Öffentliches Recht im Überblick. Volker M. Haug
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Vertiefungshinweis:
Fischer/Fetzer, Europarecht, Rn. 43-57b.
a) Brexit
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Von der Austrittsmöglichkeit in Art. 50 EUV hat Großbritannien Gebrauch gemacht. So votierte die britische Bevölkerung am 23.6.2016 mit 51,9 % (bei einer Abstimmungsbeteiligung von 72,2 %) für den Austritt aus der EU („Brexit“), woraufhin die britische Regierung mit Schreiben vom 29.3.2017 das Austrittsverfahren gem. Art. 50 II EUV eingeleitet hat. Nach mehreren Verlängerungen der damit begonnenen zweijährigen Austrittsfrist gem. Art. 50 III EUV endete die britische EU-Mitgliedschaft am 31.1.2020. Die im Austrittsabkommen vereinbarte Übergangsfrist läuft zum 31.12.2020 ab, so dass der Brexit seit 2021 voll wirksam ist.[13]
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Neben populistischer und unsachlicher Kritik an der EU spiegelt sich in dieser Entwicklung ein auch in vielen anderen EU-Staaten (ausweislich entsprechender Wahlergebnisse für EU-skeptische Parteien) festzustellendes Unwohlsein mit dem Integrationsprozess einer immer engeren, immer mehr Politikfelder besetzenden und unübersichtlicher werdenden Union.
b) Rechtsprechung des BVerfG
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Auch in Deutschland zeigt sich dieser Trend. In besonderer Weise gilt dies für die Verfassungsbeschwerden, die sowohl gegen den Maastricht-Vertrag von 1992 als auch gegen den Lissabon-Vertrag von 2007 (bzw. gegen die deutschen Ratifikationsgesetze dazu) erhoben wurden. In beiden Fällen hat das BVerfG die Verfassungsbeschwerden zugelassen, weil die Souveränitätsübertragungen auf die EU den Entscheidungsspielraum des Bundestags gegenständlich reduzieren und dadurch das grundrechtsgleiche Wahlrecht jedes einzelnen mittelbar betroffen sei.[14] In inhaltlicher Hinsicht wurden die Verfassungsbeschwerden dann zwar zurückgewiesen. Aber das BVerfG hat die Gelegenheiten dazu genutzt, der deutschen Politik klare Grenzen für den weiteren Integrationsprozess ins Stammbuch zu schreiben. So erhebt es in beiden Entscheidungen ausdrücklich den Anspruch, als nationales Gericht eines Mitgliedstaates Rechtsakte der Union für unwirksam zu erklären, wenn sie über den Kreis der der EU übertragenen Kompetenzen hinausreichen („ultra vires“). Außerdem müssen nach der Maastricht-Entscheidung dem Bundestag „Aufgaben und Befugnisse von substantiellem Gewicht verbleiben“, damit das vom GG besonders geschützte (deutsche) Demokratieprinzip gewahrt ist.[15] Noch sehr viel deutlicher wird das Gericht schließlich im Lissabon-Urteil. Dort betont es einen Vorbehalt deutscher Staatlichkeit, was in der Nennung von nicht auf die EU übertragbaren Politikfeldern (Strafrecht, innere und äußere Sicherheit mit staatlichem Gewaltmonopol, Steuern und Haushalt, Sozialstaat, grundlegende Kulturfragen) konkret ausformuliert wird. In Verbindung mit der Ewigkeitsgarantie (s.u., Rn. 306 f.) hält es daher eine Weiterentwicklung der EU zu einem Bundesstaat aus grundgesetzlicher Sicht für ausgeschlossen.[16]
3. Rechtscharakter
Vertiefungshinweis:
Fischer/Fetzer, Europarecht, Rn. 36-42.
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Was für ein rechtliches Gebilde ist die EU nun eigentlich? Die klassischen Rechtsformen Bundesstaat und Staatenbund passen jedenfalls nicht so richtig. Für einen Bundesstaat sind die Mitgliedstaaten als „Herren der Verträge“ zu stark. Für einen Staatenbund hingegen ist die Union zu stark, die immerhin auf vielen Politikfeldern durch supranationales – also für die Mitgliedstaaten bindendes – Recht verbindliche Vorgaben machen kann. Zum Staatenbund passt es eben nicht, dass die Mitgliedstaaten schon weitreichende Souveränitätsrechte schrittweise an die Union übertragen haben. Aber gerade diese Supranationalität – d.h. die themenspezifische Überordnung der EU über die Einzelstaaten – ist ein zentrales Merkmal des rechtlichen Charakters der EU.[17] Hinzu kommt die für einen Staatenbund völlig atypische Unionsbürgerschaft, wonach die Angehörigen der Mitgliedstaaten zugleich unmittelbar Bürger der EU sind (s.u., Rn. 55 ff.).
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Das BVerfG hat in seiner Lissabon-Entscheidung daher einen Begriff geprägt, der zwischen diesen beiden klassischen Kategorien liegt. Danach handelt es sich bei der EU um einen „Staatenverbund“, den das Gericht wie folgt näher definiert hat:[18]
„Der Begriff des Verbundes erfasst eine enge, auf Dauer angelegte Verbindung souverän bleibender Staaten, die auf vertraglicher Grundlage öffentliche Gewalt ausübt, deren Grundordnung jedoch allein der Verfügung der Mitgliedstaaten unterliegt und in der die Völker – das heißt die staatsangehörigen Bürger – der Mitgliedstaaten die Subjekte demokratischer Legitimation bleiben.“ (BVerfGE 123, 267 [348])
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Abbildung 5:
Rechtscharakter der EU
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Neben dieser eher juristisch-abstrakten Einordnung der EU in das begriffliche Arsenal staatsähnlicher Erscheinungsformen legt das europäische Primärrecht selbst fest, dass die EU gem. Art. 47 EUV Rechtspersönlichkeit (also die Fähigkeit zu eigenem und rechtsverbindlichen Handeln) besitzt. Zudem verfügt die Union gem. Art. 335 AEUV in jedem Mitgliedstaat über „die weitestgehende Rechts- und Geschäftsfähigkeit“, die juristischen Personen nach den jeweiligen nationalen Vorschriften eingeräumt ist. Diese zweifache Erwähnung der Rechtsfähigkeit legt nahe, dass Art. 47 EUV die Rechtsfähigkeit „nach außen“ meint, also die Qualität als Völkerrechtssubjekt. Danach hat die EU die Fähigkeit zum Abschluss internationaler Verträge oder der Mitgliedschaft in internationalen Organisationen. Demgegenüber meint Art. 335 AEUV die „nach innen“ gerichtete zivilrechtliche Rechtsfähigkeit, wozu etwa die Eigentumsfähigkeit, die Arbeitgeberfähigkeit u.Ä. zählen. Müsste man die EU in die Kategorien juristischer Personen nach deutschem Recht einordnen, wäre sie am ehesten – wie die Bundesrepublik, die Bundesländer und die Kommunen – als Gebietskörperschaft anzusehen, weil sie öffentlich-rechtlich zu charakterisieren ist und sich ebenfalls über ein bestimmtes Territorium definiert.[19]
4. Unionsbürgerschaft
Vertiefungshinweis:
Art. 20-25 AEUV
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Durch die Unionsbürgerschaft knüpft die EU ein unmittelbares rechtliches Band zu ihren Bürgern. Sie löst sich damit aus der Rolle einer nur-überstaatlichen Körperschaft, die lediglich ihre Mitgliedstaaten als rechtliches Gegenüber kennt. Die Unionsbürgerschaft ergänzt die nationale(n) Staatsangehörigkeit(en), ersetzt sie aber nicht (Art. 20 I 3 AEUV).
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