Tatort Bodensee. Eva-Maria Bast
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Auch Horst musste schmunzeln. »Na gut. Auf jeden Fall ist ja jetzt alles geritzt. Also – am Montag früh starte ich und vorher besorge ich dir noch die Fahrkarte, damit du dich gleich am Freitagnachmittag in den Zug setzen kannst. Ich hol dich dann am Bahnhof in Überlingen ab. Und deine Mutter rufe ich auch an, dass sie wieder drei Tage mit ihren heißgeliebten Enkeln verbringen darf – nicht dass sie jetzt noch was mit ihren Freundinnen ausmacht!«, fügte er mit leichtem Stirnrunzeln hinzu.
»Ach wo«, beruhigte ihn Claudia. »Das geht auf jeden Fall klar, sie hat mir schon angedeutet, dass sie in der nächsten Woche eh nichts vorhat, das müssten wir hinbekommen!«
»Also, auf. Dann rufe ich jetzt den Frieder an und sag ihm Bescheid, dass ich sein Angebot annehme und dass er mir erzählt, wo er den Schlüssel für den Wohnwagen deponiert hat.« Das alles hatte er zwar schon längst geregelt, aber weshalb aufs Neue schlafende Schäferhunde wecken, wenn sich die Sache mit dem Urlaub von zu Hause so leicht doch noch hatte hinbiegen lassen? »Und dem Thomas sage ich dann auch Bescheid, dass ich komme. Du, der freut sich riesig darauf, hat er mir neulich am Telefon gesagt, wo wir das ausgemacht haben.«
Ein schneller Blick, in dem sich neu aufkeimendes Misstrauen widerspiegelte, ließ ihn blitzschnell die Kurve kriegen. »Na, du weißt doch – ich hab mit dem Thomas letzte Woche telefoniert, wegen so einer Umweltgeschichte da, die einen Menschen aus Konstanz betrifft. Und da haben wir dann ausgemacht, dass es ganz schön wäre, wenn wir uns bald mal wiedersehen könnten. Schließlich haben wir das beim Kommissarlehrgang in Wertheim schon im Januar verabredet gehabt und dann wieder aus den Augen verloren – wie immer halt. Und wenn wir jetzt nicht einen Knopf dranmachen, dann wird’s in diesem Jahr wieder nichts mit einem Treffen. Vor allem, wo’s doch jetzt warm ist da unten und der See auch schon 19 Grad haben soll, sagt der Thomas. Und außerdem: Ich hab irgendwie den Eindruck gehabt, der braucht grade mal jemanden zum Reden. Da scheint’s im Dienst nicht so besonders gut zu laufen und im Privaten gleich zweimal nicht. Der Thomas und die Susanne, die scheinen richtig Stress momentan miteinander zu haben. Er hat’s angedeutet: Er muss sich das alles mal von der Seele reden! Und wozu sind Freunde schließlich da?«
Claudia faltete die Hände vor der Brust, drehte die Augen in gespielter Frömmigkeit zum Himmel und vermerkte mit leicht spöttischem Unterton: »Mein Mann, der barmherzige Samariter! Die Polizei – dein Freund und Helfer! Hauptkommissar Horst Meyer – dein Kummerkasten in jeder Lebenslage!«
»Na – jetzt übertreib mal nicht! Aber wie auch immer: ich freue mich auf den See!«
»Klar – verstehe ich ja. Aber tu bloß nicht so, als würdest du nur aus reiner Nächstenliebe dort runterfahren – ganz so naiv bin ich dann doch nicht. Oder willst du dein Tauchzeug etwa nicht einpacken?«
»Natürlich will ich – na und?!«
»Nichts na und. Ich wollte es nur geklärt haben, ich gönne es dir ja auch. Obwohl – ich lass meine Sachen ganz sicher zu Hause. Mich bringst du im Leben nicht zum Tauchen im Bodensee – nein danke!« In gespieltem Entsetzen schüttelte sich Claudia und rieb die Oberarme mit ihren Händen, als fröstele sie. »Da warte ich lieber wieder ein Jahr, bis wir genug Geld für die Malediven oder die Karibik zusammenhaben. Da sind die Fische bunt, das Meer ist warm und vor allem: Man sieht weiter als zwei Meter fünfzig!«
»Hast ja recht«, Horst nickte eifrig – sie hatten das Thema schon oft diskutiert und sich nach einigem Widerstreben auch schon zu ein paar wenigen Tauchgängen in deutschen Baggerseen überreden lassen. Jedes Mal hatten sie anschließend den Kopf geschüttelt und sich versichert, lieber ein halbes Jahr länger auf den nächsten Urlaub zu warten, als noch einmal wie ein Moderlieschen in kalten schlammigen Baggerseen herumzupaddeln. »Aber der Thomas ist ja auch Taucher und der hat mich so weit gekriegt, dass ich Ja gesagt habe. Er kennt den See wie seine Westentasche und will mir unbedingt mal das Wrack der ›Jura‹ zeigen. Das sei ein echtes Erlebnis, da runterzutauchen!«
»Wenn der meint – von mir aus! Ich auf jeden Fall lasse mir dann von euch erzählen, was ihr alles nicht gesehen habt und wie kalt es da unten gewesen ist. Hauptsache, die Geschichte ist nicht gefährlich, oder?« Forschend blickte Claudia ihrem Mann ins Gesicht.
»Wo denkst du hin«, schüttelte der energisch den Kopf. Dass die »Jura« auf rund 38 Metern stockdunkler Tiefe im Schlick des Bodensees lag, musste man ihr ja nicht unbedingt auf die Nase binden. Das konnte warten, bis er wieder glücklich aufgetaucht war und mit stolz geschwellter Brust von seinen Heldentaten unter Wasser erzählen konnte. »Der Thomas ist ja auch vorsichtig und der hat Erfahrung ohne Ende – mit über 500 Tauchgängen. Da passiert garantiert nichts – im Leben nicht!«
Wie leichtfertig man im alltäglich Sprachgebrauch so manche Formulierung in den Mund nimmt – aber an dieses Gespräch erinnerte sich Horst erst viel später wieder, erst dann, als es bereits zu spät war …
2
Es war ein strahlend schöner Montagmorgen, als Horst, der erst noch die Kinder zur Schule gefahren hatte, mit seinem Wagen bei der Anschlussstelle Heilbronn-Untergruppenbach auf die A 81 einbog. Nichts, aber auch gar nichts konnte ihm jetzt noch seine Urlaubslaune verderben. Was gab es Schöneres, als einen Teil seiner respektablen Überstunden, die sich innerhalb des letzten Jahres bei der Arbeit in der Polizeidirektion Heilbronn angesammelt hatten, bei herrlichem Sommerwetter am Bodensee abzufeiern? Tauchen, grillen, einen guten Freund wiedersehen, ordentlich einen draufmachen, ganz Mensch – und nicht in tausend Zwängen steckender Polizist – sein dürfen: einfach herrlich!
Den Kollegen, oder vielmehr: den Freund Thomas Grundler kannte er schon seit Urzeiten. Damals, als sie beide gemeinsam auf der Polizeifachhochschule in Villingen-Schwenningen die ersten Stufen zur Kommissarausbildung absolviert hatten – du meine Güte: Das war nun auch schon wieder gut und gerne 15 Jahre her! Und seitdem hatten sie sich immer wieder getroffen und den Kontakt gehalten, obwohl der eine von ihnen, Horst, von Sigmaringen über Tübingen und Ulm schließlich in Heilbronn gelandet war, und es Thomas endlich geschafft hatte, in den äußersten Süden, in seine Heimat am Bodensee nach Konstanz versetzt zu werden. Der wohnte in Meersburg, wo er auch aufgewachsen war, und fuhr jeden Tag mit der Autofähre über den See nach Konstanz in die Direktion. »So fängt jeder Tag eigentlich schon an wie ein richtiger Urlaubstag – besser kann man es gar nicht erwischen –, und bis ich wieder zu Hause bin, habe ich durch die Rückfahrt mit der Fähre schon längst alles abgestreift und komme heim: dorthin, wo andere Urlaub machen! Nein, keine zehn Pferde und keine noch so verlockende Polizeikarriere bringen mich jemals wieder vom See weg – lieber bleibe ich das, was ich bin, und ärgere mich jeden Tag über unsere Karrierehengste, als diese Mühle auf mich zu nehmen«, hatte Thomas mehr als einmal ein eindeutiges Bekenntnis zum Bodensee und seinem Wohnort Meersburg abgegeben und Horst hatte jedesmal eigentlich nur zustimmend nicken können.
Auch er genoss seit Jahren immer wieder die Stimmung am See, wobei er die alte Reichsstadt Überlingen als Standort favorisierte, die sich gerade in den letzten Jahren mächtig nach vorne entwickelt hatte. Und so war zwischen den beiden mehr als einmal ein freundschaftlich-deftiger Disput über die Frage ausgebrochen, welche Stadt am See denn nun die schönere und liebenswertere sei: Meersburg mit der alten Burg, den romantischen engen und steilen Gassen und dem großen Hafen oder Überlingen mit der größten Promenade am See und seiner verwinkelten Altstadt mit den vielen Lokalen und wunderschönen Strandbädern. Ein solcher verbaler Schlagabtausch würde mit Sicherheit auch dieses Mal zwischen den beiden geführt werden, darin war sich Horst jetzt schon sicher. Doch wie auch immer: Auch Horst hatte – sehr zur Verwunderung seines Kollegen – mittlerweile seine ideale Heimat gefunden. Dass dies ausgerechnet Heilbronn sein sollte, die zweitgrößte Stadt von Württemberg, hatte Thomas anfangs mit schallendem Gelächter quittiert – später dann, nach einigen Besuchen und manchem Glas Lemberger auf der jährlich im September stattfindenden Präsentation der Unterländer Weingüter in