Winzige Gefährten. Ed Yong

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Winzige Gefährten - Ed Yong

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Menschen in ihrem Darm andere Mikroorganismen haben als schlanke.42 Relman selbst bezeichnete die Mikrobiome jetzt als »lebenswichtiges Organ«. Die Wegbereiter lockten Mitarbeiter aus allen Fachgebieten der Biologie an, erregten die Aufmerksamkeit der Publikumspresse und erhielten nun Millionenbeträge zur Finanzierung großer, internationaler Projekte.43 Jahrhundertelang hatte das Mikrobiom des Menschen sein Dasein an den Rändern der biologischen Wissenschaft gefristet, nur Rebellen und Bilderstürmer hatten sich für es eingesetzt. Jetzt war es zu einem Teil des Mainstreams geworden. Seine Geschichte ist eine Geschichte darüber, wie Gedanken über den menschlichen Organismus und über wissenschaftliche Fragen von den Rändern in den Mittelpunkt wandern.

      Im Artis, dem königlichen Zoo in Amsterdam, steht gleich hinter dem Eingang ein zweistöckiges Gebäude, das auf seiner Seitenwand das Bild einer riesigen, schreitenden Figur zeigt. Sie besteht aus kleinen, flauschigen Kugeln in Orange, Beige, Gelb und Blau. Es ist die Darstellung des menschlichen Mikrobioms, und sie lädt die Besucher mit einer freundlichen Handbewegung ins Micropia ein – in das erste Museum der Welt, das ausschließlich den Mikroorganismen gewidmet ist.44

      Das Museum wurde im September 2014 nach einer Entwicklungszeit von zwölf Jahren und einem Kostenaufwand von 10 Millionen Euro eröffnet. Dass es sich ausgerechnet in den Niederlanden befindet, passt. Im nur 65 Kilometer entfernten Delft machte Leeuwenhoek die Welt zum ersten Mal mit dem verborgenen Reich der Bakterien bekannt. Heute ist ein Nachbau eines seiner brillianten Mikroskope das Erste, was ich sehe, nachdem ich die Eintrittskartenkontrolle von Micropia hinter mir habe. Es steht – bescheiden, täuschend einfach und auf dem Kopf stehend montiert – in einem Glasgefäß. Darum herum sind Proben von Dingen, die Leeuwenhoek hätte untersuchen können, unter anderem Pfefferaufgüsse, Entengrütze von einem Teich in der Nähe und Zahnbeläge.

      Von dort begebe ich mich zusammen mit einem Freund und einer kleinen Familie in einen Aufzug. Als wir nach oben blicken, sehen wir unser eigenes Spiegelbild in einem Video, das an der Decke gezeigt wird. Während der Lift aufwärts fährt, zoomt die Kamera auf dramatische Weise auf unsere Gesichter; sie scheint immer näher zu kommen, zeigt Milben in den Wimpern, Hautzellen, Bakterien und schließlich auch Viren. Als die Türen sich in der zweiten Etage öffnen, sehen wir ein Schild aus kleinen Lichtpunkten, die sanft schimmern wie eine lebende Kolonie. »Wenn man ganz nah hinsieht, eröffnet sich eine neue Welt, schöner und spektakulärer als alles, was man sich jemals vorgestellt hätte«, steht dort. »Willkommen in Micropia.«

      Einen ersten Eindruck von dieser neuen Welt erhalten wir sofort durch eine Reihe von Mikroskopen. Sie richten sich auf Mückenlarven, Wasserflöhe, Fadenwürmer, Schleimpilze, Algen und grüne Teichbakterien. Letztere sind 200-fach vergrößert, und ich wundere mich bei dem Gedanken, dass Leeuwenhoeks selbst gebautes Mikroskop aus der unteren Etage das Gleiche leistete. Auch er sah diese kleinen Wunder, allerdings auf viel unbequemere Weise. Während er angestrengt durch eine winzige Linse blinzeln musste, kann ich das Gesicht an ein bequem gepolstertes Okular halten und auf ein scharfes Digitaldisplay blicken.

      Hinter den Mikroskopen zeigt eine große Darstellung die Biogeografie des menschlichen Mikrobioms. Die Besucher stehen vor einer Kamera, die ihren Körper abtastet und auf einem großen Bildschirm einen mikrobiologischen Avatar zeichnet. Der Avatar, dessen Haut mit weißen Punkten nachgezeichnet ist, während die Organe in bunten Farben dargestellt werden, ahmt die Bewegungen der Besucher nach. Sie gehen weiter, er geht weiter. Sie winken, er winkt. Durch Handbewegungen können sie verschiedene Organe auswählen und Informationen über die Mikroorganismen in Haut, Magen, Darm, Kopfhaut, Mund, Nase und an anderen Orten abrufen. Sie erfahren, welcher Mikroorganismus wo zu Hause ist und was er tut. In diesem einen Ausstellungsstück verkörpern sich die Entdeckungen vieler Jahrzehnte von Kendall über Rosebury bis zu Relman. Eigentlich ist das ganze Museum ein Tribut an die Geschichte. Unter anderem zeigt es eine Reihe von Flechten, jene zusammengesetzten Organismen, durch die Wissenschaftler im 19. Jahrhundert auf die Bedeutung der Symbiose aufmerksam wurden. An einer anderen Stelle zeigt ein Mikroskop die Milchsäurebakterien, in die Metschnikoff sich verliebt hatte – winzige Kugeln, die 630-fach vergrößert sind und hübsche Bewegungen vollführen.

      Mir fällt auf, wie nüchtern die Informationen sind und wie schnell die Besucher sich mit dem Gedanken an eine Welt der Mikroorganismen abfinden. Niemand zuckt zurück, runzelt die Stirn oder rümpft die Nase. Ein Paar steht auf einer roten, herzförmigen Plattform und legt für einen langen Kuss die Lippen vor dem »Kiss-o-Meter« aufeinander, der ihnen sagt, wie viele Bakterien sie gerade ausgetauscht haben. Eine junge Frau blickt aufmerksam auf eine Wand mit Stuhlproben von Gorillas, Wasserschweinen, Kleinen Pandas, Kängurus, Löwen, Ameisenbären, Elefanten, Faultieren, Schopfaffen und vielen anderen, die alle in dem benachbarten Zoo gesammelt, in luftdichten Gefäßen eingeschlossen und dann in Plexiglaskästen untergebracht wurden. Eine Gruppe von Teenagern starrt auf eine Wand mit von hinten beleuchteten Agarplatten, auf denen Pilze und Bakterien wachsen. Manche stammen von Alltagsobjekten. Sie erkennen den Abdruck von Schlüsseln, Telefonen, Computermäusen, Fernbedienungen, Zahnbürsten, Türklinken und den rechteckigen Umriss eines Euro scheins. Sie staunen über die orangefarbenen Flecken von Klebsiella, die blauen Matten von Enterococcus und die grauen, schmierigen Massen von Staphylococcus, die aussehen, als wären sie mit dem Bleistift schraffiert.

      Die Familie, die mit mir im Aufzug gefahren ist, betrachtet eine hübsche Darstellung von Carl Woeses Lebensstammbaum. Das Bild nimmt eine ganze Wand ein. Tiere und Pflanzen sind in einen kleinen Kreis in der Ecke verbannt, an Ästen und Zweigen herrschen die Bakterien und Archaea. Der Papa wurde vermutlich geboren, bevor man überhaupt wusste, dass Archaea existieren; jetzt erfahren seine Kinder in einer großen Touristenattraktion etwas über sie.

      Micropia repräsentiert das wachsende Wissen aus dreihundertfünfzig Jahren und die sich wandelnden Einstellungen gegenüber den Mikroorganismen. Hier sind sie weder übersehene Vertreter der zweiten Liga noch düstere Bösewichter. Hier sind sie faszinierend, wunderschön und der Aufmerksamkeit wert. Hier sind sie die Stars. George Eliot schrieb in Middlemarch: »Tatsächlich wissen die meisten von uns nur wenig über die großen Urheber, bis sie unter die Sternbilder erhoben wurden und bereits über unser Schicksal bestimmen.« Damit hätte sie durchaus die Wissenschaftler meinen können, die uns die Welt der Mikroorganismen offenbart haben, und auch die Mikroorganismen selbst.

      KAPITEL 3

       BAUMEISTER DES KÖRPERS

      DAS, WAS SIE SUCHEN, ist etwa so groß wie ein Golfball«, sagt Nell Bekiares.1

      Ich sitze in einem Labor an der University of Wisconsin in Madison und schaue hinunter in ein kleines Aquarium. Es scheint leer zu sein. Ich sehe nichts von der Größe eines Golfballs. Eigentlich sehe ich überhaupt nichts außer einer Schicht Sand. Dann wedelt Bekiares mit der Hand im Wasser; plötzlich stößt etwas hervor und gibt eine Wolke aus zähflüssiger, schwarzer Tinte ab. Es ist ein Zwergtintenfisch der Spezies Euprymna scolopes, genauer gesagt ein Weibchen. Es ist ungefähr so groß wie mein Daumen. Bekiares holt den Tintenfisch mit einer kleinen Schale heraus; er schießt, gespenstisch weiß vor Aufregung, mit ausgestreckten Armen darin herum, und seine Flossen schlagen heftig. Als der Tintenfisch sich wieder beruhigt hat, versteckt er seine Arme unter dem Körper und setzt sich darauf; gleichzeitig verändert sich seine Form: Aus dem Pfeil wird ein großes Gelee-Ei. Auch die Haut macht eine Veränderung durch: Winzige farbige Pünktchen erweitern sich schnell zu flachen dunkelbraunen, roten und gelben Scheiben, die mit irisierenden Flecken übersät sind. Jetzt ist der Tintenfisch nicht mehr weiß, sondern sieht aus wie eine von Seurat gemalte Herbstszene.

      »Wenn sie so braun werden, sind sie glücklich«, sagt Bekiares. »Braun ist ziemlich gut. Die Männchen sind oft stinksauer. Dann stoßen sie immer wieder Tinte aus und schießen hin und her. Wenn sie dir Wasser ins Gesicht oder auf die Brust spritzen, ist das bestimmt Absicht.«

      Ich

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