Ökologie der Wirbeltiere. Werner Suter

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Ökologie der Wirbeltiere - Werner Suter

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für oxidative oder reduktive Reaktionen. Die quantitativen Bedürfnisse nach Spurenelementen sind allgemein noch wenig untersucht; man nimmt an, dass die meisten Arten an die Versorgung in ihrem Verbreitungsgebiet angepasst sind. Regionaler Selenmangel (und auch lokaler toxischer Selenüberschuss) ist etwa aus Teilen Nordamerikas und im südlichen Afrika bekannt, scheint aber nur auf größere Herbivoren gewisse Auswirkungen zu haben, etwa über erhöhte Mortalität von Jungtieren; auch Kupfermangel kann sich ähnlich auswirken (Robbins 1993; Karasov & Martínez del Río 2007). Bei insektenfressenden Vögeln Australiens hat man nachgewiesen, dass die von ihnen bevorzugten Arthropodengruppen (Käfer, Schmetterlinge, Heuschrecken und Spinnen) nicht nur höhere Gehalte an Rohprotein und Fett aufwiesen als weniger häufig gefressene Gruppen (Zweiflügler, Hautflügler und Libellen), sondern noch ausgeprägt höhere Gehalte an allen elf analysierten Makro- und Mikroelementen (Razeng & Watson 2015).

      Ähnlich den Spurenelementen sind Vitamine in der Nahrung nur in kleinsten Mengen vorhanden, für Tiere aber unverzichtbar. Vitamine sind relativ komplexe organische Verbindungen, weisen darüber hinaus aber keine engere chemische Verwandtschaft auf und werden vor allem wegen ihrer ähnlichen Funktionen als Koenzyme unter einem Begriff zusammengefasst. Vitamine sind normalerweise essenziell, das heißt von Tieren nicht (oder nicht in genügender Menge) synthetisierbar. Vitamin C (Ascorbinsäure) ist teilweise eine Ausnahme, da die meisten Säugetiere, Vögel, Amphibien und Reptilien es synthetisieren können; manche Arten haben aber im Lauf der Evolution diese Fähigkeit bereits wieder verloren. Vitaminmängel sind bei wild lebenden Tieren schwierig nachzuweisen und scheinen vor allem dort vorzukommen, wo Populationen auf kleine Gebiete (zum Beispiel kleine Inseln) mit eingeschränkter Nahrungswahl zurückgedrängt worden sind. Wie weit ein Syndrom bei Vögeln im Gebiet der Ostsee, das zu Lähmungserscheinungen und oft zum Tod führt, auf einen Mangel an Thiamin (Vitamin B1) zurückgeführt werden kann, ist umstritten (Balk et al. 2009; Sonne et al. 2012).

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      Abb. 2.11 Auch Frucht- und Samenfresser sind auf zusätzliche Quellen von Natrium-, Kalium-, Magnesium- und Kalziumverbindungen sowie andere Minerale angewiesen. Grünflügelaras (Ara chloropterus) besuchen wie viele weitere neotropische Papageien Lehmlecken (clay licks) an steilen Flussufern, deren Gehalt an Natrium gegen 4-mal höher ist als in umliegenden Böden und etwa 6-mal höher als in der Nahrung. Neben der Bedeutung als Natriumlieferant mögen auch detoxifizierende und andere Wirkungen des Lehms eine Rolle spielen, besonders für Herbivoren, deren Nahrung durch einen hohen Gehalt an sekundären Pflanzenstoffen charakterisiert ist (Brightsmith et al. 2008; Powell et al. 2009).

      Im Gegensatz zu den bisher behandelten Nahrungsbestandteilen, die in irgendeiner Form der Ernährung dienen, sind Sekundärstoffe (secondary metabolites) Stoffe, die Pflanzen und Tiere als Abwehrstoffe gegen Prädation respektive Herbivorie produzieren. «Sekundär» bedeutet, dass sie in der Regel in der Pflanze keine primäre metabolische Funktion innehaben. Unter den Tieren sind es viele Invertebraten, aber auch Fische, Amphibien und sogar einzelne Vögel, die solche Stoffe – oft Neurotoxine – synthetisieren oder aus ihrer eigenen Nahrung gewinnen und sie dann im Körper akkumulieren. Die größte Vielfalt an Sekundärstoffen wird aber von Pflanzen produziert, vor allem von Dikotylen, viel weniger von Monokotylen (Gräsern), die zum Schutz gegen Frass eher Siliziumkristalle einlagern (Box 2.5). Die Konzentration an Sekundärstoffen ist artspezifisch und bei vielen Pflanzenarten in älteren Blättern hoch, bei anderen hingegen in jungen Zweigen. Dazu kommen Schwankungen nach Jahreszeit oder Jahr, aber auch individuelle Unterschiede. Da die Produktion mit Kosten verbunden ist, geht sie beim Nachlassen von Fraßdruck zurück. Die Wirkung der Tausenden bereits bekannter Sekundärstoffe reicht von geschmacklicher Wirkung (Bitterstoffen) über verdauungshemmende bis zu toxischer Wirkung; diese muss aber nicht für alle Konsumentengruppen gleich sein. Was zum Beispiel toxisch für Insekten sein kann, mag für Säugetiere neutral wirken. Der Abbau der Toxine geschieht durch die Mikroben im Verdauungstrakt (Kohl et al. 2014).

      Schneckenhäuschen sind für viele Vögel wichtige Kalziumquellen vor der Eibildung, denn Vögel können keine größeren Kalziumvorräte im Körper anlegen. Weil Landschnecken auf sauren Böden geringere Dichten als auf kalkreichem Untergrund erreichen, können sie die Dichte von Singvögeln in natürlicherweise kalkarmen Gebieten limitieren. Nachdem Forscher in niederländischen Wäldern auf sandigen Böden Rückgänge im Bruterfolg bei Singvögeln feststellten, wiesen sie nach, dass Eier öfter zerbrachen, weil die Dicke der Eischalen abnahm. Dies wiederum war auf einen Rückgang in der Häufigkeit der Landschnecken zurückzuführen, der seinerseits durch den anthropogen bedingten sauren Regen verursacht wurde (Graveland & van der Wal 1996; Graveland & Drent 1997).

      Geiernestlinge müssen ihren Kalziumbedarf durch Knochenfragmente decken, die ihnen die Eltern füttern. Diese stammen in der Regel von Knochen, die vorgängig von größeren Säugern zerbissen wurden. Nach der Ausrottung von Löwen (Panthera leo) und Hyänen (Crocuta, Hyaena) auf dem Farmland in Südafrika konnten sich die Kapgeier (Gyps coprotheres, ähnlich den Arten in Abb. 2.9) zwar weiterhin vom Fleisch von totem Vieh ernähren. Da die Knochen aber nicht mehr durch Großprädatoren aufgeschlossen wurden, fehlte es an verfütterbaren Knochen, und aufgrund des Kalziummangels litten die Geiernestlinge vermehrt an Knochenmissbildungen (metabolische Osteodystrophie, «Rachitis»). Bei Kolonien in Wildreservaten mit Großprädatoren war dies nicht der Fall (Richardson et al. 1986).

      Entsprechend ihrer chemischen Verwandtschaft lassen sich etwa 20 Gruppen sekundärer Pflanzenstoffe unterscheiden. Zu ihnen gehören etwa Terpene, Phenole oder Alkaloide. Terpene hemmen als Aroma- oder Bitterstoffe die Tätigkeit der Mikroorganismen im Pansen der Wiederkäuer. Phenole, zu denen die Tannine gehören, binden sich an Proteine und reduzieren dadurch deren Verdaulichkeit. Die meisten Blätter von Bäumen enthalten Tannine. Alkaloide sind zyklische Stickstoffverbindungen, die vor allem mild toxisch wirken. Viele Raupen können Alkaloide sequestrieren und im eigenen Körper akkumulieren, was sie selbst gegen Fraß durch Vögel schützt. Die große Vielfalt der Sekundärstoffe auch innerhalb einer Gruppe bringt es aber mit sich, dass sich die Wirkungen der einzelnen Stoffe innerhalb einer Gruppe deutlich unterscheiden können. Dazu kommt, dass die Konsumenten im Laufe der Evolution selbst zahlreiche Abwehrmechanismen entwickelt haben. Je nachdem werden sie demnach versuchen, die Einnahme dieser Stoffe zu vermeiden, niedrig zu halten oder deren Wirkung zu neutralisieren.

      Die klassische und auch einfachste Einteilung nach Ernährungstypen, die sich an den trophischen Stufen orientiert, unterscheidet zwischen Carnivoren (Fleischfressern), Herbivoren (Pflanzenfressern) und Omnivoren (Allesfressern). Auch wenn je nach Tiergruppe (Säugetiere, Vögel etc.) Unterschiede in den Häufigkeiten der Ernährungstypen bestehen und manche Arten nicht eindeutig zugeordnet werden können oder sich in Abhängigkeit von Alter und Saison unterschiedlich verhalten, so ist die Einteilung dennoch ökologisch bedeutsam. Die Nahrungswahl ist wie ein morphologisches oder verhaltensbiologisches Merkmal der Evolution unterworfen. In der Regel liegen ihr spezifisch ausgebildete Verdauungssysteme zugrunde, deren physiologische Möglichkeiten und Einschränkungen weitreichende nahrungsökologische Konsequenzen für die Tiere haben. Deshalb wird oft noch genauer unterteilt: piscivor (fischfressend), insectivor (insektenfressend), granivor (samenoder körnerfressend), folivor (blattfressend), frugivor (fruchtfressend), nectarivor (nektarfressend) und so weiter. Eine konsequente Einteilung richtet sich nach dem quantitativen Anteil verschiedener Nahrungskategorien in der Ernährung. In Verbindung mit der Körpergröße und der Aktivitätszeit (tagaktiv/nachtaktiv) ergibt sich so eine wesentlich feinere Charakterisierung der Nahrungsökologie einer Art, als es die übliche Einteilung nach Gilden (guild; Arten mit ähnlichem Nahrungserwerb) erlaubt (Wilman et al. 2014;

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