Hat China schon gewonnen?. Kishore Mahbubani

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Hat China schon gewonnen? - Kishore Mahbubani

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      Chinas größter strategischer Fehler bestand darin, mehrere große Wählergruppen in Amerika zu verprellen, ohne sich vorher gründlich zu überlegen, welche Folgen das haben könnte. Professorin Susan Shirk zählt zu Amerikas bekanntesten Sinologinnen. Sie beobachtete, dass niemand China in Schutz genommen habe, als Präsident Trump seinen Handelskrieg gegen China verkündete: „Obwohl die USA und China am Rand einer wirklich feindlichen Beziehung stehen, ist keine Gruppe an die Öffentlichkeit gegangen und hat sich für das amerikanisch-chinesische Verhältnis ausgesprochen, ganz zu schweigen davon, dass jemand China verteidigt hätte. Keine Unternehmen, keine China-Gelehrten und schon gar nicht jemand aus dem Kongress.“1 Ganz anders war das in den 1990er-Jahren, als es darum ging, China vom Meistbegünstigungsprinzip auszunehmen. Damals regte sich an verschiedenen Ecken der Geschäftswelt Protest.

      Es überrascht, dass China sich von Amerikas Geschäftswelt derart entfremdet hat. Amerikas Unternehmen konnten und können bis heute gewaltige Gewinne in China erzielen, insofern sollten sie sich zumindest in der Theorie doch vehement für ein gutes Verhältnis zwischen USA und China einsetzen. Tatsächlich verfolgen Amerikas Geschäftsleute keinerlei ideologische Ziele. Was sie interessiert, sind ausschließlich die Geschäftszahlen ihrer Unternehmen. Sie wollen bloß einfachen Zugang zum gewaltigen chinesischen Markt, um dort Umsatz und Gewinne steigern zu können. Zahlreiche amerikanische Unternehmen haben in der Vergangenheit von China profitiert und trotzdem sprang praktisch keines China gegen Trumps Angriffe zur Seite. Was ist da schiefgelaufen? Die Geschichte ist kompliziert. Um zu begreifen, wie es zu dieser Entfremdung mit der amerikanischen Unternehmenswelt kam, sollten wir uns zunächst Erfolgsgeschichten von US-Konzernen wie Boeing, General Motors (GM) und Ford in China ansehen.

      Boeing hat enorm vom chinesischen Markt profitiert. Das Unternehmen hat dort über 2.000 Flugzeuge verkauft und der Umsatz in China hat sich von 1993 bis 2017 von 1,2 Milliarden auf 11,9 Milliarden Dollar verzehnfacht, wodurch der Anteil des Geschäfts mit Verkehrsflugzeugen an Boeings Gesamtumsatz von 5,7 auf 21 Prozent kletterte.2,3 Im November 2018 teilte Boeing mit: „Chinas Flotte an Verkehrsflugzeugen wird sich im Verlauf der nächsten 20 Jahre voraussichtlich mehr als verdoppeln. Boeing prognostiziert, dass China bis zum Jahr 2038 7.690 neue Flugzeuge im Gesamtwert von 1.200 Milliarden Dollar benötigen wird.“4 Natürlich hat Boeing durch China gewaltige Gewinne erzielt und viele Arbeitsplätze für amerikanische Arbeitnehmer erschaffen. Genauso wichtig: Die Nachfrage aus China hat Boeing geholfen, raue Zeiten zu überstehen. In einem Bericht heißt es: „Der chinesische Markt gewann für Boeing noch zusätzlich an strategischer Bedeutung, als das Unternehmen in den frühen 1990er-Jahren während einer globalen Rezession gezwungen war, die Produktion zu kürzen und Stellen abzubauen. Inmitten der wirtschaftlichen Flaute blieb das Geschäft in China konstant. 1990 erhielt Boeing einen Auftrag für Flugzeuge im Wert von neun Milliarden Dollar, lieferte 1992 sein 100. Flugzeug nach China und gerade einmal zwei Jahre später bereits das 200. 1993 erwarb China ein Sechstel sämtlicher Flugzeuge, die Boeing verkaufte.“5

      Mit Airbus besitzt Boeing nur einen einzigen ernsthaften Wettbewerber auf der Weltbühne, insofern ist der Erfolg auf dem chinesischen Markt wenig überraschend im Vergleich zu dem Erfolg, den Amerikas Pkw-Bauer in China hatten. Amerikanische Automobilhersteller zählen nicht zu den konkurrenzfähigsten der Welt. Selbst auf dem heimischen Markt waren sie in den 1980er-Jahren der Konkurrenz aus Japan dermaßen stark unterlegen, dass sogar Präsident Ronald Reagan, ein eingeschworener Befürworter freier Märkte, der staatliche Interventionen eigentlich verabscheute, die Japaner stark unter Druck setzte, bis sie freiwilligen Exportbeschränkungen zustimmten. Wäre Reagan seiner Ideologie der freien Märkte treu geblieben, hätte er japanischen Pkw-Herstellern uneingeschränkten Zugang zu den amerikanischen Verbrauchern gestatten müssen. Hätte er das getan, hätte es durchaus dazu kommen können, dass die amerikanische Automobilindustrie mit wehenden Fahnen untergegangen wäre.

      Warum also haben die vergleichsweise wenig konkurrenzfähigen amerikanischen Automobilhersteller in China derart gut abgeschnitten? Ihr Erfolg ist erstaunlicher und weniger absehbar als Boeings. Insbesondere GM hat eine echte Erfolgsgeschichte geschrieben. 2018 verkaufte der Konzern 3,64 Millionen Fahrzeuge in China, 2017 steuerte der dortige Markt 42 Prozent zum Gesamtumsatz des Konzerns bei.6 2013 nannten das Magazin Forbes und Jonathan Brookfield von der Universität Tufts einen Grund für den Erfolg von GM in China: die Gemeinschaftsunternehmen, die man mit einheimischen Herstellern betrieb. Bei Forbes hieß es: „Partnerschaften vor Ort sind für alle Unternehmen, die ihre Präsenz im Ausland ausbauen, von großer Bedeutung. Das gilt umso mehr in China, wo die einheimischen Partner über enge Verbindungen zur Kommunistischen Partei verfügen – und die bestimmt, wer in welchem Geschäftsfeld aktiv sein wird und für wie lange.“7 Und Brookfield merkt an, dass ein zentraler Baustein für den „langfristigen Erfolg (von GM) in China“ die Partnerschaft von GM mit Shanghai Automotive Industry gewesen sei: „So wichtig war das Geschäft, dass der damalige Vizepräsident Al Gore und Chinas Ministerpräsident Li Peng 1997 bei der förmlichen Unterzeichnung des 50:50-Joint-Ventures anwesend waren. 1999 verkaufte Shanghai GM Buicks so schnell, wie es sie herstellen konnte.“8

      Diese Unternehmen hatten sich auf anderen globalen Märkten, wo ein starker Konkurrenzdruck herrschte, nicht etablieren können, warum also gelang das in China? Die glaubwürdigste Theorie für den Erfolg auf dem chinesischen Markt: Chinas Regierung traf aus politischen Gründen die Entscheidung, sich bei der Versorgung seines Volks mit Autos nicht ausschließlich auf Hersteller aus Europa und Japan zu verlassen. Angesichts des komplizierten und häufig belasteten Verhältnisses zwischen China und Japan wäre es politisch nicht tragbar gewesen, dass sich China abhängig von Automobilen aus Japan macht. Insofern wäre es nicht überraschend, sollte die chinesische Regierung die Regeln auf dem Automarkt dahingehend manipuliert haben, dass amerikanische Pkw-Hersteller in den Genuss besonderer Vorteile kamen.

      Der Entschluss der chinesischen Regierung, Platz für amerikanische Autos zu schaffen, hat dazu geführt, dass GM und Ford in China gewaltige Gewinne erzielten. Ihre Erlöse auf dem dortigen Markt waren höher als die auf dem US-Markt. CNN berichtete am 7. Februar 2017: „China ist jetzt GMs größter Markt. Das dortige Umsatzwachstum hat den Konzern in eine Größenordnung geführt, die er nicht einmal damals erzielt hat, als er der weltgrößte Pkw-Hersteller war. Während der Absatz des Konzerns in den USA leicht zurückging, der erste Rückgang auf GMs Heimatmarkt seit 2009, meldet GM das vierte Jahr in Folge einen Rekord beim Gesamtabsatz. Der amerikanische Automarkt hat nach sieben Jahren Wachstum in Folge seinen eigenen Rekord aufgestellt, könnte 2016 aber seinen Höhepunkt überschritten haben. Die Rekordabsätze des vergangenen Jahres verhalfen GM mit 12,5 Milliarden Dollar, einem Plus von 16 Prozent, zu einem Rekord beim Betriebsgewinn. Gerade einmal sieben Jahre zuvor hatte GM staatliche Finanzhilfe in Anspruch nehmen und ein Konkursverfahren durchlaufen müssen.“9 Kurzum: China hat mit GM einer der großen Wirtschaftsikonen Amerikas zu neuer Blüte verholfen.

      Boeing und GM gehören zu den größten Produktionsunternehmen der amerikanischen Wirtschaft. Sie haben auf dem chinesischen Markt gewaltige Gewinne erzielt, insofern hätten sie eigentlich zu den lautesten Stimmen zählen sollen, die sich für eine Win-win-Beziehung zwischen Amerika und China starkmachen. Tatsächlich war die Geschäftswelt in den USA in den frühen Jahren der chinesisch-amerikanischen Beziehungen zuversichtlich und optimistisch, was China anging. Als Präsident Bill Clinton 1993 versuchte, die Frage, ob China weiterhin in den Genuss des Meistbegünstigungsprinzips („Most Favoured Nation“-Status) kommen sollte, an Menschenrechtsfragen zu koppeln, meldete die New York Times: „Viele amerikanische Unternehmen […] haben im Weißen Haus und im Kongress vehement für eine Verlängerung von Chinas Privilegien geworben und darauf verwiesen, dass Milliarden Dollar in Exporten genauso wie Tausende Arbeitsplätze auf dem Spiel stünden.“ Weiter argumentierten sie, „wenn man Handelsprivilegien dafür nutze, Menschenrechte und Rüstungsgeschäfte anzusprechen, werde das nur wenig dazu beitragen, die Chinesen zu überzeugen. Einige Manager argumentierten zudem, dass es den Vereinigten Staaten beim Durchsetzen ihrer politischen Ziele helfen könne, wenn man an China verkaufe.“10

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