Wirtschaftsgeographie. Harald Bathelt

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Wirtschaftsgeographie - Harald Bathelt

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eher selten statt. Eine wesentliche Rolle spielen zudem Intermediäre bzw. Multiplikatoren, die z. B. als Journalisten oder Verbandsvertreter durch das Anbahnen von relevanten Gesprächen und Meinungsbekundungen über die Erfüllung ihrer subjektiven Erwartungen den Erfolgsverlauf von Messen beeinflussen können (Schuldt und Bathelt 2011; Bathelt et al. 2014).

      Insbesondere internationale Fachmessen in den Bereichen Investitionsgüter, Dienstleistungen und Konsumgüter mit Leitcharakter haben eine bedeutende Funktion für den Wissensaustausch in einer Branche und dienen als Plattform der globalen Interaktion für Prozesse der Wissensgenerierung und des Lernens (Bathelt und Zakrzewski 2007; Bathelt und Schuldt 2008). Sie erzeugen einzigartige Bedingungen zur Kommunikation und zum Informations- und Wissensaustausch (sog. global buzz) (Bathelt und Schuldt 2010). Die während dieser Veranstaltungen stattfindenden Events, das innovative Niveau und die Größe der Messen verbunden mit einem hohen Anteil an internationalen Ausstellern und Marktführern machen diese Veranstaltungen zu zeitlich begrenzten, regelmäßig wiederkehrenden Spitzenereignissen der jeweiligen Branchen. Solche weltweit bedeutenden Veranstaltungen sind zugleich Vorreiter für kleinere, national oder regional begrenzte Messeveranstaltungen. Auf internationalen Leitmessen konzentrieren sich nicht nur Außendarstellung und Innovationen einzelner Unternehmen. Ganze Branchen arbeiten auf diesen Höhepunkt hin, auf dem weichenstellende Kontakte generiert, Verträge geschlossen und Trends präsentiert und ausgetauscht werden. Da sich auf diesen Veranstaltungen ein wesentlicher Teil der technischen Spezialisten und der Entscheider der betreffenden Branchen aus aller Welt trifft, findet ein globaler Wissensaustausch statt, der die zukünftige Entwicklung ganzer Branchen beeinflusst. Gerade persönliche Kontakte, die nicht durch technologische Lösungen ersetzbar sind, spielen dabei eine zentrale Rolle. Häufig werden die Gespräche zwischen Herstellern, Zulieferern und Abnehmern nach dem Ende einer Messeveranstaltung weitergeführt, konkretisiert und bilden die Grundlage für globale Vernetzungen (Bathelt und Zakrzewski 2007; Bathelt et al. 2014) bzw. die Verschaltung (sog. rewiring) bestehender und neuer Geschäftsbeziehungen (Panitz und Glückler 2017).

      Die räumliche Diversität gesellschaftlicher Wirklichkeit kann als Legitimation für die geographische Analyse ökonomischer und sozialer Phänomene aufgefasst werden (Sayer 1985; Johnston 1991 a; 1991 b; Massey 1994). Zentraler Ausgangspunkt wirtschaftsgeographischer Studien ist die empirisch gewonnene Erkenntnis, dass unausgeglichene Raumstrukturen bestehen. Räumliche Disparitäten bezeichnen allgemein Abweichungen bestimmter als gesellschaftlich bedeutsam erachteter Merkmale von einer gedachten ausgeglichenen Referenzverteilung (Biehl und Ungar 1995; Stiens 1997). Der Zusatz der gesellschaftlichen Relevanz ist hierbei wichtig, um diejenigen regionalen Unterschiede anzusprechen, die sich auf die als notwendig geschätzte Lebensqualität und die Lebenschancen der Bevölkerung auswirken. Der wirtschaftliche Entwicklungsstand einer Region wird mit zen­tralen Indikatoren, wie z. B. dem Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner, der Arbeitslosenquote, dem Einkommensniveau und der Qualität der Infrastruktur, erfasst. Dennoch sind räumliche Disparitäten nicht notwendigerweise räumlich bedingt. Sie resultieren z. B. daraus, dass wirtschaftliche Produktion nicht überall gleichartig organisiert ist, weil etwa Normen und Gesetze sowie Erfahrungen in verschiedenen Volkswirtschaften unterschiedlich sind und auch auf regionaler Ebene voneinander abweichen. Indus­trielle Ballungen sind in ein bestimmtes regionales Umfeld eingebettet und daraus hervorgegangen. Ihr Entstehungsprozess ist ohne dieses Umfeld oft nicht begreifbar.

      Disparitäten können auf unterschiedlichen räumlichen Maßstabsebenen auftreten. Sie können als weltweite Zentrum-Peripherie-Gegensätze erscheinen, in Deutschland als Nord-Süd- oder Ost-West-Unterschiede, als Stadt-Land-Gegensätze oder als Ballungs- und Entleerungsprozesse in unterschiedlichen räumlichen Dimensionen.

      Anhand des Gegensatzes von Stadt und Land lässt sich zeigen, dass räumliche Disparitäten das Ergebnis räumlich differenziert wirkender sozialer Prozesse sind. So setzte zur Zeit der Industrialisierung im Zuge einer Landflucht bei wachsender Bevölkerungszahl eine starke Verstädterung ein. Die Sterberate sank (→ Abb. 4.3) aufgrund neuer Erkenntnisse bei der Gesundheitsvorsorge und Krankheitsbekämpfung (Berry et al. 1987, Kap. 3; Bähr et al. 1992, Kap. 5.2). In landwirtschaftlich geprägten Regionen fanden die Menschen in der Folge keine ausreichenden Beschäftigungsmöglichkeiten mehr. Dies galt in Deutschland insbesondere für Regionen mit Anerbenrecht, wie z. B. das Münsterland, während in Regionen mit Realerbteilung, wie z. B. Hessen, zumindest für eine gewisse Übergangszeit die in der Erbfolge verbliebenen Einzelgrundstücke groß genug waren, um eine wachsende Bevölkerung zu ernähren. Im Unterschied dazu gab es in städtischen Gebieten durch die Expansion von Handwerk und Manufakturen eine wachsende Anzahl von Arbeitsplätzen. Hier kam es deshalb zum Zuzug von Menschen aus ländlichen Regionen und aufgrund der wachsenden Bevölkerung entstanden hier die wichtigsten Märkte.

Abb_04-03

      Abb. 4.3 Modell des demographischen Übergangs

      Aus der Existenz solcher Disparitäten ergeben sich wichtige Untersuchungsfragen für die Wirtschaftsgeographie: Welche räumlichen und regionalen Disparitäten gibt es und durch welche sozialen und ökonomischen Prozesse werden sie ausgelöst? Um Fragen dieser Art zu beantworten, ist aus wirtschaftsgeographischer Sicht beispielsweise eine Analyse der unterschiedlichen räumlichen Ausprägungen von Unternehmensgründungen und -verlagerungen sinnvoll. Weitergehend könnte man fragen, welche sozialen und ökonomischen Prozesse einen Ausgleich oder eine Verstärkung solcher Disparitäten fördern. Wichtig ist hierbei, die richtige räumliche Maßstabsebene zur Betrachtung der konkreten Prozesse zu wählen, weil ansonsten die interessierenden Disparitäten nicht sichtbar werden. Bei einer Untersuchung sozialer Segregationsprozesse ist beispielsweise die Stadtteilebene als Ausgangspunkt der Untersuchung sinnvoll und nicht das Bundesland.

      Resultat räumlich ungleichmäßiger Wirtschaftsprozesse sind räumlich ungleichwertige Lebens- und Arbeitsbedingungen. Diese sind eine Folge von Wechselwirkungen zwischen Kapitalkonzentration, Bevölkerungskonzentration und Lebenschancen. In einer Demokratie wie Deutschland, die auf dem Prinzip der Chancengleichheit beruht, ist es nicht akzeptabel, dass durch räumliche Ungleichheiten unterschiedliche individuelle Entwicklungsmöglichkeiten vordefiniert werden. Deshalb leitet sich in der Bundesrepublik Deutschland aus dem Grundgesetz das Ziel ab, gleichwertige Lebens- und Arbeitsverhältnisse zu schaffen (Art. 72 und Art. 106, Abs. 3 GG). Dieses Ziel wird im Raumordnungsgesetz (§ 2 ROG) und in weiteren Gesetzen und Bestimmungen erläutert und präzisiert (Stiens 1988; Ernst 1995; 1997). Auch im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (Art. 4 und Art. 174) bildet die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse bzw. die Stärkung des wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalts eine wichtige Norm der Gesellschaftsordnung.

      Die beiden Extreme räumlicher Disparitäten sind Ballung und Entleerung. In räumlichen Ballungen kommt es zu einer Konzentration von Menschen und damit zu einer Ballung sozialer und ökonomischer Aktivitäten. Dies trifft insbesondere auf große Metropolen und sogenannte Verdichtungsräume zu. Nach Gaebe (1987, Kap. 7) lassen sich unterschiedliche Merkmale zur Abgrenzung von Verdichtungsräumen verwenden:

       städtebaulich-morphologische Merkmale wie die Wohndichte und Geschosshöhe,

       demographische Merkmale, z. B. Mindestbevölkerung und Bevölkerungsdichte,

       ökonomische Merkmale der Arbeitsplatz-, Einkommens- und Berufsstruktur,

       ökologische Merkmale, wie etwa Immissionen, Frei- und Erholungsflächen,

       Verflechtungsmerkmale mit dem Umland, z. B. in Form von Berufspendlerverflechtungen.

      Erste Abgrenzungsversuche

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