Herr Maiwald, der Armin und wir. Kai von Westerman
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Ansonsten haben sich alle Episoden, von denen er erzählt, genau so abgespielt.
Jedenfalls freue ich mich schon auf den nächsten Dreh mit ihm.
Armin Maiwald
1
WAS IST EINE SACHGESCHICHTE?
«Womit verdienst du eigentlich dein Geld?», wollte mein zukünftiger Schwiegervater von mir wissen.
Er war über Nacht mit dem Zug aus Warschau nach Köln gekommen. Wir verstauten seinen kleinen Koffer in einem Schließfach. Jetzt standen wir auf dem Bahnhofsvorplatz. Der steinerne Boden warf das grelle Licht der strahlenden Morgensonne zurück. Mein Schwiegervater blinzelte. Der kleine, kräftige Herr mit dem braungebrannten Gesicht und den weißen Haaren war nur für wenige Tage hier bei uns in Deutschland. Er wollte den Kölner Dom sehen und die Grabkapelle der ersten polnischen Königin Richeza. Er wollte das alles gleich erledigen, ohne sich erst von der unbequemen Reise zu erholen.
«Der erste Eindruck ist wichtig», erklärte der alte Mann, «Ich bin Reporter und kein Tourist.»
Er war viel gereist, hatte von Jerewan aus den Berg Ararat gesehen, war mit Hirten durch die kasachische Steppe gewandert, und in Georgien war er der Herkunft des Diktators Stalin nachgegangen.
Jetzt wollte er wissen: «Wer ist dieser Maiwald, für den du arbeitest?»
Es war nicht weit vom Dom ins Eigelsteinviertel.
Von der gegenüberliegenden Seite der engen Straße zeigte ich ihm das schmale sechsstöckige Haus, in dem Armin Maiwalds «FLASH Filmproduktion» untergebracht war.
Mein Schwiegervater schaute an der weißen Fassade hoch.
«Das ganze Haus?», fragte er.
«Die drei unteren Etagen, darüber sind Wohnungen, ganz oben wohnt der Chef. Wie ein Handwerksmeister über seiner Werkstatt.»
Da ging unten im Haus die Tür auf.
«Kommt doch rein», rief Nicola, die Produktionsleiterin und winkte uns heran. Nicola, Armin, sein Regieassistent und der Azubi hatten uns durch die großen Fenster im Erdgeschoss gesehen. Sie saßen gerade am runden Tisch im Foyer, tranken Kaffee und besprachen etwas.
Armin legte seine Zigarette im Aschenbecher ab.
Ich stellte meinen Schwiegervater und Armin einander vor. Sie waren fast gleich alt und hatten einen ähnlichen Beruf.
Mein Schwiegervater bewunderte kurz die zahllosen, säuberlich gerahmten Urkunden, welche die Wände des hohen Raumes bedeckten, nickte anerkennend und bemerkte auf polnisch: «Auch ich wurde für meine Arbeiten mit zahlreichen nationalen und internationalen Preisen ausgezeichnet.»
Ich übersetzte.
Armin grinste. Er tat gerne so, als wären ihm seine Auszeichnungen allesamt völlig wurscht.
Nachdem sich die beiden weißhaarigen älteren Herren auf diese Weise ein Bild voneinander gemacht hatten, verabschiedeten wir uns wieder.
Auf dem Weg zum Bahnhof ließ sich mein Schwiegervater erklären, welche Art Filme Armin Maiwald drehte: «Fast jeder in Deutschland kennt seine kurzen Filme für DIE SENDUNG MIT DER MAUS», erläuterte ich. «Diese Filme sollen Kindern Alltagsdinge erklären, wie etwas geht oder funktioniert, wo etwas herkommt oder wie es gemacht wird. Man nennt diese Filme Sachgeschichten.»
Meine Braut übersetzte den Begriff dieses Filmgenres: «Dokumentarische Erzählungen über alltägliche Dinge».
«Und was soll das sein: alltägliche Dinge?», bohrte der alte Reporter aus Polen nach, während wir uns auf den engen Gehsteigen zwischen parkenden Autos und Passanten hindurch drängelten.
«Die Filme beantworten solche Fragen wie: ‹Warum fliegt ein Flugzeug?› oder ‹Wie kommen die Löcher in den Käse?›, manche Filme zeigen, was jemand in seinem Beruf arbeitet. Es gibt Filme über alle Themen: von Atomkraft bis Zuckerwürfel, auch über den Tod.»
Ich hob den Zeigefinger und erklärte: «Diese Filme zeigen nur, was ist. Sie bewerten nicht.»
«Und warum mit der Maus?», fragte mein Schwiegervater.
«Weil zwischen den Filmen immer kurze Zeichentrickfilme mit einer orangefarbenen Maus gezeigt werden.»
Als wir schon auf dem Bahnsteig warteten, sagte mein Schwiegervater: «Ich habe eine andere Idee, wie man über die Alltagswelt der Erwachsenen erzählen könnte. In meinen Filmen würde eine weise Eule den Kindern die Dinge erklären…»
Der Fuchs ist listig, der Wolf ist böse und Schafe sind dumm. Die Eule wird in manchen Kinderbüchern mit Brille und Buch dargestellt, oder als Lehrer in der Schule der Waldtiere.
Als ich Kind war, gab es im deutschen Fernsehen tatsächlich einen Vogel, der in kleinen Filmen die Alltagswelt der Erwachsenen erkundete. Ob es ohne diesen Vogel die Sachgeschichten gäbe?
Dieser Fernsehvogel war keine Eule.
Unser Vogel war der Vertreter einer ziemlich gewöhnlichen Art: Klein, graubraun gefiedert, flink und ohne Scheu. Diese Vogelart gab es auf dem Land genauso zahlreich wie in der Stadt. Und gerne da, wo Menschen sind. Es war ein Spatz.
2
WER WAR «DER SPATZ VOM WALLRAFPLATZ»?
Ob er manchmal noch in der alten Platane sitzt?
Am Wallrafplatz, mitten in Köln, gleich neben dem Funkhaus, nicht weit vom Dom. Längst sucht ihn keiner mehr. Die Jüngeren kennen ihn nicht und für die Älteren ist er nur eine Erinnerung: an ausgedehnte Kindernachmittage zwischen Schularbeiten und draußen spielen.
Neulich war ich mit meinem Sohn in Köln. Wir gingen gerade an der mächtigen Betonfassade des Funkhauses entlang. Der grau gepflasterte Platz war von hohen Häuserfronten umschlossen. Der Zehnjährige suchte die Geschäfte nach einer Eisdiele ab. Ich legte dem Jungen eine Hand auf die Schulter, nötigte ihn sanft, stehen zu bleiben und zeigte ihm, wo der SPATZ VOM WALLRAFPLATZ sein Nest hatte.
Das einzige Runde auf diesem viereckigen Platz war die steinerne Einfassung des Beetes, aus dem die alte Platane wuchs. Die Äste ihrer weit ausladenden Baumkrone beherrschten den Platz.
Da saß der Spatz!
Er sah aus, als wäre er aus zwei bräunlichen Wollknäueln zusammengesetzt: Ein kleineres Wollknäuel als Kopf, mit spitzem Schnabel aus grauer Pappe; große schwarze Knopfaugen, weiß hinterlegt, neugieriger Blick. Das zweite, dickere braune Wollknäuel bildete den Rumpf des Spatzen, daran zwei kurze Flügel wie aus bunten Flicken.
Er flatterte davon. Wie aufgescheucht.
War ein echter Spatz.
«Hast