Tatort Ostsee. Harald Jacobsen
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»Und da ist noch was.«
Hanjo sah sie erwartungsvoll an.
»Es ist mir ein bisschen peinlich. Ich weiß von der ertrunkenen Frau und da ist es wahrscheinlich nicht der passende Moment, aber ich habe nicht so lange Urlaub.«
»Worum geht es denn?«
»Ich würde gerne einen Kite-Schnupperkurs machen, falls das im Moment überhaupt möglich ist.«
Hanjo nickte und atmete tief durch. »Ja, ein furchtbarer Unfall. Natürlich sind wir alle sehr betroffen. Heute finden deshalb auch keine Kurse statt. Sarah war eine der Favoritinnen bei den Deutschen Meisterschaften. Olli, einer unserer Surflehrer, hat ihr beim Training geholfen. Ich glaube, er mochte sie sehr. Furchtbar, so was! Morgen wird aber alles wieder normal weitergehen. So schrecklich die Sache auch ist, wir sind trotzdem auf Schüler angewiesen. Der schnöde Mammon eben.« Sie nickte verständnisvoll. »Hinter dem Bistro steht so ein Gartenhäuschen. Es ist gewissermaßen das Büro der beiden Surflehrer. Ben müsste da sein. Er kann Ihnen sagen, ob noch ein Platz frei ist.«
»Vielleicht ist es doch besser, ich warte bis morgen!«
»Aber nein, das ist völlig in Ordnung! Und nun hole ich Ihren Kaffee.«
Hanjo ging in die Küche. Er war erleichtert, dass sich noch Gäste für die Schule interessierten. Er schenkte eine Tasse voll und legte einen Keks dazu. Es waren nicht mehr viele Kekse da. Freyas Vorräte neigten sich dem Ende zu. Bald würde er welche kaufen müssen. Er musste nach vorne blicken. Was geschehen war, war geschehen und wenn er jetzt aufgab, würde er nie wieder glücklich werden.
Sophie zahlte ihren Kaffee und verließ das Bistro. Pelle trottete zufrieden neben ihr her und leckte sich noch immer das Maul. »Du bist ein Fresssack!«, lachte sie. »Wie viel hat dein neuer Freund dir eigentlich ins Maul gestopft?« Sophie klopfte ihm den Rücken und steuerte das Gartenhaus an. Selbst wenn sie gar nicht vorgehabt hätte zu schnüffeln, wären ihr die Informationen nur so zugeflogen. Sie wusste jetzt, dass die Tote Sarah hieß und eine erfolgreiche Sportlerin gewesen war. Es konnte nicht schwer sein, auch den Nachnamen herauszubekommen. Noch interessanter war die Tatsache, dass dieser Olli sie angeblich sehr gemocht hatte. »Weißt du, Pelle, ich werde das Schicksal entscheiden lassen. Ich melde mich einfach nur zum Schnupperkurs an und halte Augen und Ohren offen. Wenn ich zufällig etwas erfahren sollte, dann ist es doch nur meine Pflicht, am Ball zu bleiben«, überlegte Sophie laut. Pelle hörte gar nicht mehr zu. Er rannte begeistert einem Kaninchen hinterher. Sophie erreichte die Hütte in dem Moment, als ein unverschämt gut aussehender Typ vor die Tür trat. Er trug ein Kiteboard unter dem Arm und erfüllte alle Klischees: braun gebrannt, blonde Locken, lässige Shorts. Ein Surfer wie aus einem Werbespot. Sophie konzentrierte sich auf ihren eigentlichen Plan. »Hey, bist du Ben?«
»Ja.« Ben warf ihr einen flüchtigen Blick zu. Seine Augen waren unbeschreiblich türkis und erinnerten sie an einen Swimmingpool.
»Hallo! Ich bin Sophie. Ich wollte mich für den Schnupperkurs anmelden. Ich hatte die Hoffnung, ich könnte heute noch durchstarten, aber der nette Herr aus dem Bistro meinte …«
»Morgen um 10!«, fiel Ben ihr schroff ins Wort und ging mit dem Board auf einen der Schuppen zu. Sophie schnappte nach Luft. Wie sollte sie jetzt weiter vorgehen? Pelle kam ihr zur Hilfe. Er rannte zu Ben und sprang an ihm hoch.
»Hey, wer bist denn du? Du wirfst mich ja noch um!«
»Das ist Pelle und er kann nicht sprechen«, konterte sie eine Spur zu zickig.
»Nicht?« Ben grinste verschmitzt. »Hat dein Frauchen einen schlechten Tag?«
»Nein, Frauchen ist total gut gelaunt! Bis morgen!«
»Hey, jetzt warte doch! Sorry, ich wollte nicht unhöflich sein, aber wir sind hier alle etwas daneben heute«, erklärte Ben und zögerte kurz. »Eine Bekannte von uns ist in der Nacht ertrunken.«
»Das tut mir leid.«
»Du willst einen Schnupperkurs machen?«
Sophie nickte.
»Surfen oder Kiten?«
»Kiten.«
Ben fuhr sich durch das Haar und nickte. »Kein Problem. Der Kurs beginnt morgen um 10. Wie war noch mal dein Name? Ach ja, Sophie.«
Sophie verabschiedete sich knapp und rief Pelle zu sich. Gemeinsam stiegen sie über die Holztreppe auf den Deich. Sie spürte, dass Ben ihr nachsah. Grinsend erinnerte sie sich, dass Stefan zwei Vorschläge gemacht hatte. Wenn es mit dem Kiten nicht klappen würde, könnte sie über den anderen nachdenken. Plötzlich piepte ihr Handy. Eine SMS. Felix? Wieso glaubte sie immer noch, dass Felix sich bei ihr melden würde? Nervös klappte sie ihr Telefon auf. Die Nachricht war von Lutz: ›Hämatome auf dem Oberkörper, Obduktion wurde angeordnet. Ruf mich nicht an.‹
Olli drehte das kalte Wasser auf und ließ die kleine Badewanne volllaufen. Er fühlte sich furchtbar. Der Cognac war keine gute Idee gewesen. Noch schlimmer war, dass er Ben rausgeschmissen hatte. Wenn er so weitermachte, war er bald auch seinen besten Kumpel los. Er hatte sich wie ein Arschloch benommen. Er musste endlich wieder klar denken können. Hoffentlich würde ein kaltes Bad ihn wieder auf die Beine bringen. Olli ließ sich in die Wanne plumpsen. Das kalte Wasser nahm ihm für ein paar Sekunden den Atem. Olli zählte langsam bis 100. Dann sprang er auf. Seine Haut kribbelte und er fühlte sich tatsächlich besser. Die Schocktherapie hatte gewirkt. Nur ein Gedanke quälte ihn. Hatte sie gefroren? Er konnte jetzt nicht weiter darüber nachdenken, sonst würde er verrückt werden. Er wickelte sich ein Handtuch um die Hüfte und sah sich in seinem Wohnmobil um. In nicht mal 24 Stunden hatte er sein Heim in eine Müllhalde verwandelt. Er zog sich schnell an und öffnete alle Fenster. Dann suchte er sich eine große Plastiktüte und sammelte die Flaschen und Kippen ein. Das Aufräumen tat ihm gut. Sich selbst würde er nicht so einfach wieder in Ordnung bringen können, das war ihm klar. Sarah hatte ihn fallen lassen wie eine heiße Kartoffel. Warum trauerte er ihr trotzdem nach? Er musste nach vorne blicken. Und dazu gehörte auch, dass er seinen Job machte. Jeder würde verstehen, dass er heute nicht unterrichten konnte, aber er musste zumindest anwesend sein. Es wäre nicht fair, Ben in dieser Situation hängen zu lassen. Entschlossen verließ Olli sein Wohnmobil und lief zur Hütte. Ben stand davor und sah einer hübschen Blondine nach. »Wer war das denn?«
Ben zuckte zusammen. »Ich hab dich gar nicht kommen hören.«
»Warst wohl anderweitig beschäftigt.«
»Ich habe heute gar nicht mit dir gerechnet.« Ben sah ihn besorgt an. »Geht es dir besser?«
»Nein, aber wenn ich noch länger in meinem Wohnmobil sitze, drehe ich durch.« Ben nickte. »Und wer war die Blondine da eben?«
»Nicht schlecht, oder?«, grinste Ben. »Tja, du Glücklicher! Die macht morgen bei dir einen Kitekurs.«
Olli zuckte zusammen. »Sarah ist erst ein paar Stunden tot.«
»Scheiße.« Ben biss sich auf die Unterlippe. »Das war dumm und gedankenlos. Ich bin ein Idiot.«
»Schon gut. Sorry, dass ich vorhin so ätzend war, aber ich bin von der Rolle.«
»Da kommt Clara!«, rief Ben erstaunt. »Die hat mir jetzt noch gefehlt.«
Olli versuchte zu