Winzige Gefährten. Ed Yong

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Winzige Gefährten - Ed Yong

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lebende Bakterien zu Hause. Die Pilze, die an Baumwurzeln wachsen und die man lange für Parasiten hielt, erwiesen sich als Partner, die Stickstoff im Austausch gegen Kohlenhydrate bereitstellen.

      Solche Partnerschaften wurden nun als Symbiose bezeichnet, ein Begriff, der von den griechischen Wörtern für »zusammen« und »Leben« kommt.13 Das Wort selbst war neutral und konnte jede Form der Koexistenz bezeichnen. Wenn ein Partner auf Kosten des anderen profitierte, war er ein Parasit (oder ein Krankheitserreger, wenn er eine Krankheit verursachte). Wenn er profitierte, ohne den Wirt zu schädigen, nannte man ihn einen Kommensalen. Nützte er dem Wirt, war er ein Mutualist. Alle diese Formen des gemeinsamen Daseins gehören in die Rubrik der Symbiose.

      Solche Konzepte entwickelten sich zu einer unglücklichen Zeit. Im Schatten des Darwinismus sprachen die Biologen vom Überleben der Geeignetsten. Die Natur war rot an Zähnen und Klauen. Thomas Huxley, Darwins Bulldogge, hatte die Tierwelt mit einem »Gladiatorenkampf« verglichen. In diesem Rahmen von Konflikt und Konkurrenz nahm die Symbiose mit ihren Themen von Kooperation und Teamwork eine heikle Stellung ein. Auch zu der Idee, Mikroorganismen seien Bösewichte, passte sie nicht. In der Zeit nach Pasteur war ihre Anwesenheit zu einem Anzeichen von Krankheit geworden, und ihre Abwesenheit galt als definierendes Merkmal gesunden Gewebes. Als Friedrich Blochmann 1884 erstmals die Bakterien der Rossameisen sah, widersprach die Vorstellung von Mikroorganismen als harmlosen Mitbewohnern so stark der Intuition, dass er sprachliche Verrenkungen anstellte, um sie nicht als das beschreiben zu müssen, was sie waren.14 Er nannte sie »Plasmastäbchen« oder sprach von einer »sehr auffälligen faserigen Differenzierung des Eiplasmas«. Erst nach jahrelangen eingehenden Untersuchungen bekannte er endlich Farbe. Im Jahr 1887 schrieb er: »Ich glaube, dass man nach dem gegenwärtigen Stand unseres Wissens kaum anders kann, als die Stäbchen für Bakterien zu erklären.«

      Mittlerweile war anderen Wissenschaftlern aufgefallen, dass der Darm von Menschen und anderen Tieren ebenfalls eine Fülle symbiontischer Bakterien enthält. Sie rufen weder eine erkennbare Krankheit noch Verwesung hervor. Vielmehr sind sie einfach da – als »normale Darmflora«. »Mit der Entstehung der Tiere … war es unvermeidlich, dass Bakterien von Zeit zu Zeit in ihrem Körper in Gefangenschaft gerieten«, schrieb Arthur Isaac Kendall, ein Pionier der Erforschung von Darmbakterien.15 Der menschliche Körper ist demnach einfach ein weiterer Lebensraum, und Kendall hatte den Eindruck, dass die dort lebenden Mikroorganismen es verdienten, dass man sie nicht nur zerstörte oder unterdrückte, sondern auch studierte. Aber das war einfacher gesagt als getan. Schon damals war klar, dass unsere Mikroorganismen entmutigend große Lebensgemeinschaften bilden. Theodor Escherich, der Entdecker des Bakteriums E. coli, das zu einer Hauptstütze der Laborwissenschaft werden sollte, sagte einmal: »Es scheint eine sinnlose, zweifelhafte Übung zu sein, die offenbar zufällig auftretenden Bakterien in normalem Stuhl und im Verdauungstrakt zu untersuchen und zu entwirren, wo sie in einer Situation sind, die anscheinend von tausend Zufällen abhängig ist.«16

      Dennoch taten Escherichs Zeitgenossen, was sie konnten. Schon hundert Jahre bevor Mikrobiom zum Schlagwort wurde, charakterisierten sie Bakterien aus Katzen, Hunden, Wölfen, Tigern, Löwen, Pferden, Rindern, Schafen, Ziegen, Elefanten, Kamelen und Menschen.17 Sie skizzierten die Grundzüge des mikrobiologischen Ökosystems im Menschen, und das mehrere Jahrzehnte bevor das Wort »Ökosystem« 1935 überhaupt geprägt wurde. Sie zeigten, dass sich von Geburt an in unserem Organismus Mikroorganismen ansammeln und dass in den einzelnen Organen unterschiedliche Arten die Vorherrschaft haben. Sie erkannten, dass insbesondere der Darm reich an Mikroorganismen ist und dass seine Bewohner sich verändern, wenn die Tiere unterschiedliche Nahrung zu sich nehmen. Kendall bezeichnete den Darm 1909 als »einzigartig vollkommenen Brutschrank« für Bakterien, deren Tätigkeiten »nicht in aktivem Gegensatz zu denen des Wirtes stehen«.18 Sie mochten vielleicht opportunistisch Krankheiten verursachen, wenn die Widerstandskraft des Wirtes geschwächt war, aber ansonsten waren sie harmlos.

      Konnten sie möglicherweise auch nützlich sein? Genau das glaubte paradoxerweise Pasteur, der Mann, der überhaupt erst die Waffe für die langwierige Schießerei mit den Mikroben entsichert hatte. Er vertrat die Ansicht, Bakterien könnten für das Leben hilfreich oder vielleicht sogar unentbehrlich sein, denn man wusste bereits, dass der Magen einer Kuh die Cellulose aus Pflanzen verdaut und nahrhafte Säuren produziert, die das Wirtstier dann aufnimmt. Kendall äußerte die Vermutung, die Mikroorganismen im Darm des Menschen könnten ihrem Wirt helfen, indem sie fremde Bakterien bekämpfen und verhindern, dass diese Fuß fassen (dass sie eine Rolle für die Verdauung spielen, bezweifelte er allerdings).19 Der russische Nobelpreisträger Elias Metschnikoff trieb diese Sichtweisen ins Extrem. Er wurde einmal als »hysterischer Charakter aus einem Roman von Dostojewski« bezeichnet20 und war ein Musterbeispiel des inneren Widerspruchs: Einerseits versuchte er als abgrundtiefer Pessimist mindestens zweimal, sich das Leben zu nehmen, andererseits schrieb er ein Buch mit dem Titel Beiträge zu einer optimistischen Weltauffassung. In diesem 1908 erschienenen Buch projizierte er seine eigenen Widersprüche auf die Welt der Mikroorganismen.

      Einerseits erklärte Metschnikoff, Darmbakterien würden Giftstoffe produzieren, die Krankheit, Senilität und Alterung verursachen und »die Hauptursache für die kurze Dauer eines Menschenlebens« seien. Andererseits glaubte er aber auch, manche Mikroorganismen könnten das Leben verlängern. In diesem Punkt bezog er seine Anregung von bulgarischen Bauern, die regelmäßig Sauermilch tranken und weit über hundert Jahre alt wurden. Die beiden Aspekte, so Metsch ni koff, hingen zusammen. Die gärende Milch enthielt Bakterien, dar unter eine Art, die er als bulgarischen Bazillus bezeichnete. Diese stellten Milchsäure her, die im Darm der Bauern die schädlichen, lebensverkürzenden Mikroorganismen abtötete. Metschnikoff war von seiner Idee so überzeugt, dass er anfing, selbst regelmäßig Sauermilch zu trinken. Andere wiederum waren von dem angesehenen Wissenschaftler Metschnikoff so überzeugt, dass sie es ihm nachmachten. (Seine Behauptungen führten sogar dazu, dass künstliche Darmausgänge in Mode kamen, und inspirierten Aldous Huxley zu seinem Roman Nach vielen Sommern: Darin spritzt sich ein Hollywoodmagnat den Darm von Karpfen, um so die Mikroorganismen in seinem eigenen Darm zu verändern und die Unsterblichkeit zu erlangen.) Natürlich tranken Menschen schon seit Jahrtausenden vergorene Milchprodukte, aber jetzt dachten sie dabei an die Mikroorganismen. Die Mode überlebte Metschnikoff: Er starb mit einundsiebzig Jahren an Herzversagen.

      Aber trotz aller Bemühungen von Kendall, Metschnikoff und anderen kam die Erforschung der symbiontischen Bakterien von Menschen und anderen Tieren durch die zunehmende Konzentration auf Krankheitserreger unter die Räder. Die Öffentlichkeit wurde durch Gesundheitstipps ermutigt, Keime mit bakterientötenden Produkten und übertriebener Hygiene von ihrem Körper und aus der Umgebung zu entfernen. Zur gleichen Zeit wurden die ersten Antibiotika entdeckt und in großen Mengen hergestellt, Wirkstoffe, die sowohl die Keime als auch alles, was darüber berichtet wurde, hinwegfegten. Endlich hatten die Menschen eine Chance, diese winzigen Feinde zu besiegen. Und angesichts solcher Aussichten setzte, was die Erforschung der symbiontischen Bakterien anging, eine lange Durststrecke ein, die bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts andauerte. Eine 1938 erschienene, detaillierte Geschichte der Bakteriologie erwähnte die in unserem Organismus ansässigen Mikroorganismen überhaupt nicht.21 Das führende Lehrbuch des Fachgebiets widmete ihnen ein einsames Kapitel, erläuterte aber vor allem, wie man sie von Krankheitserregern unterscheiden kann. Erwähnenswert waren sie nur, weil man sie von ihren interessanteren Kollegen trennen musste. Wenn Wissenschaftler sich mit Bakterien beschäftigten, dann meistens zu dem Zweck, andere Lebewesen besser zu verstehen. Wie sich herausstellte, sind viele Aspekte der Biochemie, beispielsweise die Aktivierung von Genen oder die Speicherung von Energie, im Stammbaum des Lebens überall gleich. Durch Erforschung von E. coli wollte man auch die Elefanten verstehen. Bakterien wurden zu »Stellvertretern für eine allgemeingültige, reduktionistische Einstellung gegenüber dem Lebendigen«, schrieb die Historikerin Funke Sangodeyi. »Die Mikrobiologie wurde zu einer dienenden Wissenschaft.«22

      Auf dem Weg zu größerer Bekanntheit ging es nur langsam voran. Dazu trugen neue Methoden bei, unter anderem solche zur Zucht der sauerstoffhassenden Mikroorganismen, die im Darm von

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