Hat China schon gewonnen?. Kishore Mahbubani
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Diese großartigen Universitäten erfüllen eine weitere wichtige Aufgabe für Amerika. Sie sind der Kanal, über den die klügsten Köpfe der Welt angelockt werden, nach Amerika zu kommen, um dort zu leben und zu arbeiten. Diese großartigen Universitäten, Hochschulen wie Harvard, Yale, Stanford und Columbia, schauen, wenn sie Lehrkräfte einstellen, nicht auf die Nationalität oder ethnische Zugehörigkeit einer Person. Sie wählen die Besten ihres Fachs aus, egal woher sie kommen. Wenn es darum geht, Talente aus aller Welt anzulocken und zu halten, können im Rest der Welt nur wenige Universitäten mit den amerikanischen Unis mithalten. Das einzige Land, das eines Tages eine größere Bevölkerung als China haben könnte, ist Indien. China wird nicht imstande sein, die besten Talente aus Indien anzulocken. Amerika ist das gelungen und wird es auch weiterhin gelingen. Das wird eines Tages zu einem symbiotischen Verhältnis zwischen Indien und Amerika führen. Amerika und Indien sind die größten Wettbewerber, mit denen sich China in Zukunft wird auseinandersetzen müssen, und diese beiden Länder finden möglicherweise zusammen und kooperieren. Wir müssen jetzt hart daran arbeiten, dass es nicht so weit kommt.
Amerikas fünfter großer strategischer Vorteil erklärt auch den außergewöhnlichen Erfolg seiner Hochschulen: Amerika ist Teil einer großen Zivilisation – der westlichen Zivilisation.
Seit Anbeginn der Menschheitsgeschichte war unsere Zivilisation auf Augenhöhe zu vielen westlichen Zivilisationen. Tatsächlich haben wir mehr Produkte erfunden als sie – das Schießpulver, den Kompass, das Papier, die Druckkunst.21 Dennoch fiel unsere Zivilisation hinter den Westen zurück, während dieser die großartige Renaissance durchlebte, die Aufklärung und schließlich die Industrielle Revolution. All dies mündete nach dem Opiumkrieg von 1840 in das große Jahrhundert der Erniedrigung. Insofern wäre es ein strategischer Fehler, die Stärke und die Vitalität der westlichen Zivilisation zu unterschätzen.
Mitglied der großen westlichen Zivilisation zu sein, bringt für das amerikanische Volk viele Vorteile mit sich. Es verleiht ihm ein genauso großes kulturelles Selbstvertrauen, wie es bei unserem Volk der Fall ist. Amerika ist jedoch nicht das einzige Mitglied dieser Zivilisation.
Die großen Staaten Europas sowie Australien, Kanada und Neuseeland gehören ihr ebenfalls an. Insofern wird Amerika bei einer geopolitischen Auseinandersetzung nicht allein dastehen. Zwischen allen Mitgliedern der westlichen Zivilisation herrscht ein großes gegenseitiges Vertrauen und das gilt im Speziellen für die angelsächsischen Mitglieder der „Five Eyes“-Allianz, einer Kooperation der Geheimdienste von Australien, Kanada, Neuseeland, Vereinigtem Königreich und Vereinigten Staaten. Wenn sich der geopolitische Konkurrenzkampf zwischen unseren Ländern aufheizt, werden sich die anderen Mitglieder des Westens hinter Amerika stellen und ihm helfen, indirekt oder direkt.
Abschließend möchte ich sagen: Während wir unser großes Ringen mit Amerika beginnen, wäre unser größter strategischer Fehler der, die Macht und Stärke des Landes zu unterschätzen. Dieses Land tauchte vor 250 Jahren aus dem Nichts auf. Es ist viel jünger als wir. Doch trotz seiner Jugend (oder vielleicht auch deshalb) besitzt Amerika eine der dynamischsten Gesellschaften, die die Menschheit je gesehen hat. Bereiten wir uns auf den größten geopolitischen Wettstreit aller Zeiten vor. Wollen wir unser historisches Ziel erreichen und bis 2049 unsere nationale Verjüngung abgeschlossen haben, werden wir diesen Wettstreit für uns entscheiden müssen.22
Dieses Memo mag fiktiv sein, aber ich denke, es gibt exakt wieder, wie die chinesische Elite Amerika sieht. Es herrscht dort echter Respekt für die großen Stärken, über die Amerika verfügt. Selbst Huawei-Gründer Ren Zhengfei hat öffentlich seinen Respekt für Amerika bekundet, obwohl die Amerikaner seine Tochter verhaftet haben und sein Unternehmen in Amerika massiv Prügel einstecken musste. Infolgedessen wird die chinesische Führung gewaltige Anstrengungen unternehmen, einen ausgewachsenen geopolitischen Wettstreit mit Amerika so lang wie möglich hinauszuzögern. Es ist ein Paradoxon des großen geopolitischen Wettstreits, der sich in den kommenden Jahrzehnten zwischen Amerika und China abspielen wird, dass diese Auseinandersetzung genauso unvermeidlich wie vermeidbar ist. Unvermeidlich ist sie, weil viele der politischen Entscheider, die für das taktische Vorgehen verantwortlich sind, von einer Psychologie besessen sind, laut der Wettbewerb zwischen großen Mächten stets ein Nullsummenspiel ist. Das bedeutet: Wenn China seine Marinepräsenz im angrenzenden Südchinesischen Meer verstärkt, wird die US Navy dies als Niederlage ansehen und ihrerseits ihre Präsenz in der Region verstärken. Ich hoffe, hier aufzeigen zu können, dass es keinen grundlegenden Interessenkonflikt zwischen den Vereinigten Staaten und China gibt, wenn es darum geht, die Freiheit der Schifffahrt in den internationalen Gewässern zu gewährleisten. Tatsächlich hat China sogar ein stärkeres Interesse an der Freiheit der Schifffahrt als Amerika.
Ein zentrales Ziel dieses Buchs ist es, den dichten Nebel der Missverständnisse, der die chinesisch-amerikanischen Beziehungen einhüllt, fortzublasen, damit beide Seiten besser die zentralen Interessen der anderen Seite begreifen (wenn schon nicht gutheißen) können.
Nun sorgt ein besseres Verständnis nicht automatisch für Frieden und Harmonie. Aus rein ideologischen Gründen muss jede amerikanische Regierung Sympathie für die Demonstranten in Hongkong bekunden, die mehr Rechte einfordern. Die öffentliche Meinung in Amerika verlangt, dass die Vereinigten Staaten die Demonstrationen unterstützen. Eine gewiefte amerikanische Regierung sollte der öffentlichen Meinung jedoch als Gegengewicht ein fundiertes Verständnis für die zentralen Interessen der chinesischen Führung entgegenstellen. Ein chinesischer Anführer, der den Anschein erweckt, Schwäche im Umgang mit Territorien zu zeigen, die China im 19. Jahrhundert im Augenblick seiner größten Schwäche entrissen wurden, wird von seinem Volk abgeurteilt werden und rasch sein Amt verlieren.
Insofern hoffe ich, dass die Leser meines Buchs nach der Lektüre ein besseres Verständnis der Dynamiken besitzen, die beide Seiten antreibt. Das Buch lässt Raum für einen möglicherweise optimistischen Abschluss. Wenn wir daran glauben, dass wir in einem Zeitalter der Vernunft leben, in dem nüchterne, rationale Schlussfolgerungen und ein geopolitisches Verständnis für die zentralen Interessen des Gegenübers die öffentliche Politik bestimmen, dann ist es beiden Seiten möglich, eine Langzeitpolitik auszuarbeiten, die verhindert, dass die Länder unaufhaltsam auf einen so schmerzhaften wie unnötigen Zusammenstoß zusteuern.
Eine wichtige Statistik sollten die Anführer in Amerika wie auch in China ständig im Hinterkopf behalten: In Amerika leben 330 Millionen Menschen, in China sind es 1,4 Milliarden. Das sind gewaltige Zahlen, aber die Summe von 1,7 Milliarden macht keine 25 Prozent der Weltbevölkerung aus. Innerhalb der restlichen 75 Prozent ist vielen Menschen inzwischen klargeworden, dass die Menschheit auf einem kleinen, engmaschig verknüpften und stark bedrohten Planeten lebt, von dem wir alle abhängig sind. Insofern wird der Rest der Welt wenig Nachsicht zeigen, sollten Amerika oder China extrem oder irrational handeln.
Amerikas Gründungsväter haben in der Unabhängigkeitserklärung verlangt, dass das amerikanische Volk „Anstand und Achtung für die Meinungen der Menschheit“ zeigt. Wann gab es je einen besseren Zeitpunkt als heute, diesen Rat anzunehmen? Die Welt ist ein komplizierter Ort. Dieses Buch wird die Komplexität durchdringen und Empfehlungen für den Umgang mit ihr abgeben.
Auf dem Weg zum freudigen Zielpunkt dieser optimistischen Schlussfolgerung müssen wir zunächst durch freudloses Territorium reisen. Deshalb befasst sich dieses Buch zunächst mit einer Analyse der wichtigsten strategischen Fehler, die China und Amerika begangen haben. Viele der schmerzhaften Beobachtungen, die ich hier mache, könnten beim chinesischen Publikum genauso für Unbehagen sorgen wie beim amerikanischen. Doch China und Amerika können nur dann lernen, zusammenzuarbeiten, wenn sie erkennen, wo beide Seiten falschlagen. Deshalb wird unsere Reise an diesem Punkt beginnen.