Ökologie der Wirbeltiere. Werner Suter

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Ökologie der Wirbeltiere - Werner Suter

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Landschaften sind bezüglich der Vegetationsstruktur sehr heterogen, und selbst einförmig wirkende Steppen können auf kleinem Raum unterschiedliche Muster in der Pflanzenqualität, Biomasse und Vegetationsstruktur aufweisen. Heterogenität kann also auf verschiedenen räumlichen Maßstäben (Skalen) evident sein, und Herbivoren treffen ihre Entscheidungen über Ort und Dauer der Nahrungssuche entsprechend. Es können nach Bailey & Provenza (2008) folgende Einheiten unterschieden werden (deutsche Bezeichnungen dafür sind nicht gebräuchlich):

      1. Bite: Die kleinste räumliche Einheit ist ein Zweig, eine Einzelpflanze oder sogar ein kleiner Grasbüschel, der mit einem Biss geerntet werden können. Die Entscheidung eines Herbivoren, bei einer bestimmten Pflanze zuzubeißen, betrifft also eine Fläche von 1–100 cm2, je nach der Körpergröße und der Morphologie seiner Kiefer. Da Herbivoren jeden Tag 10 000–40 000 Mal zubeißen müssen (Illius & Gordon 1993), liegt die zeitliche Maßstabgröße für den Entscheid bei 1–2 s. Die Messgröße dafür ist der bite size, also die pro Biss geerntete Pflanzenmasse.

      2. Feeding station: Im Rahmen einer Bissfolge machen Herbivoren einzelne Schritte, um benachbarte Zweige oder Gräser zu erreichen, bleiben aber am Ort (Maßstab bis einige m2 respektive wenige min). Die Aktivität lässt sich als Bissrate messen.

      3. Patch: Flecken einheitlicher Artenzusammensetzung (m2 bis etwa 1 ha), die für die Dauer von bis zu 30 min beweidet werden. Beim Wechseln zwischen patches wird die Bisssequenz unterbrochen. Auf einem patch wird in der Regel die Zeitdauer der Nahrungsaufnahme gemessen.

      4. Feeding site: Bezeichnet in etwa ein Nahrungshabitat, also Flächen (1–10 ha) bestimmter Vegetationszusammensetzung, die sich zur Nahrungssuche eignen und in denen sich ein Tier während der Aktivitätsphase der Nahrungssuche (etwa 1–4 Stunden) aufhält.

      Entscheidungen, welche die Bissgröße und -rate (1.) und die Aufenthaltsdauer auf einem patch (3.) betreffen, spielen wohl die größte Rolle; zumindest sind ihnen zahlreiche Untersuchungen gewidmet. Die räumliche Hierarchie dieser Einheiten kann gegen oben noch erweitert werden und umfasst dann Flächen, die von einem Tier während eines ganzen Tages, einer Saison oder in noch längeren Zeitabschnitten genutzt werden. Solche großmaßstäblichen Aspekte werden in den Kapiteln 5 und 6 angesprochen.

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      Abb. 3.14 Ein sogenannter grazing lawn in einer tansanischen Küstensavanne (links). Durch die wiederholte Beweidung derselben Stellen können Herbivoren das Gras sehr kurz und so in einem steten juvenilen Zustand halten; die nachwachsenden Sprosse enthalten einen wesentlich geringeren Faseranteil und sind damit besser verdaulich. Weiderasen sind nicht auf Ökosysteme mit hohen Huftierdichten beschränkt, sondern kommen auch vor, wo andere herbivore Säugetiere und Vögel, vor allem Gänse, weiden (Drent & Van der Wal 1999). Zudem sind analoge Vorgehensweisen von Laubäsern (Huftieren und Raufußhühnern) bekannt. Im Rahmen des allgemeinen allometrischen Zusammenhangs zwischen Bissgröße und Körpergröße wirkt sich die Morphologie der Kieferpartie modifizierend auf die Bissgröße aus. Zwar ist die Breite des Unterkiefers zwischen den vierten Schneidezähnen, die sogenannte incisor arcade breadth, grundsätzlich ebenfalls eine Funktion der Körpergröße. Zusätzlich ist sie bei eher selektiv weidenden Herbivoren schmaler, bei mehr flächig grasenden Arten wie dem abgebildeten Weißbartgnu (rechts) hingegen breiter, was größere Bissgrößen zulässt (Illius & Gordon 1988). Kleinere Herbivoren können damit auf kleinerer räumlicher Skala selektiver fressen als größere Arten mit ähnlichen Ansprüchen (Laca et al. 2010).

      Die Bissgröße nimmt allometrisch mit der Körpergröße zu und damit auch die momentane Aufnahmerate zu Beginn der Nahrungssuche, während die Bissrate, bei großen artspezifischen Schwankungen, über die Körpergröße konstant bleibt. Dabei gibt es keine grundsätzlichen Unterschiede zwischen herbivoren Vögeln und Säugetieren, was bedeutet, dass das Kauen der Säugetiere (das bei Vögeln fehlt; Kap. 2.4) keinen Einfluss auf die Aufnahmerate hat (Steuer et al. 2015). In einem Versuch mit drei ungleich großen Hirscharten, die Zweige von winterkahlen Bäumen ästen, entsprach die Dicke der gefressenen Zweige jeweils der Dicke der Zweige, die den jüngsten Jahreszuwachs am Baum bildeten; die Unterschiede zwischen den Hirscharten waren aber weitgehend eine Funktion der Körpergröße (Shipley et al. 1999). Die Bissgröße kann bei Grasfressern aber auch mit der Vegetationshöhe variieren. Eine höhere Grasnarbe wird einer tieferen vorgezogen, wenn sich so eine höhere Aufnahmerate erzielen lässt. Dies gilt aber nur, solange die Grasqualität vergleichbar ist, das heißt, wenn es sich wirklich um eine höhere Nettoaufnahmerate des leichter verdaulichen Anteils handelt (Illius & Gordon 1993). Meist jedoch sind niedrige Gräser jünger und faserärmer und damit von höherer Qualität. In den afrikanischen Savannen ziehen die meisten Herbivoren kürzeren Graswuchs vor; manche Arten, die wie das Weißbartgnu (Connochaetes taurinus) Grasnarben auf der feeding station- oder patch-Ebene flächig beweiden, schaffen sich so mosaikartig Weiderasen (grazing lawn; Abb. 3.14). Thomsongazellen (Eudorcas thomsoni) nutzen solche Rasen gerne und erreichen den höchsten Energie-gewinn bei niedrigen, aber nicht den allerniedrigsten Grashöhen (Abb. 3.15; Fryxell et al. 2004). Dies ist offenbar ein trade-off zwischen Qualität und Abundanz, den auch viele andere Herbivoren eingehen (Fryxell et al. 2014). Weiteres dazu in Kap. 8.8.

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      Abb. 3.15 Populationsdichten (Mittelwerte und Standardfehler) der wandernden Thomsongazelle im Serengeti-Nationalpark, Tansania (dazu Kap.6.3), sind dort am höchsten, wo die Grasbiomasse und damit die Grashöhe niedrig ist. Modellrechnungen ergaben, dass die Gazellen in niedrigem Gras die höchste Rate der Energiegewinnung erzielten (Abbildung neu gezeichnet nach Fryxell et al. 2004).

      Größere Herbivoren haben die Möglichkeit, Bissgröße und -rate zu variieren; sie steigern diese bei größerem Hunger oder wenn die Zeit zur Nahrungsaufnahme limitiert ist. Bei höheren Nährstoffbedürfnissen, etwa im Falle von laktierenden Weibchen, können sie auch die gesamte Fresszeit steigern (Ruckstuhl 1998). Weshalb fressen sie dann nicht generell schneller oder in längeren Perioden? Der Grund liegt wohl bei den versteckten Kosten, etwa verminderter Feinderkennung durch geringere Aufmerksamkeit oder bei verdauungsphysiologischen Konsequenzen des Wiederkäuens (Kap. 2.4 und 2.5); auch die zum Abreißen der Pflanzen benötigten Scherkräfte müssen berücksichtigt werden (Fortin et al. 2004; Newman J. 2007; Shipley 2007).

      Auch wenn für die meisten größeren Herbivoren die Nahrung relativ flächig über die Landschaft verteilt ist, so präsentiert sich auf kleiner Skala doch meist eine deutliche Heterogenität. Man erkennt patches, im Grasland etwa Flecken einheitlicher Abundanz, Artenzusammensetzung und Qualität des Grases. Für Laubäser kann ein einzelner Baum oder Busch einen patch darstellen (Searle & Shipley 2008). Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass die Optimal-patch-Theorie (Kap. 3.4) auch auf Herbivoren angewandt wurde. Für Herbivoren postuliert das marginal value theorem, dass sie einen patch so lange beweiden sollten, wie die erzielte Nettoaufnahmerate über jener der Umgebung liegt. Daraus ergeben sich für Herbivoren zwei Fragen: Welcher patch soll gewählt werden, und wann soll er wieder verlassen werden? Die dazu gewonnenen Resultate sind nicht eindeutig. Dies hat einerseits damit zu tun, dass nicht alle Herbivoren stets die Nettoaufnahmerate maximieren; je nach Art und Umständen können auch patches mit hoher Biomasse,

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