Tourismus in Wirtschaft, Gesellschaft, Raum und Umwelt. Andreas Kagermeier

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Tourismus in Wirtschaft, Gesellschaft, Raum und Umwelt - Andreas Kagermeier

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Bereitschaft zur Raumüberwindung hängt dabei auch von der Wertigkeit der nachgefragten Dienstleistungen ab. Für eine des Öfteren nachgefragte Leistung, wie z. B. den Besuch eines Freibades oder eine Wanderung am Wochenende ist die Distanzüberwindungsbereitschaft geringer als z. B. für den Besuch einer Wellness-Therme oder eine mehrwöchige Trekking-Tour. Gleichzeitig gibt es Dienstleitungen, die von breiten Teilen einer Bevölkerung nachgefragt werden (z. B. Kinovorführung), und solche, die nur von Wenigen nachgefragt werden (z. B. Ballettaufführung). Grundprämisse von CHRISTALLER ist, dass sich Angebote so im Raum verteilen, dass möglichst wenig Konkurrenz besteht. Aus der Nachfragekurve (vgl. Abb. 4) ergeben sich kreisförmige Einzugsbereiche. Damit keine unterversorgten Gebiete von nebeneinander liegenden kreisförmigen Einzugsbereichen zurückbleiben, wird von CHRISTALLER ein hexagonales Wabenschema als sowohl Anbieter als auch Nachfrager zufrieden stellendes Verteilungsmuster von Einzugsbereichen entwickelt (vgl. Abb. 5).

      Abb. 5:

      Idealschema des Systems der Zentralen Orte (Quelle: eigener Entwurf nach CHRISTALLER 1968)

      Unmittelbar einsichtig ist bei diesem Konzept auch, dass die technische Entwicklung von Verkehrsmitteln und deren Verfügbarkeit einen direkten Einfluss auf die Nachfrageorientierung besitzt. Jede technische Innovation, von der Eisenbahn über den privaten Pkw bis hin zum Flugzeug hat die Reichweite für Freizeitaktivitäten erhöht. Mit der weiten Verbreitung von privaten Pkws wurden die Aktionsradien genauso erweitert wie durch die Preisreduzierungen im Luftverkehr durch die sog. Low Cost Carrier (vgl. Kap. 3.1.3) in den 1990er Jahren. Der Einzugsbereich eines (freizeit-)touristischen Angebots ist damit keine feste kilometrische Größe sondern hängt auch von der für die Raumüberwindung aufzuwendenden Zeit, der damit verbundenen Mühe und den aufzubringenden Kosten ab. Als Faustformel wird z. B. bei Angeboten für Tagesausflüge davon ausgegangen, dass das Einzugsgebiet sich auf den Quellraum erstreckt, von dem aus das Angebot (z. B. ein Freizeitpark) innerhalb von zwei Stunden zu erreichen ist. Während vor der Verfügbarkeit von motorisierten Verkehrsmitteln für einen Tagesausflug nur wenige Kilometer zurückgelegt worden sind, ist es mit den Low Cost Carriern prinzipiell möglich für einen Tagesausflug auch nach Mallorca oder in eine der europäischen Metropolen zu fliegen.

      Das ursprünglich als reines Analysekonzept entwickelte Zentrale Orte-Schema wurde seit den 1970er Jahren dann auch normativ gewendet und intensiv in der räumlichen Planung eingesetzt. Insbesondere im Bereich der Freizeitstättenplanung wurde von der öffentlichen Hand das Prinzip der Daseinsvorsorge auf den Grundlagen von Christaller umgesetzt. Aber auch bei privatwirtschaftlichen Investitionen (z. B. in Musical-Theater) wird auf die Überlegungen zu den Einzugsbereichen und der Mitbewerberanalyse zurückgegriffen.

      Polarization Reversal Ansatz von Richardson

      Das Konzept des Polarization ReversalPolarization Reversal Ansatz von RICHARDSON (1980) versucht regionale Wachstumstheorien und Polarisationstheoretische Ansätze zu verknüpfen. Ursprünglich am Beispiel der sog. Entwicklungsländer formuliert, geht die grundsätzliche Beobachtung davon aus, dass zu Beginn eines Entwicklungszyklus zunächst Konzentrationsprozesse stattfinden mit der räumlichen Konzentration auf wenige Standorte. Erst wenn Agglomerationsnachteile (z. B. durch eine zu große Nachfrage in Destinationen) auftreten, werden zentrifugale Kräfte wirksam und bislang periphere Standorte von der Entwicklungsdynamik erfasst, bis sich am Ende ein ausgeglichenes Raumgefüge einstellt (vgl. Abb. 129 in Kap. 7.3).

      Die Zielsetzung von RICHARDSON war, aufzuzeigen, dass dieser Prozess des Ausgleichs von Polaritäten durch gezieltes staatliches Handeln beeinflusst werden kann. Damit wurde er zu einem der wichtigen Ansätze für den staatlichen Anspruch des Ausgleichs von Disparitäten und der Entwicklung von peripheren Räumen. Mangels anderer ökonomischer Potentiale wird für periphere ländliche Räume oftmals die touristische Inwertsetzung als Option zur Stimulierung der Regionalökonomie angesehen.

      Das Grundprinzip der Entwicklung peripherer Regionen durch touristische Investitionen wurde vom VORLAUFER 1996 veranschaulicht (vgl. Abb. 6). In der Anfangsphase (gedacht als erste Hotelinvestition) kommt der Großteil der benötigten Ressourcen für den Bau und Betrieb (von den Lebensmitteln bis hin zu Klimaanlagen und deren Wartung) von außerhalb der Destination (je nach nationalem Entwicklungsstand auch von außerhalb des Landes). Die zunehmende Nachfrage (gedacht als Ausbau der Hotelkapazitäten) führt dazu, dass sich nach und nach Zulieferbetriebe – zunächst für einfachere Leistungen, wie z. B. Lebensmittel und sukzessive auch für höherwertige Bedarfe – in der Destination ansiedeln. In der Folge entsteht eine eigenständige, sich selbst tragende wirtschaftliche Entwicklung von ehemaligen PeripherregionenPeripherregion.

      Abb. 6:

      Schema der Ausbildung von Linkage-EffektenLinkage Effekte bei der touristischen Erschließung von Peripherregionen (Quelle: eigene Darstellung nach VORLAUFER 1996, S. 166)

      Auch wenn es sich hier um ein idealtypisches Schema für den Entwicklungsländertourismus handelt (genauer in Kap. 7.3) das in der Realität auch von weiteren Rahmenbedingungen abhängt, folgen diesen Grundüberlegungen auch viele Ansätze zur Förderung des Tourismus im ländlichen RaumTourismus im ländlichen Raum der Industriestaaten (vgl. z. B. REIN & SCHULER 2012).

      Destinationslebenszyklusmodell von Butler

      Der britische Tourismusgeograph Richard BUTLER übertrug 1980 ein vorher im Bereich der Industriegüter verwendetes Modell zum Produkt-Lebenszyklus auf die Entwicklung von Destinationen. Ausgangshypothese ist hierbei, dass touristische Regionen – ähnlich wie Industrieprodukte auch – einem regelhaft verlaufenden Innovations-Reife-Niedergang-Zyklus unterliegen. Dabei werden folgende Stufen unterschieden (vgl. auch Abb. 7).

      Abb. 7:

      Grundprinzip des Destinationslebenszyklus (Quelle: eigene Darstellung nach BUTLER 1980)

      1 ErkundungErkundung: In einer ersten Phase wird eine Region nur von einer geringen Zahl von Touristen besucht, die eine Art Pionierfunktion übernehmen und das Gebiet wegen bestimmter Anziehungspunkte aufsuchen. In dieser ersten Phase verfügt das Zielgebiet nur über eine unzureichende, lediglich gering ausgebildete touristische Infrastruktur.

      2 ErschließungErschließung: In einer zweiten Phase werden (oftmals motiviert durch die bereits vorhandene Nachfrage) mit der systematischen Schaffung touristischer Infrastruktur die Rahmenbedingungen für die weitere Entwicklung verbessert.

      3 EntwicklungEntwicklung: Vergleichbar einer Phase des Take Off, setzt nun eine boomartige Entwicklung ein, die auch von einem verstärkten Engagement externer Investoren gekennzeichnet sein kann. Dabei machen sich gelegentlich auch Anzeichen einer Übernutzung der Ressourcen bemerkbar.

      4 KonsolidierungKonsolidierung: Geringer werdende Zuwachsraten, d. h. eine rückläufige Entwicklungsdynamik und wenig neue Impulse, kennzeichnen die Konsolidierung.

      5 StagnationStagnation: Sind trotz kleinerer Oszillationen der Nachfrage keine generellen Zuwächse mehr zu verzeichnen, ist die Tourismusregion in die Phase der Stagnation eingetreten. Häufig treten ökologische und soziale Probleme der touristischen Inwertsetzung jetzt stärker in den Vordergrund.

      6 ErneuerungErneuerung oder NiedergangNiedergang: Während die Phasen 1 bis 5 empirisch an einer Reihe von Fallbeispielen nachvollzogen werden können, ist bislang noch relativ unklar, welche weitere Entwicklung touristisch intensiv erschlossene Regionen nunmehr nehmen können. Abgesehen von der prinzipiell denkbaren Stagnation auf hohem Niveau, ist eine weitere mögliche

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