Allgemeines Verwaltungsrecht. Mike Wienbracke
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Im Ergebnis lässt sich der Begriff „Verwaltung“ aufgrund der Vielgestaltigkeit ihrer Tätigkeitsbereiche, Aufgabenstellungen, Struktur und Handlungsformen wohl jedoch nicht definieren, sondern nur beschreiben. Die Verwaltungswissenschaft[10] unterscheidet insoweit zwischen der staatlichen Verwaltung im
• | organisatorischen Sinn: Gesamtheit der Verwaltungsträger und ihrer Untergliederungen (Rn. 49), sofern sie vom Staat getragen und in der Hauptsache materiell verwaltend tätig werden; |
• | materiellen Sinn: diejenige Staatstätigkeit, welche die Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben (Rn. 6) zum Gegenstand hat; |
• | formellen Sinn: die gesamte von der staatlichen Verwaltung im organisatorischen Sinn (s.o.) ausgeübte Tätigkeit – unabhängig davon, ob es sich um Verwaltung im materiellen Sinn (s.o.) oder um Regierung oder Gesetzgebung handelt. |
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Neben der Unterscheidung zwischen Verwaltungsorganisation und -tätigkeit lässt sich der Begriff „Verwaltung“ freilich auch noch nach weiteren Gesichtspunkten wie dem Gegenstand der Verwaltung, den Rechtswirkungen für den Bürger (u.a. Eingriffsverwaltung = Verwaltung greift in die Rechtssphäre des Bürgers ein und beschränkt dessen Freiheit oder Eigentum, d.h. legt diesem Verpflichtungen und Belastungen auf; z.B. Gewerbeuntersagung), der Rechtsform, dem Grad der Gesetzesbindung sowie der Gliederung der Verwaltungsorganisation ordnen. Im Hinblick auf das Kriterium „Aufgabe“ bzw. „Zwecksetzung“ der Verwaltung kann v.a. differenziert werden zwischen:[11]
• | Ordnungsverwaltung: Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch Abwehr der diesen drohenden Gefahren (z.B. Versammlungsverbot); |
• | Leistungsverwaltung: gezielte Unterstützung Einzelner und Bereitstellung öffentlicher Einrichtungen inkl. der Daseinsvorsorge (z.B. Zahlungen nach dem BAföG); |
• | Gewährleistungsverwaltung: staatliche Gewährleistung der Leistungserbringung durch Private (z.B. Postwesen); |
• | Lenkungsverwaltung: Förderung und Steuerung von Lebensbereichen (z.B. Gewährung zinsverbilligter Kredite für den Erwerb von Solaranlagen); |
• | Abgabenverwaltung: Beschaffung der für den Staat erforderlichen Geldmittel durch die Erhebung von Steuern und sonstigen Abgaben (v.a. Gebühren und Beiträge); |
• | Bedarfsverwaltung: Beschaffung der persönlichen und sachlichen Mittel, welche die Verwaltung zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigt (z.B. Kauf von Büromöbeln). |
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Innerhalb des Verwaltungsrechts als der Summe der die Verwaltung zur Erfüllung ihrer vorgenannten Aufgaben legitimierenden Rechtssätze[12] hat sich in der Literatur[13] die Unterscheidung zwischen Allgemeinem und Besonderem Verwaltungsrecht durchgesetzt. Während das Allgemeine Verwaltungsrecht die hier näher behandelten rechtlichen Struktur- und Querschnittsfragen zum Gegenstand hat, welche für sämtliche Zweige der Verwaltung von Bedeutung sind (v.a. Gesetzmäßigkeit, Handlungs- und Organisationsformen der Verwaltung, Verwaltungsverfahren, typische Fehler der Verwaltung und ihre Folgen sowie die Vollstreckung von Verwaltungsentscheidungen), wird unter dem Begriff des Besonderen Verwaltungsrechts die Vielzahl der speziellen verwaltungsrechtlichen Sachmaterien zusammengefasst (z.B. Ausländer- und Asylrecht, Bauordnungs- und -planungsrecht, Beamtenrecht, Kommunalrecht, Polizei- und Ordnungsrecht, Umweltrecht, Sozial- und Steuerrecht, Straßenverkehrsrecht, Straßen- und Wegerecht sowie Wirtschaftsverwaltungsrecht).
Hinweis
„Das Allgemeine Verwaltungsrecht muss beherrscht werden […]; das Besondere Verwaltungsrecht muss hingegen lediglich in […] Teilbereichen bekannt sein.“[14]
Kodifiziert worden ist das Verwaltungsverfahrensrecht auf Bundesebene erst mit Wirkung zum 1.1.1977[15]; zuvor wurde insofern auf allgemeine – ungeschriebene – Rechtsgrundsätze zurückgegriffen. Die Verwaltungsverfahrensgesetze der 16 deutschen Bundesländer entsprechen dem VwVfG des Bundes inhaltlich im Wesentlichen (Rn. 152). Auf EU-Ebene fehlt es bislang dagegen an einem umfassend kodifizierten Verwaltungsverfahrensrecht, so dass insoweit v.a. auf die vom EuGH entwickelten allgemeinen Rechtsgrundsätze des EU-Rechts zurückzugreifen ist.[16] Im Einzelnen ist zu unterscheiden zwischen einerseits dem – ausnahmsweisen – (sog. direkten) unionsinternen und -externen Vollzug des Rechts der EU durch deren Organe selbst sowie andererseits dem Regelfall des (sog. indirekten) Vollzugs sowohl des unmittelbar anwendbaren als auch des erst mittelbar – über entsprechende nationale Umsetzungsakte – wirkenden EU-Rechts durch die Mitgliedstaaten der EU.[17] Zur im letzten Fall zu beachtenden Überformung namentlich des § 48 VwVfG durch das EU-Recht siehe Rn. 321.[18]
Anmerkungen
BVerfGE 9, 268 (279 f.).
BVerfGE 68, 1 (86); 98, 1 (15).
Innerhalb dieser kann noch zwischen der Gubernative (Regierung) und der Administrative (Verwaltung) differenziert werden, siehe Wienbracke Staatsorganisationsrecht S. 40 m.w.N.
Nachweise bei Ehlers in: ders./Pünder, Allgemeines Verwaltungsrecht § 1 Rn. 6.
Wolff in: ders./Bachof, Verwaltungsrecht I 9. Auflage 1974 § 2 Rn. 19: „Öffentliche Verwaltung im materiellen Sinn ist […] die mannigfaltige, konditional oder nur zweckbestimmte, also insofern fremdbestimmte, nur teilplanende, selbstbeteiligt entscheidend ausführende und gestaltende Wahrnehmung der Angelegenheiten von Gemeinwesen und ihrer Mitglieder als solcher durch die dafür bestellten Sachwalter des Gemeinwesens“.
Mayer Deutsches Verwaltungsrecht Band I 3. Auflage 1924 (Nachdruck 1969) S. 7.
Jellinek Verwaltungsrecht 3. Auflage 1931 (Nachdruck 1966) S. 6.