Ökologie der Wirbeltiere. Werner Suter

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Ökologie der Wirbeltiere - Werner Suter

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starke Auswirkungen haben. Oft kommt es zu Kleptoparasitismus, das heißt, erfolglose Individuen versuchen den erfolgreichen Artgenossen Nahrung abzujagen. In der Regel parasitieren dominantere Individuen die untergeordneten, was diese veranlassen kann, kleinere Beute zu fangen, die für die Dominanten weniger attraktiv ist (Sih 1993). Kleptoparasitismus kommt auch zwischen Individuen verschiedener Arten vor (= interspezifischer K.), sowohl unter Säugern als auch unter Vögeln. Arten aus Vogelfamilien, in denen das Verhalten überdurchschnittlich häufig auftritt (zum Beispiel Möwen, Greifvögel, Störche), nutzen eher offene Habitate und zählen auch Wirbeltiere zu ihrer Nahrung. Sie sind nicht unbedingt größer als die von ihnen parasitierten Arten, weisen aber relativ größere Hirnkapazitäten auf, was auf erhöhte kognitive Fähigkeiten schließen lässt (Morand-Ferron et al. 2007b). Kleptoparasitismus kann sich energetisch lohnen: In England überwinternde Lachmöwen (Chroicocephalus ridibundus; Abb. 2.4), die Regenwürmer von nahrungssuchenden Kiebitzen (Vanellus vanellus) stahlen, vermochten damit ihren Tagesbedarf zu decken und sogar einen minimen Überschuss von 5,9 KJ/Tag zu erzielen (Barnard & Thompson 1985).

      Offensichtlich übertreffen die Gewinne bei der Nahrungssuche im Sozialverband deren Kosten bei vielen Arten. Drei Aspekte stehen im Vordergrund:

      1. Die nahrungssuchenden Tiere müssen sich selbst gegen Angriffe von Prädatoren schützen, was in der Gruppe oft einfacher ist; sie senken so ihr Mortalitätsrisiko.

      2. Bei der Nahrungssuche im Verband sind sie erfolgreicher und können Abwehrstrategien der Beute wieder «aushebeln»; insgesamt erhöhen sie die Rate der Nahrungsaufnahme.

      3. In der Gruppe kann Nahrung besser gegenüber Konkurrenten verteidigt beziehungsweise schneller konsumiert werden; dies spielt besonders bei sozialen Carnivoren eine Rolle.

      Auch wenn nahrungssuchende Gruppen für Prädatoren auffälliger sind als solitäre Individuen, so helfen gruppenspezifische Faktoren, das Prädationsrisiko für die einzelnen Gruppenmitglieder zu senken. Wichtig sind vor allem drei Effekte:

      1. Das «Mehr-Augen-Prinzip», das heißt die größere Zahl wachsamer Individuen, die es erlaubt, die eigene Wachsamkeit zu reduzieren, um mehr Zeit für die Nahrungssuche zu gewinnen. Dazu gehört auch das Aufstellen von Wachtposten (sentinel; Abb. 3.10) oder die Verbreitung von Information mittels Warnrufen. Der «Mehr-Augen-Effekt» kann massiv sein. So hatten solitär lebende Männchen der Grauwangenmangabe (Lophocebus albigena), einer regenwaldbewohnenden afrikanischen Primatenart, ein mehrfach höheres Prädationsrisiko als gruppeninterne Männchen (Olupot & Waser 2001).

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      Abb. 3.10 Nahrungssuche in größeren Gruppen verhilft zur Möglichkeit, gewisse Aufgaben untereinander aufzuteilen. Bei bestimmten Vogelarten und kleineren Säugetieren, die in kooperativen Gemeinschaften leben, wie zum Beispiel die Erdmännchen (Suricata suricatta), stellen sich einzelne Individuen für eine gewisse Zeit als Wachtposten auf. Sie handeln aber nicht altruistisch, denn sie übernehmen eine Wache erst, wenn sie gesättigt sind, und sie wachen an sicheren Orten, die gute Fluchtmöglichkeiten offenlassen (Clutton-Brock et al. 1999).

      2. Falls es doch zu einem Angriff kommt, spielt zudem das Prinzip der Verwässerung (dilution effect) eine Rolle: Die Wahrscheinlichkeit, selbst Opfer zu werden, ist abhängig von der Zahl der Angreifer und der eigenen Gruppengröße. Weil die Zahl der attackierenden Prädatoren oder die Häufigkeit der Angriffe normalerweise nicht proportional zur Gruppengröße ansteigt, sinkt das Risiko eines Angriffs für das einzelne Gruppenmitglied mit zunehmender Gruppengröße (Cresswell W. 1994; Lehtonen & Jaatinen 2016). Solche Gruppen sind als selfish herd bekannt geworden, wenn die Wahrscheinlichkeit, Opfer zu werden, auch von der räumlichen Position des Mitglieds in der Gruppe abhängt (Hamilton W. D. 1971).

      3. Dazu kommt noch ein Effekt der Verwirrung respektive der Ablenkung des Prädators (confusion effect): Bei dichten, sich geschlossen bewegenden Huftierherden oder Vogel- und Fischschwärmen haben Prädatoren mehr Mühe, sich auf ein einzelnes Opfer zu konzentrieren, als wenn sich ein Individuum optisch oder räumlich isolieren lässt.

      Diese Effekte favorisieren offenbar auch artgemischte Gruppen und werden zur Erklärung des Phänomens der gemischten Vogelschwärme in tropischen und subtropischen Wäldern (Box 3.2) wie auch der wenig untersuchten Funktion artgemischter Säugetiergruppen (vor allem von Huftieren, Primaten und Walartigen) herangezogen (Stensland et al. 2003). Eine umfassende Übersicht empirisch belegter Beispiele zu diesen Effekten lieferte Caro (2005), während Danchin et al. (2008) neuere theoretische Überlegungen zum Thema beisteuerten.

      Die Abwehrmaßnahmen der Beute gilt es auf Seite der Prädatoren zu kontern, und die zweckmäßigste Lösung ist oft dieselbe Strategie: Jagen in der Gruppe oder im Sozialverband. Damit lässt sich zum Beispiel die kompakte Schwarm- oder Herdenstruktur der Beute aufbrechen, der Fangerfolg durch koordinierte Jagd unter den Gruppenmitgliedern steigern und in der Gruppe schnellere oder größere Beute überwältigen. Fischfressende Wasservögel, zum Beispiel Kormorane (Phalacrocorax sp.) oder Tölpel (Morus sp.), erzielen den Effekt bei der Tauchjagd auf schwarmbildende Fische über die Menge der gleichzeitig Angreifenden, aber ohne spezielle Koordination. Kaptölpel (Morus capensis) hatten bei ihrer Stoßjagd auf Sardinenschwärme den niedrigsten Fangerfolg, wenn der angegriffene Schwarm in den vorangehenden 15 s nicht attackiert worden war, und mehr als doppelt so hohen Erfolg, wenn in dieser Zeitspanne zuvor ein oder zwei Angriffe erfolgt waren. Die Störung des Schwarmzusammenhalts erreichte jeweils einige Sekunden nach dem Angriff ihr Maximum (Thiebault et al. 2016). Pelikane (Pelecanus sp.) hingegen, die Fische aus dem Wasser «schöpfen», gehen koordinierter vor, da der Fisch-schwarm eingekesselt werden muss.

      Beim eigentlichen kooperativen Jagen, der organisatorisch höchstentwickelten Form gemeinsamer Nahrungssuche, übernehmen die Gruppenmitglieder spezifische Rollen (Bailey et al. 2013). Solches Verhalten zeigen einige Caniden und – als Ausnahme unter den Feliden – der Löwe (Abb. 4.30). Wir haben bereits in Kapitel 3.3 gesehen, dass kooperatives Jagen den Löwen erlaubt, Beute zu schlagen, die wesentlich schwerer ist als sie selbst. Kooperation kann sich auch direkt positiv auf die Konstitution auswirken. Bei Fossas (Cryptoprocta ferox), der größten Prädatorenart Madagaskars, erreichten kooperativ jagende Männchen größere Körpergrößen als einzeln jagende Geschlechtsgenossen (Lührs et al. 2013). Nicht immer ist der Vorteil aber direkt auf verbesserten Jagderfolg zurückzuführen. Bei Wölfen zeigte sich, dass Rudelmitglieder zunächst einen geringeren Fleischertrag erzielen als einzeln jagende Tiere. Der Vorteil ergibt sich erst durch die Tatsache, dass solitäre Wölfe oder kleine Gruppen einen größeren Teil der Jagdbeute an schmarotzende Aasfresser verlieren als größere Rudel (Vucetich et al. 2004; Kaczensky et al. 2005). Ähnliches ist bei anderen in Gruppen jagenden Prädatoren, wie Löwen oder Afrikanischen Wildhunden (Lycaon pictus; Abb. 3.12), festgestellt worden (Cooper 1991; Courchamp & Macdonald D. 2001; Carbone et al. 2005b).

      Im winterlichen Wald trifft man gelegentlich auf einen rastlosen Schwarm nahrungssuchender Singvögel, der aus verschiedenen Arten besteht. Das Phänomen solcher bird parties oder mixed feeding flocks ist in subtropischen und tropischen Wäldern noch ausgeprägter und weniger jahreszeitenabhängig. Die Schwärme bestehen meist aus Vogelarten mit kleiner und verhältnismäßig einheitlicher Körpergröße (Sridhar et al. 2012). Die Form der Nahrungsaufnahme – das heißt, die Zugehörigkeit zu einer Gilde - kann aber differieren: Einige fangen Insekten aus der Luft, andere lesen sie von Blättern und Zweigen ab (gleaning) oder finden sie durch Stochern in der Rinde, wieder andere nehmen Nektar oder kleine Früchte auf. Schwärme haben oft eine typische Artenzusammensetzung gemäß dem Stratum, das sie bearbeiten (zum Beispiel Unterwuchs oder Laubdach; Srinivasan et al. 2012). Die Hypothesen zur Erklärung des

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