Öffentliches Recht im Überblick. Volker M. Haug
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Gleichwohl war mit der Gründung der EU ein starkes politisches Signal verbunden, dass sich die Verbindung der Mitgliedstaaten nicht nur wirtschaftlich, sondern umfassend politisch verstand. Besonders unterstützt wurde dieser Aspekt durch die Einführung einer europäischen Unionsbürgerschaft (dazu unten mehr, Rn. 55 ff.), die die jeweiligen nationalen Staatsangehörigkeiten ergänzte.
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Außerdem wurde im Rahmen des Maastricht-Vertrages der EG-Vertrag durch die Schaffung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion qualitativ vertieft. Damit war nicht nur eine Koordination der Wirtschaftspolitik der EG-Staaten verbunden, sondern auch die Geburtsstunde der 2002 eingeführten Gemeinschaftswährung „Euro“ und eines europäischen Zentralbanksystems. Zugleich wurde mit den Konvergenzkriterien Preisniveaustabilität, Verschuldungsgrenzen für öffentliche Haushalte, Wechselkursstabilität und niedrige langfristige Zinsen (vgl. Art. 140 I AEUV; sog. „Maastricht-Kriterien“) eine – leider in der Folgezeit nicht immer eingehaltene – Grundlage für den Erfolg des Euros gelegt, die in Zeiten der Euro-Krise wieder stärker ins allgemeine Bewusstsein getreten ist.[4]
c) Vertrag von Nizza (2001) und starke Erweiterung der Union
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Bei der Konferenz von Nizza (2000) wurde die Handlungsfähigkeit der EU durch die verstärkte Ersetzung des Einstimmigkeitsprinzips durch das Prinzip qualifizierter Mehrheiten bei der Beschlussfassung im (Minister-)Rat erhöht. Zugleich wurde die – rechtlich allerdings zunächst nicht verbindliche – Charta der Grundrechte der EU (GRC) proklamiert.[5]
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In der Folgezeit vergrößerten sich die europäischen Gemeinschaften (und damit die EU) durch zahlreiche weitere Beitrittsländer erheblich. So kamen zunächst 1995 Finnland, Österreich und Schweden (15 Mitglieder, sog. EFTA-Erweiterung) und später im Rahmen der Osterweiterungen Polen, Tschechien, die Slowakei, Ungarn, Slowenien sowie die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen, aber auch Malta und Zypern (2004: 25 Mitglieder) sowie Bulgarien und Rumänien (2007: 27 Mitglieder) hinzu. Der Club der Zwölf hatte sich damit innerhalb relativ kurzer Zeit mehr als verdoppelt. Mit Kroatien (2013) als bislang letztem Beitrittsland gehörten der EU von 2013 bis 2020 28 Mitgliedstaaten an.[6] Seit dem Brexit im Januar 2020 (s.u. Rn. 49 f.) sind es wieder 27 Mitgliedstaaten.
d) Vertrag von Lissabon (2007)
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Der nächste – und bislang letzte – größere Integrationsschritt der EU erfolgte mit dem Vertrag von Lissabon, der 2007 verabschiedet wurde und 2009 (nach seiner Ratifikation in allen Mitgliedstaaten) in Kraft getreten ist. Zuvor war der Versuch einer europäischen Verfassungsgebung gescheitert. 2001 war ein „Konvent zur Zukunft Europas“ damit beauftragt worden, einen EU-Verfassungsvertrag zu erarbeiten. Dieses Vertragswerk wurde jedoch bei Volksabstimmungen in Frankreich und in den Niederlanden abgelehnt, was einen ersten schweren Rückschlag des bis dahin völlig ungehinderten Integrationsprozesses der EU bedeutete.[7] Ein großer Teil der Inhalte des gescheiterten Verfassungsvertrags konnte jedoch – allerdings ohne die darin vorgesehene Staatssymbolik wie Hymne, Flagge und Leitspruch – im Lissabon-Vertrag verankert werden.[8]
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Durch den Lissabon-Vertrag wurden die primärrechtlichen Verträge – der Vertrag über die Europäische Union (EUV) und der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) – in ihre heutige Form gebracht, die in den nachfolgenden Abschnitten näher erläutert wird. An dieser Stelle sollen jedoch einige Eckpunkte hervorgehoben werden:
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– | Die Dreisäulenstruktur wurde zugunsten eines einheitlichen Rechtsträgers abgeschafft. Die Europäische Gemeinschaft ist in der Europäischen Union als Rechtsnachfolgerin aufgegangen (Art. 1 III EUV).[9] Die noch verbliebenen Felder der intergouvernementalen Zusammenarbeit (GASP) wurden in das Unionsrecht überführt (Art. 21–46 EUV). Daher stellt die Union seit 2009 nicht mehr ein bloßes Dach über mehrere Säulen, sondern selbst den einheitlichen Rechtsträger dar.[10] |
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– | Die Grundrechtecharta wird den europäischen Verträgen ausdrücklich gleichgestellt (Art. 6 I UA 1 EUV) und damit nicht nur rechtlich verbindlich gemacht, sondern auf der Ebene des Primärrechts verankert (zu den Begriffen und Ebenen des Primär-, Sekundär- und Tertiärrechts siehe unten, Rn. 182–207). |
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– | In institutioneller Hinsicht wird der Europäische Rat (neben dem Ministerrat, s.u. Rn. 123 ff.), der hauptsächlich aus den Staats- und Regierungschefs besteht, im EUV verankert (Art. 13 I EUV). Das Europäische Parlament wird weiter gestärkt und im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren dem (Minister-)Rat als grundsätzlich gleichberechtigter Mitgesetzgeber zur Seite gestellt (Art. 294 AEUV). |
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– | Schließlich werden auch die Rechte der einzelnen Mitgliedstaaten gegenüber der Union gestärkt. Von besonderer Bedeutung ist die Einführung der sog. Subsidiaritätsrüge. Diese kann von nationalen Parlamenten erhoben werden, wenn sie in einem Rechtsakt der EU eine Verletzung des Subsidiaritätsprinzips (dazu s.u., Rn. 211 f.) zulasten der nationalen Kompetenzen zu erkennen meinen (Art. 12 EUV, 23 Ia GG). Zugleich wird die Kompetenzabgrenzung zwischen Union und Mitgliedstaaten in Art. 4 I EUV verdeutlicht, wonach alle nicht ausdrücklich der Union zugewiesenen Aufgaben bei den Mitgliedstaaten verbleiben. Durch die Betonung des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung liegt die Kompetenz-Kompetenz[11] bei den Mitgliedstaaten (Art. 5 EUV); der Union ist es daher nicht gestattet, ohne konkrete Ermächtigung durch die Mitgliedstaaten ihre Aufgabenfelder einseitig auszuweiten. Das Bundesverfassungsgericht hat dies mit der Formel, dass die souveränen Mitgliedstaaten „Herren der Verträge“ sind, zum Ausdruck gebracht.[12] Schließlich wird erstmals ausdrücklich die Möglichkeit eines freiwilligen Austritts aus der Union im EUV verankert (Art. 50). |
e) Zusammenfassende Übersicht
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Abbildung 4:
Entwicklung der EU