Midrasch. Gerhard Langer

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Midrasch - Gerhard Langer Jüdische Studien

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(Sp. 466). Im letztgenannten Text geht es aber offensichtlich um mehr als nur ein Befolgen der Schrift, sie muss befragt werden, womit wieder der Aspekt der Gottesbefragung auftritt, der am Anfang der Bedeutungsgeschichte von darasch stand. Die Schrift ist Gegenstand der göttlichen Offenbarung. Die Befragung, ursprünglich vermittelt durch einen Propheten und direkt an Gott gerichtet, geschieht hier mittels der Lektüre und Analyse der Schrift. Dies ist noch kein Midrasch im späteren rabbinischen Sinn, wohl aber ein Schritt dorthin.

      In biblischer Zeit und während der Epoche des Zweiten Tempels tritt der Begriff darasch nicht in einem hermeneutischen Sinn, also als Auslegung von Schrift auf (vgl. dazu Mandel, Legal Midrash). Vielmehr ist es vor allem der Aspekt der Lehre, der im Vordergrund steht. Unter darasch ist zumeist eine (oft öffentliche) Instruktion von RechtInstruktion von Recht gemeint. In diesem Zusammenhang ist an die Institution des Schreibers, des Sofer, zu erinnern, die mit dem akkadischen tapschurru bzw. aramäischen safar in Verbindung gebracht werden kann, was Personen bezeichnet, die sich mit göttlichen Omina beschäftigten oder auch als Übersetzer/Vermittler tätig waren. In diesem Sinne ist |24|auch der jüdische Sofer als Übersetzer und Vermittler der göttlichen Botschaft zu deuten. In Einklang mit dieser Erkenntnis muss man Esr 7,10 wohl so übersetzen: „Denn Esra war von ganzem Herzen darauf aus, die Tora JHWHs zu vermitteln (li-drosch) und danach zu handeln und sie als Satzung und Recht in Israel zu lehren“. Bei Tora ist dabei eher von einem vorausgehenden autoritativen Text auszugehen als nur von mündlicher Übereinkunft. Die Vermittlung ist natürlich gleichzeitig eine Interpretation, eine Über-Setzung.

      Zweimal verwenden die ChronikbücherChronikbücher den Ausdruck Midrasch. In 2 Chr 13,22 ist davon die Rede, dass die „übrige Geschichte Abijas, sein Leben und seine Reden im Midrasch des Propheten Iddo aufgezeichnet sind“. 2 Chr 24,27 heißt es über König Joasch: „Weitere Nachrichten über seine Söhne, über die vielen Prophetensprüche gegen ihn und über die Wiederherstellung des Hauses Gottes sind aufgezeichnet im Midrasch zum Buch der Könige. Sein Sohn Amazja wurde König an seiner Stelle.“ Beide Male wird ein schriftliches Dokument als eine Sammlung von prophetischen Beschreibungen der jeweiligen Zeitepoche suggeriert, das mit großer Wahrscheinlichkeit von den Chronisten erfunden wurde, um ihre eigene „Wiedergabe“ der Geschichte als aus prophetischem Munde kommend zu etablieren.

      Im umfangreichen Textkorpus aus QumranTextkorpus aus Qumran tritt darasch in vielen Belegen auf, die hier nicht alle wiedergegeben werden können (vgl. dazu Maier, daraš, midraš). Nur wenige wichtige seien genannt. In 1QS VI.6 heißt es, dass an jedem Ort, wo es zehn Männer gibt, keiner fehlen soll, der doresch in der Tora Tag und Nacht. Maier deutet dies auf einen, „der bereit steht, um Rechtsbelehrung zu erteilen und Fragen zu entscheiden. Meist wird jedoch (wenig wirklichkeitsnah) an ein ununterbrochenes Torastudium gedacht“ (Sp. 733). Steven Fraade (Legal Midrash. In: Legal Fictions, S. 154) hält auch eine liturgische Funktion für möglich.

      Der Doresch ha-toradoresch ha-tora taucht als wahrscheinlich priesterlicher Begleiter des messianischen „Sprosses Davids“ auf; es könnte aber auch ein Toraprophet gemeint sein (4Q174 3.11; CD 7.18). In CD 6.2–11wird Num 21,18 („über den Brunnen, den Heerführer gruben, den die Edlen des Volkes aushoben mit dem Zepter – bimchoqaq“) ausgelegt, der Brunnen auf die Tora und das Zepter auf den doresch ha-tora gedeutet. Die Wurzel chqq bedeutet einschreiben/einhauen, anordnen. Der doresch ha-tora ist damit entweder einer, der ein Gesetz erteilt, oder vielleicht eher noch einer, der die Tora verkündet und vermittelt (vgl. Mandel, Legal Midrash; Origins).

      Begegnet Tora als Obj. von darasch, handelt es sich um judikativ-administrative Vorgänge bzw. Funktionen, d.h. es wird keine neue Tora erteilt und keine höchstgerichtliche Entscheidung verkündet, es geht vielmehr |25|um Rechtsfindung und Rechtspflege auf Grund geltender Tora […] „Gott suchen“ heißt demnach: eine zuständige Instanz befragen. (Maier, Sp. 734)

      Im Unterschied zur Selbsteinschätzung der Gruppe als dorsche ha-tora (4Q 177 10–11,5), als Sucher/Darleger von Tora, welche die richtige Meinung vertreten, werden manche Gegner als Dorsche ha-chalaqotdorsche ha-chalaqot, als „Sucher/Darleger von Glattheiten“ (Maier, Sp. 735) abgekanzelt. Damit könnten die Pharisäer gemeint sein (vgl. Schiffman, Pharisees). Auch hier ist weniger an eine geistige Durchdringung als an konkrete Auslegung und Lehre gedacht (vgl. etwa die Beschreibung in Jes 30,10: „Sie sagen zu den Sehern: Seht nichts!, und zu den Propheten: Erschaut für uns ja nicht, was wahr ist, sondern sagt, was uns schmeichelt, erschaut für uns das, was uns täuscht“).

      Der Begriff Midrasch begegnet als Midrasch ha-toraMidrasch ha-tora in der Gemeinderegel Serech le-ansche-ha-jachad 1QS VIII.15 (VIII.12: doresch) und der Damaskusschrift (CD 20.6); dort auch Perusch (Darlegung) ha-toraperusch (Darlegung) ha-tora (6.14; 13.6), Serech (Regel, Ordnung) ha-toraserech (Regel, Ordnung) ha-tora (7.8). 1QS VI.24 ist von einem Midrasch jachad die Rede, einer „gemeinschaftlichen Untersuchung“ (Maier, Sp. 736).

      Das Ergebnis, die Verkündigung des Urteils bzw. des Beschlusses, wird 1QS 8,25f. (4QSd 7,1) bemerkenswerterweise mit wa-jidroschu ha-mischpat „und verkünden das Urteil“ bezeichnet, und es wird vorausgesetzt, dass einer nach Verbüßung der Strafe in die Institutionen der Sitzung, Rechtsfindung (midrasch) und Beratung zurückkehren darf. (Maier, Sp. 737)

      Die zur Gemeinderegel gehörigen Fragmente 4Q256 (4QSb) Col. IX (Frg. 4) und 4Q258 (4QSd) Col. I (Frgs. 1a i,1b) beginnen mit: „Midrasch für den MaskilMidrasch für den Maskil (Lehrer) in Bezug auf die Männer der Tora, die sich selbst verpflichtet haben, von allem Bösen umzukehren und sich streng an alles zu halten, das er angeordnet hat […]“. Dies ist eine Variante zu 1QS V.1, wo vom serech für den maskil bezüglich der Männer der Gemeinschaft die Rede ist. Maier vermutet, da serech „term. techn. der Kult- und Militärsprache“ sei und eine „festgelegte bzw. niedergeschriebene Ordnung“ bezeichne (Sp. 736), dass mit Midrasch eine Niederschrift gemeint sei. In 4Q 174 (4QFlor) 1.14 ist in einer Überschrift zum gesamten Abschnitt (vgl. Steudel, Eschatologie, S. 46) die Rede von einem Midrasch zu Ps 1,1 (Midrasch me-aschre ha-ischMidrasch me-aschre ha-isch). Ob es sich dabei um eine „Auslegung“ handelt, bleibt umstritten. Maier denkt wieder eher an eine „Darlegung bzw. Niederschrift aus (einer Auslegung bzw. eines Peshers über) […] ‚Glücklich der Mann‘“ (Sp. 736).

      „Siehe, all dies ist geschrieben in Bezug auf die letzte Erläuterung der Tora (Midrasch ha-tora ha-acharonMidrasch ha-tora ha-acharon)“ begegnet in 4Q270 |26|(4QDe) Frag. 7 col. ii. (= 4Q 266 11). Damit könnte die eschatologische (vgl. Wacholder, Damascus Document) oder eher die letztgültige Verkündigung/Interpretation der Tora gemeint sein. Die Bemerkung hat als Unterschrift die Funktion einer „Überschrift“.

      Folgt man Maier und Mandel, so hat darasch in diesen Texten entgegen verbreiteter Deutung mehr mit Erläuterung und Vermittlung von Tora zu tun als mit dem forschenden Ausdeuten und Interpretieren des Textes, was in späterer rabbinischer Literatur die entscheidende Funktion des Midrasch sein wird. Allerdings findet bereits in den späten Schichten des Tanach und in Qumran ein Wandel im „Objekt“ des „(Auf)suchens, Erkundens“ (darasch) statt. War es im Anfang Gott (über Vermittlung eines Propheten), so ist es später die göttliche Weisung, die Tora. Die Qumrantexte fungieren somit als eine Art „missing link“ zum Midrasch.

      In Sira 51,3 begegnet bereits ein bet Midrasch, ein Lehrhaus, offensichtlich ein Ort, wo man sich Weisheit erwerben kann (51,25).

      Das bet ha-Midrasch der Rabbinen schließlich definiert sich vor allem durch das Studium der BibelStudium der Bibel (mSchabbat 16.1; mPesachim 4.4). Darschanim werden schließlich auch jene Personen genannt, die sich mit Bibelauslegung beschäftigen oder diese predigen.

      Ein Blick

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