About Shame. Laura Späth
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Wir kämpfen alle um Geschichte. Zumindest um unsere: zuerst ums Überleben, dann darum, das in eine »erzählbare« Form zu bringen, dann darum, die Geschichte erzählen zu dürfen und schließlich um das Zuhören der anderen.
Bei dem Versuch, sie »erzählbar« zu machen, folgen wir bestimmten »Erzählzwängen« – so nennt man das in Teilbereichen der sozialwissenschaftlichen Forschung. Diese Erzählzwänge zielen darauf ab, den Zuhörenden erstens eine Geschichte verständlich zu machen, also alle wichtigen Kontexte zu benennen und die Geschichte innerhalb eines größeren Zusammenhangs zu verorten. Zweitens zu unterscheiden zwischen den relevanten und irrelevanten Facetten der Erzählung – nur die von dem*der Erzähler*in als bedeutsam befundenen Aspekte schaffen es in die Erzählung. Und drittens die Erzählung an einigen Stellen mit notwendigen oder ausschmückenden Details zu füllen, unterschiedliche Punkte der Geschichte miteinander zu verbinden und dadurch eine in sich konsistente und schlüssige Geschichte entstehen zu lassen.
Für uns sind konsistente Erzählungen selbstverständlich – ist eine Geschichte nicht konsistent, haben wir oft Verständnisschwierigkeiten, befinden sie als »schlecht«, »unzusammenhängend« oder »langweilig«. Und so, wie wir es mit diesen Erzählungen anstellen, machen wir es auch mit unserer eigenen Geschichte, unserem Leben. Auch hier unterliegen wir unbewusst ständig diesen Erzählzwängen, sowohl in Gesprächen mit anderen als auch in unserer eigenen Auseinandersetzung mit unserem Leben.
Wir vergessen, dass wir, jede und jeder Einzelne von uns, einen eigenen Kampf um Geschichte führen. Jeden Tag. Dabei geht es zum einen um die Entscheidungen, die wir tatsächlich treffen, die Handlungen, die wir wirklich ausführen und die Gedanken, die wir uns machen, während wir damit beschäftigt sind, unser Verhalten irgendwie zu koordinieren. Auf dieser, sagen wir mal, Handlungs- und Verhaltensebene gibt es den Kampf um Geschichte.
Und dann gibt es die Deutungs- oder Erzählebene. Es ist die Ebene, auf der wir versuchen zu bestimmen, wie wir unsere Geschichte erzählen, wie wir über uns sprechen. Auf dieser Ebene bewegen wir uns, wenn es um Selbstinszenierung geht, wenn es um die vielen Gespräche in Cafés oder an Küchentischen geht, bei denen wir von den Treffen mit anderen Menschen erzählen, von misslungenen Dates, von miesen Arbeitsverhältnissen, von unseren verständnislosen Eltern – und ja, von unseren Bedürfnissen, unseren Träumen. Davon, dass wir gerne mal ein schwedisches Landhaus hätten, um darin ein Buch zu schreiben.
Alles, was auf der Handlungsebene passiert, spielt auch für die Deutungsebene eine Rolle, weil es darin aufgearbeitet wird: Indem wir über uns und unser Verhalten sprechen, versuchen wir immer, es einzuweben in eine bestimmte Vorstellung von uns selbst, eine Geschichte über uns selbst, unsere Geschichte. Es geht um Sinngebung. Es geht darum, ein Bild von uns zu zeichnen – wer wir sind, was uns ausmacht, sich selbst einen Sinn zu geben.
Eine Aufgabe, die wir unter dem Begriff der »Selbstverwirklichung« fassen. Und es klingt zwar nach viel, tatsächlich machen wir es aber die ganze Zeit. In jeder Erzählung, schon in jedem Gedanken. Ganz automatisch versuchen wir, alle Ereignisse und Gefühle irgendwie in unser Erzählschema einzuordnen, sodass dabei am Ende eine spannende, wenn auch nicht zu dramatische, aber auf jeden Fall eine erfolgreiche, schöne Story rumkommt.
… übers Scheitern
Die Sache mit dem Erfolg steht in Verbindung mit dem Zwang, Konsistenz herzustellen. Wir sind so an Geschichten mit einem irgendwie – und sei es noch so verdreht – positiven Ende, oder zumindest einem kleinen Lichtblick im Drama, gewöhnt, dass wir Geschichten ohne Erfolgsmoment oft nicht einmal denken können. Aus jeder noch so beschissenen Situation versuchen wir, etwas »Gutes« zu machen, damit wir es danach auch genau so erzählen können. Wie mit der Zitrone, aus der man dann Limo macht und so: Es darf kein Scheitern geben! Die Zitrone darf unter keinen Umständen vergammelt oder eklig sein und genauso wenig dürfen wir etwas erleben, was sich nicht in unsere Geschichte einfügen lässt. Vollkommen sinnloses Leid beispielsweise. Wir unternehmen mentale Verrenkungen sondergleichen, um jede noch so leidvolle, schmerzhafte Dreistigkeit gewaltsam in die Geschichte einzuweben und ihr dadurch einen Sinn zu verleihen.
All das, um dem Scheitern keinen Raum zu geben. Weil in unserer Gesellschaft nichts so sehr schambehaftet ist wie das Scheitern.
Die Figur des Scheiterns: Sie erweckt meine Aufmerksamkeit in einem Uni-Seminar über Bekenntnisse und (Selbst-)Zeugnisse. Wir nehmen darin autobiografische Geschichten und Selbstzeugnisse in den Blick, untersuchen sie soziologisch und immer wieder fällt mir auf, wie sehr sich Leute bemühen, eine Geschichte des Erfolgs zu erzählen. Ab diesem Moment bin ich angefixt von der Frage, warum wir Geschichten, vor allem die Geschichten über uns selbst, so erzählen, wie wir sie erzählen. Und vor allem: Was wir dabei nicht erzählen. Worüber wir schweigen. Was wir fein säuberlich aussparen in den Erzählungen über uns selbst. Warum wir jeden Misserfolg und die Momente des Scheiterns außen vor lassen, wenn sie nicht dazu dienen, letzten Endes doch noch zu einem Happy End gewendet zu werden oder es eigentlich noch zu unterstreichen: Nur aufgrund des vorherigen Scheiterns sei dieses und jenes letztendlich möglich gewesen.
Ich konzentriere mich in meiner Seminararbeit auf die Figur des autobiografischen Scheiterns ohne jene Wendung zum Guten im Deutschrap: Dabei stelle ich fest, dass es eine Form von Tracks gibt, die ich »Kennst du das auch«-Tracks nenne: Deutschrapper schildern schlimme Gefühle und Situationen und fragen dann, ob man das auch kenne. Eigentlich ist das ein ganz gängiges Motiv, auch in der Literatur: Hesse fragt »Kennst du das auch?« genauso wie Musiker und andere Künstler. Inhalt des Motivs ist natürlich von Zeit zu Zeit unterschiedlich und von der allgemeinen Lebensrealität abhängig. Aber: Dieses Motiv verweist eigentlich immer auf die Suche nach Verbindung, und zwar im Leid und im Scheitern. Menschen bemühen es meistens da, wo sie es nicht mehr schaffen, etwas so zu erzählen, dass es in ihr Erfolgs-Narrativ passt. Dann bleibt oft nur noch zu hoffen, dass andere den eigenen Zustand verstehen, anerkennen und man dadurch nicht allein in seinem Scheitern verweilt.
Auch nach dem Seminar begleitet mich eine Faszination für das Scheitern. Ich suche, finde aber kein vollkommenes Scheitern, keine Schilderung über das Scheitern, die nicht am Ende doch positiv gewendet wird. Seit diesem Seminar interessiere ich mich nicht nur für das Scheitern, sondern auch für die Frage, wie man eigentlich Geschichten erzählt, wie man sie in Form bringt und vor allem: welche Möglichkeiten es gibt, die eigene Geschichte zu erzählen und was es eigentlich bedeutet, das auch wirklich zu tun.
Simone de Beauvoir schreibt über einen Teil ihrer Autobiografie Eine gebrochene Frau:
»Ich fühle mich mit allen Frauen verbunden, die ihr Leben auf sich nehmen und dafür kämpfen, daß es glücklich wird; aber das hindert mich nicht daran, mich besonders für jene Frauen zu interessieren, die dabei mehr oder weniger gescheitert sind, und darüber hinaus für all die Niederlagen, die es in jedem Leben gibt.«1
Auch mich begeistern die Geschichten nicht sonderlich, die dem Zwang zum Erfolg folgen. Viel mehr interessieren mich Niederlagen, Punkte des Scheiterns, Momente, die sich subjektiv meist wie das größtmögliche Unglück und das Ende der Welt anfühlen.
Aber welches Gefühl ist es wirklich, das wir im Scheitern in den allermeisten Fällen empfinden? Was versuchen wir in unserem Scheitern zu verbergen? Ihr wisst die Antwort, sonst hättet ihr das Buch nicht in den Händen.
… und über Scham
Kaum etwas erscheint so bedrohlich wie das Scheitern: Die meisten Menschen haben verständlicherweise enorme Angst vor Obdachlosigkeit, schweren Krankheiten, sozialer Isolation, schweren finanziellen Nöten und anderen Gefahren für die Existenz.