About Shame. Laura Späth

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу About Shame - Laura Späth страница 9

Автор:
Серия:
Издательство:
About Shame - Laura Späth

Скачать книгу

ich es bin, die etwas macht oder sich verhält oder auch nur etwas (an sich) hat. Diese Mädchen lachen und grenzen mich für das aus, was ich bin. Ich werde wegen vollkommen willkürlicher Sachen ausgelacht: meiner Gangart beispielsweise. Eines dieser Dinge, die nur im Leben von Kindern so eine große Rolle spielen können. Meine Gangart ist für die Mädchen ein ganz großes Thema, weil ich federnd gehe. Mehr nicht. Es ist einfach nur die Art und Weise, wie ich meinen Fuß beim Auftreten abrolle und dass ich manchmal ein wenig auf Zehenspitzen gehe. Absurd, oder?

      Natürlich ging es nie wirklich um die Gangart. Sie ist einfach nur irgendein Merkmal, das sich die Mädchen gesucht haben, um ihre Abneigung an mir auslassen zu können. Und ich? Denke, ich bin der einzige Mensch auf der Welt, der so geht. Dabei treffe ich tagtäglich Menschen, die so laufen. Ich weiß nicht, ob die alle dafür ausgelacht wurden, aber ich hoffe nicht.

      Wenn es nicht meine Gangart ist, über die sie sich lustig machen, sind es meine Klamotten: Ich trage ganz selbstverständlich die alte, aber noch – phänomenaler Ausdruck von Mama – »pfenniggute« Kleidung meiner Schwestern. Meine Mutter lebt in der festen Überzeugung, dass die anderen Kinder ihre Tochter mögen, egal was sie trägt; dass ich außerdem im Zweifel genügend Durchsetzungsfähigkeit besitzen würde. Ich erzähle ihr nie, wie die anderen Kinder zu mir sind. Und wenn es nicht meine Klamotten sind, ist es das, was ich denke und ausspreche, weil ich in so vielerlei Hinsicht eine andere Vorstellung vom Leben habe als sie. Ich weiß vieles noch nicht, was für sie bereits Thema ist, vielleicht sogar ihr Lebensmittelpunkt. Ich komme immerhin frisch aus einer Depression, was weder sie wissen noch ich.

      Norbert Elias und John L. Scotson widmen sich in ihrer Untersuchung Etablierte und Außenseiter unter anderem der Rolle von Klatsch innerhalb eines Dorfes. Dabei bemerken sie: »Er hatte zugleich die Funktion, Menschen auszuschließen und Beziehungen zu trennen. Er konnte als ein überaus wirksames Instrument der Ablehnung dienen. Wenn beispielsweise ein Zuzügler als ›nicht so nett‹ empfunden wurde, brachte man in den Klatschkanälen – oft sehr tendenziös gefärbte – Geschichten über Normverstöße in Umlauf«21 mit dem Ziel, die Betroffenen zu beschämen, zu demütigen und dabei gleichzeitig Normen zu manifestieren, aber auch die eigenen Machtansprüche zu konservieren; die eigene Überlegenheit zur Schau zu stellen und abzusichern.22 Der Inhalt des Gesagten ist keine Nebensache: Mit der Betonung von Normverstößen soll die Ablehnung auch vor anderen gerechtfertigt werden können.

      Wo liegt der Fehler? Das kommt darauf an, wie man soziale Interaktion versteht. Aber ein Erklärungsansatz besteht darin zu sagen: Der Fehler ist, dass ich dennoch versuche mich für sie als Personen zu interessieren. Dass ich dennoch Begeisterung zeige für das, was sie lieben.

      Die Machtverhältnisse sind in meinem Fall asymmetrisch: Ich habe keine Möglichkeit, mich zu behaupten, gleichzeitig gebe ich den anderen Mädchen die Macht, mir Wertschätzung zu verweigern. Mal außen vor gelassen, dass diese Ausgrenzung durch nichts zu rechtfertigen und nicht legitim ist, hätte ich mich früher dazu entscheiden können, ihnen diese Möglichkeit zu entziehen. Dann hätten sie mich nicht mehr beschämen können – zumindest in der Theorie.

      Keine Erklärung für das Verhalten der Mädchen zu haben, nagt noch immer an mir. Ich lese Artikel, in denen Leute sich als Mobber outen,23 um es vielleicht doch zu verstehen. Aber immer und immer wieder komme ich nur darauf, dass ich nichts dafür konnte. Nachträglich kann ich nur versuchen, meine Schlüsse daraus zu ziehen oder zu untersuchen, was ich aus der Situation gemacht habe. Ich weiß, dass ich mit dieser Erfahrung eine Art Urvertrauen in die Welt verloren habe: nämlich das Vertrauen hinausgehen zu können und von anderen erst mal nichts Böses erwarten zu müssen. Das sorgt dafür, dass ich hin und wieder Maßnahmen des Selbstschutzes ergreife, die auf andere übertrieben wirken. Manchmal erscheine ich Unbekannten gegenüber abgeklärt, nüchtern, vielleicht kalt. Freundinnen nennen es »unabhängig«, aber auch »unnahbar« und beschreiben damit das, was ich als grenzenloses Bedürfnis nach Selbstständigkeit empfinde. Bloß nichts auf die Meinung anderer über mich geben, denn sie wird nie positiv sein – und auch wenn ich seitdem unzählige Male das Gegenteil erfahren habe, nämlich, dass mich mein Umfeld wertschätzt, gernhat, mich anerkennt, bleibt die Angst vor Wiederholung.

      Die subtilen Angriffe der Mädchen treffen mich hart, auch weil sie immer kollektiv agieren. Jeden Tag wird alles destruiert, was ich denke. Jeden Tag wird viel Zeit darauf verwendet, mir das Gefühl zu geben: Mit dir stimmt was nicht.

      Und jeden Tag versuche ich, noch besser zu passen. Noch weniger anzuecken. Noch vorsichtiger zu formulieren, um Angriffsflächen zu minimieren. Noch mehr das zu wiederholen, was diese Mädchen sagen. Noch mehr zu sein wie sie. Das wenige Taschengeld, das ich habe, ausschließlich in Klamotten zu investieren, die mir eigentlich gar nicht gefallen. Aber ich habe keinen Geschmack, deshalb ist das egal. Mein Geschmack ist deren Geschmack. Irgendwann schweige ich einfach nur noch.

      Das verstärkt ihre Wut auf mich. Das Bedürfnis, sich von mir abzugrenzen. Ich, der Schwamm, den man ausdrückt. Um mich ungeschehen zu machen. Ich, das Chamäleon, das nicht ohne Umwelt funktioniert. Das ohne Umfeld in der Identitätslosigkeit verloren geht.

      Sie hassen mich nicht. Sie verachten nur, was ich bin. Sie wollen auf keinen Fall in Verbindung mit mir gebracht werden. Was tut man, um zu verhindern, dass irgendjemand eine Verbindung zwischen sich und jemandem zieht, mit dem man nicht verbunden sein will?

      Man macht die Person lächerlich. Möglichst schmerzhaft. Man stellt sich über sie, indem man sie beschämt. Jemanden zu beschämen, bedeutet auch, ihn zu unterwerfen. Wie gesagt: Scham ist auch ein Machtphänomen, um jemandem zu zeigen: Wir werden nie auf einer Wellenlänge sein. Du wirst nie zu mir gehören und ich erst recht nicht zu dir. Wenn die Person diese Intention nicht versteht, ignoriert man sie. Wie man es eben mit Leuten macht, die man unter sich sieht. Die keine Macht über dich haben und deine Anerkennung nicht verdienen.

      So sind diese Mädchen. Sie tun manchmal einfach so, als würden sie mich nicht hören, als wäre ich nicht da. Und wenn ich doch da bin, ist klar: »Eigentlich ist sie fehl am Platz, denn sie gehört nicht zu uns. Sie nicht.« Du. Bist. Niemand.

      Ich lerne: »Du bist kein Mensch wie sie. Du bist nicht wertvoll, liebenswert und wichtig. Du verdienst keine Aufmerksamkeit. Du verdienst Ignoranz und Abweisung, weil du ein defizitärer Makel bist. Du bist die Person, die man nicht in der Mannschaft haben will. Alles, was du tust, wird uncool und falsch dadurch, dass du es tust. Dadurch, dass du es verkörperst.«

      Das Schlimme daran ist, dass du jetzt um dein Anderssein weißt. Weil es dir unmissverständlich, wieder und wieder, klargemacht wurde. Bis heute scanne ich jede Situation ab, in der ich mich befinde, um jederzeit sicherzustellen, dass mich niemand ausgrenzt.

      2019: Meine Therapeutin bezeichnet das, was mir passiert ist, als »Mobbing«. Ich spreche über dieselbe Sache immer nur als »das, was diese Mädchen damals gemacht haben«. Ich weigere mich zuerst, von Mobbing zu sprechen. Man hört wenig von Mobbing, obwohl man weiß, welche Rolle es in Schulen, in der Arbeit, nahezu überall spielt. Eigentlich seltsam, oder? Aber zuzugeben, dass man Opfer davon geworden ist, ist schwierig. Das können die wenigsten, weil es oft so undurchschaubar ist. Mobbing in die eigene Geschichte zu integrieren – wie soll das gehen? Meist kann man sich den Grund dafür nie erklären, weil es eigentlich keinen gibt. Und ohne Grund wird das Erzählen schwierig. Du kannst nur Ereignisse wiedergeben, ohne den nötigen Kontext.

      Gleichzeitig kenne ich die Geschichten von Mobbing und finde meine Erfahrungen »zu wenig schlimm«, um sie mit den Erlebnissen anderer auf eine Stufe zu stellen. Der Begriff des Mobbings wird sehr unterschiedlich verwendet, wenngleich er in den allermeisten Fällen eben schmerzhafte Erfahrungen der Ausgrenzung beschreibt. Und in der Ausgrenzung steckt etwas, das ich wichtig finde: Es geht um Gruppendynamiken: »Beschämungen […] sind soziale Techniken, um eigene Vorteile gegenüber fremden Ansprüchen konservieren zu können, um abweichende Lebensformen oder Eigenschaften als

Скачать книгу