Oswald Kollreider 1922–2017. Eleonora Bliem-Scolari
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Inhalt
Oswald Leonhard Kollreider Die zwei Türen in eine Welt, Notizen aus dem Nachlass
Eleonora Bliem-Scolari Begegnung
Leo Andergassen Kollreider sakral
Vor dem Elternhaus in St. Oswald, 1950er-Jahre
Die Geschwister Theresia und Oswald mit ihrer Mutter
Oswald Leonhard
Kollreider
Die zwei Türen
in eine Welt,
Notizen aus
dem Nachlass
Der Künstler sperrt die zwei Türen auf, die sein Atelier von der Außenwelt trennen. Es braucht Geschick, um die neue Welt betreten zu können. Die äußere Tür öffnet nach innen, die innere nach außen. Das unterschiedliche Schlüsselpaar zu diesem Raum gibt er ungern aus der Hand, sperrt persönlich auf und versperrt die Welt wieder, obwohl in seinem Elternhaus und all den Nachbarhäusern die Haustür niemals versperrt war. Selbst die Schwalben flogen durch eine Öffnung über der Haustür in den breiten Hausgang – die Lawe –, um dort ihr Nest zu bauen, zu brüten und die jungen Schwalben aufzuziehen, bis sie flügge waren. Oswald Kollreider erlebte sein Heranwachsen nicht wesentlich anders.
Als jüngstes Kind war er besonders im Blickpunkt seiner Mutter. Die um zwei Jahre ältere Schwester Theresia hatte zudem einen mütterlichen Auftrag, auf den Oswald zu schauen. Das Leben schien diesen Auftrag zu verstärken, denn die ältere Schwester Maria starb mit zehn Jahren, Oswalds ältester Bruder Johann verunglückte mit 23 Jahren. Der Schrecken des Zweiten Weltkriegs, die schwere Kriegsverletzung von Oswald zusammen mit den familiären Verlusten machen es verständlich, dass die beiden Geschwister ein besonderes Schutzbedürfnis und eine starke Haltung des Beschützens entwickeln. Theresia hat dies zu ihrer Lebensaufgabe gemacht; eine innige Beziehung zwischen zwei Geschwistern, die uns bei Künstlern immer wieder begegnet. »Mein geliebtes Schwesterherz« ist die Anrede in unzähligen Briefen an seine Schwester und das geliebte Schwesterherz hat sich bei Vernissagen immer neben ihren Bruder gestellt, so als wäre sie die Künstlerin oder die Ehefrau des Künstlers. Im langen gemeinsamen Leben übernahm Theresia auch das Erzählen von Oswalds Reiseerlebnissen, nur in manchen Passagen der Erzählung griff er ein und meinte, so und so sei es gewesen, schließlich habe er und nur er dies so erlebt. Die Schwester dokumentierte akribisch die Reisen ihres Bruders. Auf einer Weltkarte platzierte sie kleine Fähnchen – eine Vorwegnahme der digitalen Standortbestimmung –, auf der die aktuelle Reise nachgezeichnet worden war.
Sein Atelier, der zentrale Raum seines künstlerischen Schaffens hinter den zwei Türen, ist ein Raum mit Fenstern nach Süden. Bei Sonnenschein füllt er sich mit hellem Licht, wirkt fast sakral. Als Arbeitstisch steht ein Möbelstück mit Schubladen direkt am Fenster, darauf wird geschrieben, gezeichnet und gerahmt. Oswald Kollreider verwendet mit wenigen Ausnahmen immer dieselbe Technik, seine Bilder zu rahmen. Er zieht auf einer Pressspanplatte das Bild mit einem unterlegten Passepartout auf, fixiert die Glasscheibe mit einem weißen Papierklebestreifen, den nässt er mit einem Schwamm und zieht ihn vorsichtig und sehr genau auf die Scheibe und über den Plattenrand. Abschließend drückt er ihn mit einem Baumwolltuch fest. So entsteht ein neutraler Rahmen, der das Bild in den Mittelpunkt rückt. Das Rahmen der Bilder für eine Ausstellung war mit viel Arbeit verbunden, ein großes Gewicht ging durch die Hand des Künstlers. Immer wieder betonte er, wie viel er gearbeitet hatte. Das bezieht sich nicht nur auf sein künstlerisches Schaffen, sondern auch auf die schwere Arbeit des Rahmens der Bilder. In den Schubladen des Arbeitstisches bewahrt er seine Bilder wie in einer Schatztruhe auf.
Als zweites wichtiges Möbel steht eine Staffelei im Raum. Sie ist aus massivem Holz und ermöglicht ein freies Arbeiten, vor allem in den am meisten verwendeten Formaten 70 x 50 bzw. 100 x 70 cm. An der Westwand steht ein Ausstellungsmöbel mit raumgroßen Seiten aus Holztafeln. Hier können Interessierte die Bilder anschauen und wie in einem Buch blättern. Der Rest des Raumes ist gefüllt mit gerahmten Bildern, einer Couch, Stapeln von Druckwerken, Unüberschaubarem. An der Wand hängt ein verbrannter Christustorso, den er aus dem Brandschutt einer rumänischen Kapelle geborgen hat, dazu eine Zeichnung desselben. Zahlreiche Urkunden dokumentieren daneben die Auszeichnungen des Malers.
Und wo immer Oswald Kollreider sich aufhält, hat er ein Kofferradio bei sich. Im Atelier steht es am Fensterbrett. Ein Radio geht immer mit auf Reisen, zuhause gibt es mehrere dieser Geräte. Es sind erstklassige Modelle mit Batterien betrieben; Weltradios, die jeden Sender empfangen können. Im Atelier hört er häufig Opern- und Operettenmusik. Er singt die Lieder durchaus mit Überzeugung und mit Inbrunst im Opernton, oft zusammen mit seiner Schwester: »Glücklich ist, wer vergisst, was nicht mehr zu ändern ist …«, »Ach, ich hab sie ja nur auf die Schulter geküsst …«, »Wunderbar, wunderbar, diese Nacht ist sternenklar …« Das Welt-radio ermöglicht ihm die Verbindung zur kleinen lokalen und der großen weiten Welt; für einen Menschen, der ständig unterwegs ist, ein unverzichtbarer Alltagsgegenstand.
Das Reisen prägt Oswald Kollreiders Leben und Werk: Dazu gehören intensive Vorbereitungen, Materialbeschaffung – Zeichen- und Malpapier, Aquarell- und Temperafarben –, alles zusammen sehr schwer und kaum zu transportieren. Der Maler wählt deshalb oft Reisebegleiter aus seinem persönlichen Umfeld, die ihn als Träger, Chauffeure und Assistenten bei der Arbeit unterstützen. Zu den Vorbereitungen gehört auch das Impfen, besonders für die Reisen in die Tropen, dokumentiert in neun Impfpässen, darin 82 verzeichnete Impfungen durch die Amtsärzte in Lienz, Kitzbühel, Innsbruck, Guatemala und auf dem Flughafen von Singapur.
In die Welt aufgebrochen ist Kollreider mit seiner in der Kindheit geprägten Wahrnehmung. Motive, Farben und Licht hat er in St. Oswald eingesaugt. Vom Weiler St. Oswald mit den 23 Häusern sieht man weit ins Land hinein, die kürzeste Sonnenscheindauer beträgt selbst in langen Wintertagen sechs Stunden. Diesem Licht konnte er sich nicht entziehen. Licht und Farbe in allen Facetten spiegeln auch sein Inneres, seine Zerrissenheit als dieses Kind einer kleinen Welt, aber immer auch hinausgezogen in die weite Welt, von der er zurückkehrt und im Halt seiner Kindheit ankommt. Dort ist er umgeben von Alltagsreligion – religiöse Praktiken und Rituale bestimmen das dörfliche Leben –, von Pflichtbewusstsein und von einem feinen Geflecht an familiärer, dörflicher Gemeinschaft. Unmittelbar nach einer Reise besucht er als festes Ritual seine Brüder mit ihren Familien und schildert ausführlich seine Erlebnisse. Der Bericht enthält die künstlerischen