 8,15). Am dritten Tag des Jona: „Jona war drei Tage [und drei Nächte] im Bauch des Fisches“ (Jona 2,1). Der Auferstehung der Toten: „Nach zwei Tagen gibt er uns das Leben zurück, [am dritten Tag richtet er uns wieder auf, und wir leben vor seinem Angesicht]“ (Hos 6,2). Am dritten Tag der Ester: „[Am dritten Tag] legte Ester ihre königlichen Gewänder an“ (Est 5,1). Aus Verdienst ihres Vaterhauses. R. Levi und die Rabbanan: R. Levi sagte: Aus Verdienst des dritten Tages Abrahams: „Segnen sollen sich mit deinen Nachkommen alle Völker der Erde, weil Abraham auf meine Stimme gehört hat“ (Gen 22,18, abweichend vom Bibeltext). Die Rabbanan sagten: Aus Verdienst der Gabe der Tora.

      Die Verweise auf den Sinai oder das Schicksal Israels sind bereits den Autoren von Gen 22 wichtig. Sie werden also nicht erst von den Rabbinen in den Text eingetragen. Gleichwohl bereichern die Rabbinen (und einige Auslegungen vorher) den Text um weitere Aspekte wie die Errettung aus dem Tod oder die Folgen der messianischen Erlösung.

      Die Doppelbedeutung von BegriffenDoppelbedeutung von Begriffen wird ausgelegt:

      In BerR 55.4 knüpft man an „nach diesen devarim“ in Gen 22,1 an. devarim kann sowohl „Ereignisse“ als auch „Worte“ bedeuten. Versteht man es als „Worte“, so kann man fragen, auf welche Worte hier Bezug genommen wird. Daraus entsteht eine Selbstreflexion, die Schlussfolgerungen aus der bereits bekannten Geschichte Abrahams zieht:

      Nach was für Worten? Nach den Betrachtungen, welche Abraham dort angestellt hatte. Er sprach nämlich: Ich war erfreut und habe auch alle andern erfreut und ich habe dem Heiligen, gepriesen sei er, keinen Stier und keinen Widder dargebracht. Da sprach der Heilige, gepriesen sei er, zu ihm: Unter der Bedingung, dass, wenn dir gesagt wird: Bringe mir deinen Sohn dar!, du dich nicht entziehst.

      Die Beobachtung, dass Abraham noch nicht auf diese Weise geopfert hat, ist durchaus aus dem Bibeltext ableitbar. Die Reflexion stellt den Kontext zum Opfer her, der sich in Bezug auf Isaak nahe legt, aber vor allem dann Bedeutung bekommt, wenn der Ort Morija als Tempelberg und Ort der Opfer bereits im Hintergrund steht.

      |60|Die doppelte Bedeutung eines Wortes kann auch Gott als Entlastung dienen, wie in dem Fall aus BerR 56.8, wo der Begriff ala (im Hifil haʿalot) im Mittelpunkt steht, der sowohl „hinaufbringen“ als auch „als Opfer (ola) darbringen“ bedeuten kann:

      Abraham! „Meinen Bund werde ich nicht entweihen“ etc. (Ps 89,35). In der Stunde, in der ich dir sage: „Nimm [deinen Sohn]“ (Gen 22,2), „was meine Lippen gesprochen haben, will ich nicht ändern“ (Ps 89,35). Habe ich so zu dir gesagt: „Schlachte ihn“? Nein: „Bringe ihn hinauf (wehaʿalehu)“ (Gen 22,2). Jetzt bringe ihn hinunter.

      Gott wendet sich hier gegen den Vorwurf, seine eigene Bundeszusage (Gen 17,21; 21,12) in Frage gestellt zu haben. Die Mehrdeutigkeit der Schrift ermöglicht die Lösung des Konfliktes zwischen der Verheißung der dauerhaften und generationenübergreifenden Zuwendung Gottes und dem radikal drohenden Abbruch dieser Zuwendung durch das Opfer Isaaks. Erst aus dem größeren Kontext der Schrift wird der Konflikt überhaupt bewusst.

      In der Auslegung von Gen 22,13 in BerR 56.9 wird die Doppelbedeutung von achar als „hinten“ und „danach“ wichtig:

      „Als

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