Philosophie der Wissenschaft. Georg Römpp
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Natürlich kann diese Einigung immer wieder revidiert werden. Etwa können andere Teilnehmer zu diesem Dialog kommen und andere Gründe und Gegengründe vorbringen. Es gibt Teilnehmer, die neue Erkenntnisse vorbringen, d. h. sich auf bestimmte bereits als geltend anerkannte Teile des Wissens stützen. Dann kann der Prozess des Begründens neu einsetzen. Es kann auch sein, dass einem Teilnehmer etwas Neues einfällt, was dazu führt, dass die diskutierte Angelegenheit in einem ganz neuen Licht gesehen wird und der Prozess des Begründens neu beginnen kann. Wie ein solcher Prozess des Begründens ganz genau aussieht, kann man im Grunde vorher nie genau wissen. Aber die Begründung endet nie bei einer ‚Sache selbst‘ oder bei einem Machtspruch einer Instanz, die ‚die Vernunft‘ genannt werden könnte und unabhängig von diesem Prozess des Begründens besteht. Wir können also den folgenden Begriff der Vernunft formulieren: als Vernunft können wir eben dieses Geschehen der Begründung in einem offenen und dialogischen Prozess zwischen sprachfähigen Lebewesen auffassen.
1.5Vorschau: Wissenschaft und Wissenschaftsphilosophie
Wir haben mit einem einfachen und weithin akzeptablen Begriff von Wissenschaft begonnen und daraus einige Probleme entwickelt, die nicht mehr selbst als wissenschaftlich bezeichnet werden können. Sie betreffen in erster Linie das Begründen, ohne das wir keinen Begriff von Wissen formulieren können. Wissenschaft beansprucht, den Regress des Begründens stoppen zu können. Empirische Wissenschaft beansprucht, diesen Regress durch die Berufung auf Erfahrung als sinnliche Wahrnehmung beenden zu können. Damit hat es die Wissenschaftsphilosophie zunächst mit dem Problem der Wahrnehmung zu tun, d. h. mit der Frage, ob und wie das sinnliche Wahrnehmen zur begründenden Grundlage für das Wissen der empirischen Wissenschaft werden kann. Mit dieser Frage beschäftigen wir uns im 2. und 3. Kapitel. In ersterem geht es um die Frage, wie das Wahrnehmen zum Begründen werden kann und was das für den Anspruch der Wissenschaft bedeutet, Aussagen und Theorien über die Welt machen zu können, wie sie wirklich ist. In letzterem wird die Frage nach dem Wahrnehmen in Bezug auf das Experiment gestellt, das heute als die entscheidende Instanz für die Begründung wissenschaftlichen Wissens gilt.
Von den unter den Titeln ‚Wahrnehmung‘ und ‚Experiment‘ aufgeworfenen Fragen führt der gedankliche Weg notwendig auf die Problematik des Zusammenhanges von Sprache, Bedeutung und Welt. Unsere fragmentarische Untersuchung einer weitgehend akzeptablen Beschreibung von Wissenschaft zeigte bereits eine durchgehende Problematik, auch wenn wir sie nicht immer explizit ausgeführt haben. Es ist das Problem Sprache und Welt, das die wissenschaftsphilosophische Frage nach der Erklärbarkeit der Welt in der Wissenschaft (‚science‘) seit der Mitte des 20. Jahrhunderts entscheidend bestimmt. Sollen wissenschaftliche Feststellungen und Theorien die ‚Welt‘ und Sachverhalte in ihr so beschreiben können, dass sich darin nicht subjektive Vorstellungen und Gedanken der Wissenschaftler darstellen, sondern objektive und universell geltende Gesetze, dann muss die wissenschaftliche Sprache die Möglichkeit einer solchen Darstellbarkeit der Welt in sich selbst enthalten. Dieses Problem wurde rasch das Zentrum der Frage nach dem Geltungsstatus der Wissenschaft. Die Wendung der Philosophie zur Sprache (‚linguistische Wendung‘) bot zur gleichen Zeit die Grundlage für eine solche philosophische Auffassung der Wissenschaft, und die folgende Wendung zum sozialen Zusammenhang unseres Denkens, Wissens und Handelns (‚pragmatische Wendung‘) verstärkte diese Richtung des Denkens weiter. Umgekehrt war es gerade die Untersuchung der Fähigkeit einer wissenschaftlichen Sprache, die szientifischen Ansprüche auf Darstellbarkeit der Welt in der Sprache zu erfüllen, die wesentlich zu jener Wendung zur Sprache und nachfolgend zur Wendung zur Pragmatik der Sprachverwendung beigetragen haben.
Wir untersuchen dieses Problem von Sprache und Welt im Folgenden anhand der leitenden Fragestellung, wie Wörter und Sätze einer Sprache ihre Bedeutung erhalten (4. Kapitel). Das hat den Vorteil, dass auf diese Weise die Beziehung der wissenschaftlichen Sprache zur Welt dort deutlich wird, wo wir beanspruchen, die Welt zur Sprache zu bringen. Auf der Ebene von Wörtern oder auch Sätzen als sprachlicher Ereignisse, die wie andere Gegenstände auch in der Welt vorkommen, sei es in der Gestalt von Tinte oder Druckerschwärze auf Papier oder elektrochemischer Vorgänge auf einem Bildschirm oder akustischer Ereignisse in der gesprochenen Sprache, können wir offenbar noch nicht nach einer solchen Beziehung fragen. Erst wenn wir solche Gegenstände als Zeichen auffassen, gewinnen wir eine sprachliche Beziehung zur Welt und zu uns selbst. Damit ist aber auch schon das Problem der Bedeutung gegeben, weil die Zeichen uns nicht von sich her sagen, wofür sie Zeichen sind. Wir müssen sie deshalb erklärt bekommen.
Das kann etwa dadurch geschehen, dass wir für die Erscheinung eines bestimmten Tieres das akustische Ereignis ‚Hase‘ zu verwenden lernen. Wir werden sehen, dass ein Verständnis von Bedeutung nach diesem Muster viel zu kurz greift, um die Beziehung der Sprache zur Welt aufklären zu können. Das zeigt sich bei Wörtern für ‚intangible‘ Gegenstände wie Liebe, Hass, Wohlwollen, Furcht, es zeigt sich aber auch bei Wörtern wie ‚Universität‘, ‚Staat‘, ‚Wirtschaft‘ oder ‚Attraktivität‘. Hier müssen wir erklären, was sie bedeuten, d. h. andere Wörter an ihre Stelle setzen. Damit wird aber angenommen, dass wir verschiedene Wörter austauschbar gebrauchen können. Das ist ebenfalls die Annahme bei einer Übersetzung zwischen verschiedenen Sprachen. Die Zeichen ‚Hase‘ und ‚hare‘ können wir ebenso identisch gebrauchen wie ‚Hass‘ und ‚hatred‘. Was ist dieses Identische? Nun, so pflegen wir zu sagen: ihre Bedeutung. Wie wir die Bedeutung aber näher verstehen können, und wie wir damit das Verhältnis von Sprache und Welt näher aufklären können, das stellt eines der Probleme dar, das die Philosophie seit Mitte des 20. Jahrhunderts in Atem hält.
Wenn es mithilfe der Frage nach der Bedeutung gelungen ist, die Problematik der Frage nach dem zu verstehen, wovon die wissenschaftliche Sprache handelt, dann können wir besser informiert auf die Frage zurückkommen, die sich in dieser einleitenden Reflexion auf den Begriff der Wissenschaft schon sehr deutlich meldete. Wie geht die Wissenschaftsphilosophie auf ihrem gegenwärtigen Stand mit der Frage nach dem Realismus in Bezug auf wissenschaftliche Aussagen und Theorien um? Dieser Stand ist offenbar fundamental durch die Reflexion auf Bedeutung in der Sprache geprägt. Wir werden sehen, wie sich aus dieser Perspektive das sog. ‚Realismus-Problem‘ in Bezug auf die empirische Wissenschaft darstellt (5. Kapitel).
Es sollte bereits jetzt deutlich sein, dass die Philosophie der Wissenschaft kein Konkurrenzunternehmen zur Wissenschaft darstellt. Sie will also auf keine Weise ein ‚besseres‘ Wissen von der Welt entwickeln oder auch nur beschreiben, wie ein solches besseres Wissen auszusehen hätte. In der Regel geht sie davon aus, dass die Wissenschaften uns das gegenwärtig ‚beste‘ Wissen über die Welt zur Verfügung stellen. Aber sie belässt es nicht dabei, sondern stellt die Frage, was ein solcher Superlativ denn bedeuten solle, m. a. W.: nach welchen Kriterien sagen wir, es handle sich bei der Wissenschaft um das ‚beste‘ verfügbare Wissen? Wenn wir darauf antworten, es sei deshalb das ‚beste‘ Wissen, weil wir damit am erfolgreichsten in der Welt solche Zwecke erreichen können, die uns Vorteile bringen, so stellt die Philosophie der Wissenschaft eine andere Frage: was bedeutet dabei ‚erfolgreich‘ und sogar ‚erfolgreicher‘ als andere Ansprüche auf Wissen wie etwa aus älteren Wissensformen wie Erkenntnis aus reiner Vernunft, Interpretation heiliger Schriften oder auch aus Wissensansprüchen, die auch heute noch im Rahmen von Esoterik und sog. ‚alternativen‘ Erkenntnissen etwa in der Medizin auftreten? Und dann stellt sich die weitere Frage, in welchem Zusammenhang dieses Kriterium des Erfolgs