Reise Know-How ReiseSplitter: Im Schatten – Mit dem Buschtaxi durch Westafrika. Thomas Bering
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Die Bevölkerung plagt sich derweil weiterhin unter der erbarmungslosen Sonne. Wenn sie nicht Linderung beim geografischen Nachbarn oder gleich im wohlhabenden Norden sucht. Schon bald sehne auch ich mich nach kühlendem Schatten – nach dem Komfort und dem körperlichen Wohlbehagen, den er in diesen Breitengraden verspricht, als einziger Schutz vor einer alles versengenden Hitze.
PROLOG
Geborgenheit in Weite
Weit unter mir schlägt der Guadalquivir silbrig glänzend seine letzten Haken zum Atlantik. Am Horizont quält sich die matte Februarsonne durch den wolkenverhangenen Himmel und zaubert einen Hauch von Abendröte über Andalusien. Dann setzt der Flieger bei Frühlingstemperaturen sanft in Jerez de la Frontera auf.
So oder so ähnlich beginnt Reisebelletristik gewöhnlich, die von den Abenteuern einer Überlandreise und den Begegnungen unterwegs berichtet. Aber bei diesem Bericht über meine Erlebnisse zwischen Andalusien und Guinea sollen nicht der silbrig glänzende Guadalquivir oder andere Naturschönheiten im Mittelpunkt stehen. Die „Jenseits-von-Afrika-Romantik“ wird allenfalls Statist am Rande sein. Falls es diese abseits von Hollywood-Filmen überhaupt je gab. Ich erzähle hier von einer kräftezehrenden, manchmal die Grenzen des Erträglichen überschreitenden Reise, ein paar tausend Kilometer nach Süden in das Herz Westafrikas. Dabei ist mir Trauriges begegnet, aber vieles hat mich auch zum Schmunzeln gebracht. Doch das meiste war bitterer Ernst, wenn der auch manchmal einer gewissen Komik nicht entbehrte. Letztendlich führt mich mein Weg in drei Monaten bis nach Conakry, ehemals das „Paris Afrikas“. Die Hauptstadt Guineas, am Atlantik gelegen, jedoch kurioserweise nicht am Golf von Guinea: Der beginnt erst weiter südöstlich in Liberia. Zumindest wenn ich der Internationalen Hydrographischen Organisation Glauben schenken darf, die sich um solche Themen kümmert.
„Wohin? Nach Mauretanien? Guinea-Bissau? In die Spanische Sahara? Was, zum Teufel, gibt es da zu sehen?“
„Ähm …, keine Ahnung. Sehr viel … vermutlich. Wahrscheinlich endlose Wüsten, aber auch Savannen und … tja, Menschen, das pure Leben!“, entgegne ich ein wenig stockend.
„Eben! Sand, Schmeißfliegen, dürre Rinder, verhungernde Kinder, ganz viel Elend! Und was machst du da?“
„Schauen, erleben, …?“, so meine zögerliche Antwort, „… und natürlich reisen!“
„Ist das nicht gefährlich?“
„Das werde ich sehen“, antworte ich und sehe selbst Fragezeichen vor meinem inneren Auge.
So verlaufen die meisten Gespräche, während ich mich für den Aufbruch rüste. Niemand reagiert begeistert. Eher werden vorsichtige Fragen nach meiner Zurechnungsfähigkeit gestellt. Ich sehe mehr ernstgemeinte Sorge als wehmütigen Neid auf mein kleines Abenteuer. Mir fällt es schwer, auf den Punkt zu bringen, was genau ich eigentlich in dieser Ecke der Welt suche. Reisen bedeutet für mich aber entdecken, das Erleben des Unbekannten, neue Erfahrungen – ungeplant und spontan. Auf meinen bisherigen Reisen fand ich viele Orte, die mich berührt haben, an denen ich mir vorstellen konnte, gerne zu leben. Ich hoffte, auch in Westafrika auf solche Orte zu stoßen, die ich immer erst dann erkenne, wenn ich dort bin. „Eine lange Reise muss mit einer Entdeckung verbunden sein, sonst ist sie Zeitverschwendung“, schrieb einst der US-amerikanische Schriftsteller und Afrikakenner per exellence Paul Theroux (*1941).
Egal, was ich im Vorfeld lese, mein Bild von Westafrika bleibt lückenhaft und vage. Beste Voraussetzungen für eine Vor-Ort-Erkundung. Ich werde die Reise allein antreten. Was so manchem einsam erscheinen mag, bietet auch Vorteile. „Wenn man alleine reist, hat man insbesondere die Freiheit, sein zu können, wer man will. […] In Afrika hat der Reisende unbegrenzte Freiheit, und Afrika selbst verstärkt die Erfahrung, wie es kein anderer Ort kann“, so Theroux. Perfekt, ein Grund mehr! Denn reisen bedeutet für mich auch das Glück, festzustellen, dass ich überall auf der Welt klarkomme, mich in fremden Kulturen bewegen kann, heimisch werde. Dieses Gefühl und die Befriedigung, die sich dann einstellt, beschreibt ein Freund als „Geborgenheit in Weite“.
Westafrika zieht mich seit geraumer Zeit an wie ein Magnet. Mit jedem neuen Informationsfetzen komme ich der Region näher, wird ihre Anziehungskraft stärker. Dass Westafrika für mich bis dato eine Art Wundertüte mit unbekanntem Inhalt ist, stachelt meine Neugier nur weiter an. Wer weiß schon viel über das Westafrika südlich der Sahara? Ein Haufen größerer und kleinerer Staaten, die kaum jemand auf der Landkarte verorten kann. Dort locken keine Begegnungen mit großen Wildtierherden wie in Ostafrika, keine kulturhistorisch einzigartigen Monumente wie die Pyramiden und keine charmanten Altstädte wie Stone Town auf Sansibar. Hier scheinen nur politische Instabilität, Bürgerkrieg, Armut, Elend und Ebola zu Hause zu sein. „Shithole-Countries“, wie der vermeintlich allwissende Präsident Trump seinerzeit messerscharf konstatierte. Aber gibt es in Westafrika wirklich nichts als Elend? Wie leben und denken die Menschen dort und was hält diese Länder davon ab, sich aus dem Elend zu befreien? Einfacher ausgedrückt: Was zur Hölle ist da unten eigentlich los? Diese Fragen sind wohl meine stärkste Antriebsfeder.
Das Sammelsurium meiner Beweggründe bleibt trotzdem eine diffuse Melange. Der berühmte britische Afrikaforscher Richard Francis Burton (1821–1890) bringt es vielleicht auch für mich auf den Punkt. Aus dem Kongo schrieb er einst an einen Freund und beantwortete sich selbst kurz und bündig die Frage nach dem „Warum“ seiner Reise: „Und die einzige Antwort ist, verdammter Narr […], dich reitet der Teufel’.“
Spätestens mit den steigenden Flüchtlingszahlen aus dieser Weltgegend reifte zudem der Wunsch in mir, einen der Migrationskorridore afrikanischer Flüchtlinge kennenzulernen und in umgekehrter Richtung zu bereisen: die Route aus dem Afrika südlich der Sahara, die Europa über die Straße von Gibraltar erreicht. Warum reise ich in entgegengesetzter Richtung zur Flüchtlingsroute? Ganz einfach: Wichtig ist mir, die Region südlich der Sahelzone über Land zu erreichen und dabei langsam den Ursachen und Wurzeln der Wanderungsbewegung näherzukommen. Ich möchte nicht einfach bei 38 °C und 90 % Luftfeuchtigkeit in Conakry aus dem Flugzeug fallen, sondern den Kulturschock Afrika mit jedem Kilometer in kleinen Dosen verabreicht bekommen. Mir ist klar, dass bei diesem Projekt der Weg das Ziel ist. Ich möchte Hitze, Sand und Staub spüren, zumindest eine vage Vorstellung von den Strapazen bekommen, die Flüchtlinge in der Gegenrichtung auf sich nehmen. Wenn ich auch in der Touristenklasse reisen kann, sofern denn eine vorhanden ist – die Hitze, die Schlaglöcher und die schlechten Pisten sind für alle gleich.
Wer flüchtet wovor? Welche Umstände treiben so viele Menschen dazu, in Europa ein besseres Leben oder Asyl zu suchen? Diese Fragen treiben mich um. Kurz gesagt, ich will die Lebensbedingungen in Afrika südlich der Sahelzone und auf dem Weg dorthin kennenlernen. Mir ist bewusst, dass ich nicht das Gefühl erleben werde, nur aufgrund der Anwesenheit am falschen Ort illegal zu sein, entdeckt und verhaftet zu werden. Der deutsche Pass öffnet auch in Westafrika Tür und Tor. Manchmal gibt es ein wenig Spektakel, aber im Endeffekt geht es nur um den Preis, müssen halt ein paar Euro zusätzlich zum Visum fließen. Meine Angst „entdeckt“ zu werden, wird sich auf dreiste Diebe beschränken. Für die soll ich als „reicher“ Europäer eine wandelnde Geldbörse und das perfekte Ziel sein. Das jedenfalls will man mir beim Aufbruch weismachen.
Reisenden mit einem minimalen Anspruch an Komfort und einem etwas größeren an die eigene Sicherheit bieten sich heute nicht mehr allzu viele Alternativen, die Sahara zu durchqueren. Abgesehen von der Küstenpiste durch Marokko und Mauretanien sind derzeit alle Trans-Sahara-Routen aufgrund bewaffneter Konflikte versperrt, da manche der Kämpfer im Namen des Herrn zu langwierigen Geiselnahmen und steinzeitlichen Massakern