Tourismus in Wirtschaft, Gesellschaft, Raum und Umwelt. Andreas Kagermeier

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Tourismus in Wirtschaft, Gesellschaft, Raum und Umwelt - Andreas Kagermeier

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Leicester nach Loughborough, bei der auch Verpflegung enthalten war. Ziel der Reise war die Teilnahme an einer Abstinenzlerveranstaltung. Auch wenn es sich bei dieser ersten Fahrt also um kein klassisches touristisches Motiv handelt und das Ziel des Veranstalters auch nicht im Gewinnerzielen lag, wird bis heute in den Tourismuswissenschaften als eine Art Mythos diese Fahrt als der Beginn der Pauschalreise angesehen. Diese Interpretation ist sicherlich davon geprägt, dass von Thomas Cook in der Folge ein – 2019 in die Insolvenz gegangenes – Reiseunternehmen gegründet wurde, das als Innovator im Bereich der Pauschalreisen gilt. Es bot Reisen aufs europäische Festland, in die USA oder nach Ägypten bis hin zu einer Weltreise als Komplettpaket für relativ günstige Preise an – ein Image, das der den Namen bis heute weiterführende Reisekonzern immer noch pflegt (vgl. Kap. 3.1.1).

      Als ein Beispiel für den Ansatz, das Privileg von Urlaubsreisen – zumindest in der offiziellen Propaganda – auch für weitere Kreise der Arbeiterschaft zu öffnen, soll die NS-Organisation „Kraft durch FreudeKraft durch Freude (KdF)“ (KdF) genannt werden.

      Mit dem Ziel der Bindung der „Volksgemeinschaft“ an das NS-Regime wurde nicht nur der KdF-Wagen als Pkw für breite Schichten der Bevölkerung proklamiert (der dann während des 2. Weltkrieges als Kübelwagen an unterschiedlichsten Kriegsschauplätzen eingesetzt wurde und nach dem Weltkrieg als VW Käfer seinen Beitrag zu einer breiten Motorisierung der Bevölkerung leistete), sondern von KdF auch Ferienreisen organisiert. Neben dem Bau von Kreuzfahrtschiffen (unter anderem der „Wilhelm Gustloff“, die dann während des 2. Weltkriegs als Lazarettschiff eingesetzt und 1945 während der Evakuierung Ostpreußens versenkt wurde) wurde auf Rügen zwischen Binz und Sassnitz mit dem Bau des Seebades Prora begonnen. Mit der geplanten Kapazität von 20.000 Betten und der kompakten Bauweise entlang der Strandlinie kann das Tourismus-Resort Prora bis zu einem gewissen Grad als Vorläufer der späteren Erschließung der italienischen und spanischen Mittelmeerküste angesehen werden. Gleichzeitig ist KdF ein extremes Beispiel für die ideologische Instrumentalisierung des Tourismus.

       Box 5 | Kraft durch Freude (KdF) als Wegbereiter des Massentourismus Massentourismus und die politische Instrumentalisierung des Tourismus politische Instrumentalisierung des Tourismus

       Ideologische Zielsetzung der NS-Organisation

      „Alles das, was wir tun, dieses Kraft durch Freude, alles, alles, alles dient nur dem einen, unser Volk stark zu machen, damit wir diese brennendste Frage, dass wir zu wenig Land haben, lösen können. Wir fahren nicht in die Welt hinaus zum Spaße, ich habe nicht einen Reiseverein gegründet, das lehne ich ab (…) nein, damit sie Nerven bekommen, damit sie Kraft haben, dass, wenn der Führer einmal diese letzte Frage lösen wird, dann 80 Millionen in höchster Kraft hintreten vor ihn“ (Robert Ley, der Leiter der NS-Organisation „Deutsche Arbeitsfront“ (DAF) auf einem KdF-Schiff im Sommer 1938).

       Seebad Prora auch als verdeckte Kriegsvorbereitung

      „Die Idee des Seebades ist vom Führer selbst. Er sagte mir eines Tages, dass man nach seiner Meinung ein Riesenseebad bauen müsse, das Gewaltigste und Größte von allem bisher Dagewesenen … Es ist der Wunsch des Führers, dass in der Mitte ein großes Festhaus entsteht … Der Führer gab gleichzeitig an, dass das Bad 20.000 Betten haben müsse. Alles soll so eingerichtet sein, dass man das Ganze im Falle eines Krieges auch als Lazarett verwenden kann“ (Robert Ley 1935).

      Textquelle: Dokumentationszentrum Prora (2010, Mappe C, Q68)

      Während dem sog. „Kalten Kriegs“ in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, der vom Wettstreit zwischen dem kapitalistischen und dem sozialistischen System geprägt war, wurden Reisen auch als Erfolgsindikator für die Überlegenheit der jeweiligen Systeme mit angesehen und insbesondere in den sozialistischen Ländern bewusst auch als Instrument zur Belohnung systemtreuer Personen eingesetzt.

      1.2.2 Theoretische Konzepte

      Die Tourismuswissenschaften als relativ junge Disziplinen, die sich aus ihren „Mutter“-Disziplinen heraus entwickelt haben und entwickeln, sind hinsichtlich der analytischen Konzepte einerseits noch stark von den „Mutter“-Disziplinen geprägt und andererseits in einem intensiven Austausch und Wechselspiel untereinander. Dementsprechend werden in der Tourismusforschung auch methodische und konzeptionelle Ansätze aus unterschiedlichen anderen Disziplinen adaptiert und umgesetzt. Vollkommen eigenständige theoretische Konzepte sind bislang in den Tourismuswissenschaften erst begrenzt entwickelt worden.

      Im Folgenden werden exemplarisch einige theoretische Konzepte vorgestellt, die die Grundprinzipien in der tourismusgeographischen Herangehensweise veranschaulichen.

      Der britische Geograph Peter HAGGETT (1983) beginnt seine Einführung in die Geographie mit dem bekannten Kapitel „On the beach“. Am Beispiel eines Strandabschnitts werden ausgehend von den naturräumlichen Grundlagen (feiner Sand, sumpfige Areale) und den Zugangsmöglichkeiten die Verteilung der Menschen in diesem Raumabschnitt und die dafür wirksamen Aspekte entwickelt. Mit der zeitlichen Perspektive auf den Tagesverlauf wird deutlich, dass zunächst günstig gelegene Strandabschnitte belegt werden und erst wenn diese weitgehend gefüllt sind, auch weniger günstig gelegene Abschnitte von den Badegästen aufgesucht werden.

      Die Überlegungen von HAGGETT können ergänzt werden um weitere subjektive Aspekte. So wird ein Liebespaar, das möglichst ungestört sein möchte, sicherlich andere Bereiche des Strandes aufsuchen als z. B. eine Familie mit Kindern, für die die Nähe zum nächsten Eisstand ein mögliches Entscheidungskriterium sein könnte. Aber auch die Frage wo eine zweite Strandbar – möglichst nahe an der ersten, um Agglomerationsvorteile zu nutzen oder möglichst exzentrisch zu dieser – angesiedelt wird, lassen sich anhand dieses simplen Beispiels entwickeln und so die zentralen Paradigmen der (Tourismus-)Geographie aufzeigen: die Analyse der durch das Handeln der Menschen im Raum entstehenden räumlichen Muster, die Beeinflussung des Handelns durch Rahmenbedingungen, und die Gestaltung der Rahmenbedingungen. Gleichzeitig wird deutlich, dass der Blickwinkel auf das Wechselspiel zwischen Angebot und Nachfrage ausgerichtet ist.

      1.2.2.1 Standort-/Destinationsbezogene Konzepte

      Stellvertretend für auf die Standorte bzw. die Destinationen bezogene Konzepte werden in diesem Abschnitt drei Ansätze vorgestellt:

      1 Die Theorie der Zentralen OrteTheorie der Zentralen Orte von CHRISTALLER als Beispiel für die Verteilung von Angebotsstandorten.

      2 Das Polarization ReversalPolarization Reversal-Konzept als Beispiel für die geplante Intervention in Raumstrukturen.

      3 Der DestinationslebenszyklusDestinationslebenszyklus von BUTLER als Beispiel für die Adaption grundlegender ökonomischer Ansätze in der Tourismusgeographie.

      Theorie der Zentralen Orte von Christaller

      Theorie der Zentralen OrteDieZentrale Orte (Theorie) ursprüngliche Zielsetzung der Arbeit von Walter CHRISTALLER (1933/1968) war, eine systematische Erklärung für die unterschiedlichen Größen von Städten zu finden. Als zentrale Schlüsselgröße identifizierte er die Verteilung von Dienstleistungen. Für die Nachfrage nach Dienstleistungen sah er den Raumüberwindungsaufwand (aufgefasst als Zeit-Kosten-Mühe-Relation) als zentrale Größe an. Je weiter entfernt ein Angebot von den potentiellen Nachfragern ist, desto weniger häufig wird dieses nachgefragt (vgl. Abb. 4).

      Abb. 4:

      Idealschema einer NachfragekurveNachfragekurve

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