Wirtschaftsgeographie. Harald Bathelt
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(2) Organisation. Die Organisationsdimension lenkt das Forschungsinteresse auf Gestaltungsformen betrieblicher Arbeitsteilung in und zwischen Unternehmen sowie auf Organisationen im institutionellen Kontext, wie etwa Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände oder staatliche Regierungsstellen und Behörden. Ein grundsätzliches Problem der Organisation industrieller Arbeits- und Produktionsprozesse besteht darin, Arbeitskräfte, Rohstoffe, Zwischenprodukte, Maschinen und Anlagen auf betriebsinterner und -externer Ebene so zusammenzuführen, dass unter einer räumlichen Perspektive eine möglichst effiziente Teilung und Integration der Arbeit erfolgt (Sayer und Walker 1992, Kap. 3). Dabei muss eine hinreichende Koordination und Kontrolle des Produktionsablaufs sichergestellt sein, um qualitativ hochwertige Produkte zuverlässig nach Kundenbedürfnissen anfertigen zu können. So stellt sich die Frage, welche Vor- und Zwischenprodukte von einem Unternehmen selbst hergestellt und welche von Fremdfertigern zugekauft werden sollen, welche Prozesstechnologien einzusetzen sind und wie die verschiedenen Arbeits- und Produktionsschritte verknüpft werden sollen. Ferner ist zu entscheiden, wo welche Zulieferer in Anspruch genommen werden, wie diese in den Produktionsprozess integriert werden und an welchen Standorten regional, national und international welche Produktionsabschnitte angesiedelt werden sollen (Bathelt 2000). Diese und ähnliche Fragen lassen sich unter Einbeziehung der ökonomischen Transaktionskostentheorie (Coase 1937; Williamson 1975; 1985) und des embeddedness-Ansatzes untersuchen, der in der new economic sociology entwickelt wurde (Granovetter 1990; Smelser und Swedberg 1994).
Die Organisationsstruktur beeinflusst auch die Standortstruktur eines Unternehmens und die räumliche Organisation der Produktion. Die Art der Arbeitsteilung hängt insbesondere vom Stand der eingesetzten Produkt- und Prozesstechnologien, der Stabilität und Vorhersehbarkeit der Konsummuster und der Entwicklung der Märkte ab. Hierbei spielen die Standortverteilung von Zulieferern und Abnehmern sowie das Handeln und die räumliche Organisation der Konkurrenten eine wichtige Rolle. Das Organisationsproblem ist so komplex, dass es nicht möglich ist, räumliche Strukturen allein durch Standortfaktoren zu erklären. Räumliche und kulturelle bzw. institutionelle Nähe können in bestimmten Kontexten zu einer Stabilisierung von Netzwerkbeziehungen zwischen spezialisierten kleinen und mittleren Herstellern führen, weil dadurch Kosten der Informationssuche reduziert, Unsicherheiten abgebaut und Kommunikationsvorteile genutzt werden können.
Letztlich kann die Organisationsstruktur von Unternehmen und Wertschöpfungsketten nur aus einer evolutionären Perspektive verstanden werden (Nelson und Winter 1982; Swedberg und Granovetter 1992). Ob ein Unternehmen eine eigene integrierte Produktionsstruktur aufbaut oder Produktionsabschnitte an andere Unternehmen auslagert und welche Märkte und Standorte dabei erschlossen werden, hängt von bisher gesammelten Erfahrungen und vergangenen Organisationsentscheidungen ab. Folge der dabei vollzogenen Lernprozesse ist eine erhöhte organisatorische Reflexivität. Zugleich sind Organisationsstrukturen eingebettet in soziale, kulturelle und institutionelle Strukturen und Beziehungen, die untrennbar mit den ökonomischen Entscheidungsprozessen verknüpft sind (z. B. Baum und Oliver 1992). Die räumliche Organisation der Produktion ist deshalb auch das Ergebnis komplexer Aushandlungsprozesse zwischen den Unternehmen und verschiedenen staatlichen Stellen und findet im Kontext spezifischer Machtkonstellationen statt.
(3) Evolution. Die Evolutionsdimension eröffnet eine Perspektive, die eng mit den anderen Dimensionen der Wirtschaftsgeographie verknüpft ist und die den Einfluss historischer Prozesse und Strukturen auf aktuelle Entscheidungen miteinbezieht. Die Konzeption eines evolutionären Zusammenhangs geht davon aus, dass soziale und ökonomische Prozesse pfadabhängig verlaufen und deshalb erfahrungsgebunden, kumulativ und durch Reflexivität geprägt sind. Diesem Ansatz folgend lässt sich seit den 1980er-Jahren eine erstaunliche Konvergenz evolutionärer Perspektiven in der Ökonomie, den Sozialwissenschaften und der Wirtschaftsgeographie feststellen. In evolutionsökonomischen Konzeptionen (Nelson und Winter 1982; Dosi 1988) wird beispielsweise angenommen, dass die technisch-ökonomische Entwicklung einem abgesteckten Entwicklungspfad folgt und hierbei von Routinen und Heuristiken geleitet wird. Bestehende Technologien beeinflussen die Möglichkeiten für Innovationsprozesse, sodass Vergangenheitsentscheidungen unabhängig davon, wie gut oder wie schlecht sie waren, auf die Gegenwart nachwirken. Aus der Beurteilung des bisherigen Entwicklungsverlaufs werden dabei Mutations- und Selektionsprozesse ausgelöst, die technologische Innovationen zur Folge haben mit dem Ziel, die ökonomische Effizienz zu verbessern.
Diese technisch-ökonomische Perspektive wird im neuen Institutionalismus der Soziologie (Powell und DiMaggio 1991) durch den Aspekt der embeddedness erweitert. Es wird davon ausgegangen, dass ökonomisches Handeln in soziale Beziehungen und Strukturen eingebettet und untrennbar mit diesen Kontexten verbunden ist. Einzelne Unternehmen werden hierbei nicht als isolierte Technologieproduzenten verstanden, sondern in ihrer Gesamtstruktur von Netzwerkbeziehungen mit Zulieferern, Abnehmern, Dienstleistern und staatlichen Organisationen untersucht (Grabher 1993 b). Embeddedness ist das Ergebnis eines Evolutionsprozesses und impliziert, dass ökonomische Beziehungen kontextspezifisch und erfahrungsabhängig sind. In evolutionärer Perspektive können ursprünglich informelle Institutionen verfestigt und z. B. auf dem Wege legislativer Regelung durch staatliche Behörden formalisiert werden. Die Begriffe Institution und Organisation hängen somit eng miteinander zusammen und sind nicht immer leicht unterscheidbar.
In der wirtschaftsgeographischen Konzeption industrieller Entwicklungspfade und der Entstehung neuer Industrieräume lassen sich Erkenntnisse der Evolutionsökonomie und des embeddedness-Ansatzes wiederfinden und in eine spezifisch räumliche Perspektive integrieren (Scott 1988; Storper und Walker 1989). Allerdings ist der institutionelle Kontext in diesem Ansatz nicht sehr stark ausgeprägt, was Storper (1995; 1997 b) zu einer Rekonzeptionalisierung veranlasst hat. Im Modell industrieller Entwicklungspfade gehen Storper und Walker (1989, Kap. 3) davon aus, dass neu entstehende Industriesektoren in der Anfangsphase ihrer Entwicklung aufgrund des neuen Charakters der eingesetzten Technologien nirgendwo optimale Standortbedingungen vorfinden und damit relativ frei in ihrer Standortwahl sind. Wenn später an einigen Standorten hohes Wachstum entsteht, gelingt es den Unternehmen zunehmend, das Unternehmensumfeld ihren Bedürfnissen entsprechend anzupassen. Es bildet sich ein lokaler Zulieferersektor, Infrastruktur wird an die neuen Bedürfnisse angepasst und der Arbeitsmarkt stellt sich auf die erforderlichen Qualifikationen ein. Die betreffenden Regionen erlangen Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Regionen und es kommt zu selbstverstärkenden Ballungs- und Spezialisierungsprozessen.
(4) Innovation. Die Dimension der Innovation ist eng mit dem Prozess der Entstehung neuer Technologien und den Auswirkungen des technischen Fortschritts verknüpft. In traditionellen ökonomischen und geographischen Konzeptionen wird der Aspekt der Generierung neuer Technologien und der Durchsetzung von Innovationen weitgehend vernachlässigt. Technologischer Wandel wird entweder als modellextern angenommen oder als Ergebnis eines linearen, zielgerichteten Forschungsprozesses angesehen, der aus einer Abfolge kontrollierter Forschungs- und Entwicklungsschritte resultiert. Ergebnis dieses Ablaufs sind standardisierte Produkt- und Prozessinnovationen. In der Geographie wird traditionell vor allem der