Verändere dein Bewusstsein. Michael Pollan
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Was ich an einer Erfahrung wie der von Bob Jesse nicht verstehe: Warum in aller Welt soll man so was überhaupt glauben? Ich begriff nicht, warum man es nicht einfach unter «interessanter Traum» oder «durch Drogen verursachte Fantasie» abhakte. Doch zusammen mit dem Gefühl der Unbeschreiblichkeit gehört auch die Überzeugung, dass einem eine tiefe objektive Wahrheit offenbart wurde, zu den Kennzeichen mystischer Erfahrungen, gleichgültig ob sie durch Drogen, Meditation, Fasten, Geißelung oder Reizentzug hervorgerufen wurden. William James hat dieser Überzeugung einen Namen gegeben: noetische Qualität.20 Man hat das Gefühl, in ein tiefes Geheimnis des Universums eingeweiht worden zu sein, und diese Überzeugung ist unerschütterlich. Wie James geschrieben hat: «Träume halten dieser Prüfung nicht stand.»21 Zweifellos ist das der Grund, warum manche Menschen, die eine derartige Erfahrung machen, Religionsgründer werden, den Lauf der Geschichte oder, weitaus öfter, ihr eigenes Leben verändern. «Zweifellos» ist hier das Schlüsselwort.
Mir fällt eine Reihe möglicher Erklärungen für ein solches Phänomen ein, doch keine klingt völlig befriedigend. Die einfachste und doch am schwersten zu akzeptierende Erklärung ist, dass es schlicht stimmt: Der veränderte Bewusstseinszustand hat dem jeweiligen Menschen eine Wahrheit eröffnet, die wir Übrigen, gefangen im gewöhnlichen Wachbewusstsein, einfach nicht begreifen. Doch die Wissenschaft hat mit dieser Deutung Probleme, da die entsprechende Wahrnehmung nicht mit den üblichen Methoden überprüfbar ist. Es handelt sich faktisch um einen anekdotischen Einzelbericht und ist deshalb wertlos. Die Wissenschaft zeigt nur wenig Interesse und Nachsicht gegenüber Zeugnissen Einzelner; darin ähnelt sie seltsamerweise religiösen Institutionen, die ebenfalls ein großes Problem damit haben, direkter Offenbarung Glauben zu schenken. Doch es gilt, darauf hinzuweisen, dass der Wissenschaft mitunter nichts anderes übrig bleibt, als sich auf das Zeugnis Einzelner zu verlassen – wie beim Studium subjektiven Bewusstseins, das für unsere wissenschaftlichen Methoden unzugänglich ist und deshalb nur von dem Menschen beschrieben werden kann, der die Erfahrung macht. Hier ist die Phänomenologie die wichtigste Datenbasis. Das ist aber nicht der Fall, sobald es um die Nachprüfung von Wahrheiten über die Welt außerhalb unserer Köpfe geht.
Das Problem mit der Glaubwürdigkeit mystischer Erfahrungen besteht genau darin, dass sie den Unterschied zwischen innen und außen auslöschen, so wie Bob Jesses «ortlose Erkenntnis» zu ihm zu gehören, aber auch außerhalb von ihm zu existieren schien. Das verweist auf eine zweite mögliche Erklärung für das noetische Gefühl: Wenn unser Gefühl für ein subjektives «Ich» sich auflöst, wie es bei dosisintensiver psychedelischer Erfahrung oft der Fall ist (ebenso wie bei erfahrenen Meditierern), wird es unmöglich, zwischen subjektiver und objektiver Wahrheit zu unterscheiden. Wer soll denn das Zweifeln übernehmen, wenn nicht das Ich?
In der Zeit nach dieser ersten eindringlichen psychedelischen Reise machte Bob Jesse eine Reihe weiterer Erfahrungen, die sein Leben veränderten. Als er Anfang der 1990er Jahre in San Francisco lebte, geriet er in die Raver-Szene und entdeckte, dass das «kollektive Überschäumen» auf den besten nächtlichen Tanzpartys, mit oder ohne psychedelische «Stoffe», die «Subjekt-Objekt-Dualität» ebenfalls auflösen und neue spirituelle Perspektiven eröffnen konnte. Er begann, verschiedene spirituelle Traditionen zu erkunden, vom Buddhismus übers Quäkertum bis zur Meditation, und stellte fest, dass seine Prioritäten im Leben sich allmählich veränderten. «Mir fiel auf, dass es viel wichtiger und erfüllender sein könnte, Zeit in diesem Bereich zu verbringen, als meiner Arbeit [als Informatiker] nachzugehen.»
Während eines Sabbatjahres (er würde Oracle 1996 endgültig verlassen) gründete Jesse mit dem Ziel, «die unmittelbare Erfahrung des Heiligen einer größeren Anzahl von Menschen zugänglich zu machen», eine gemeinnützige Organisation, die Council on Spiritual Practices (CSP) hieß. Die Website spielt die Tatsache herunter, dass die Organisation sich für Entheogene – Bob Jesses bevorzugte Bezeichnung für Psychedelika – einsetzt, doch ihre Mission wird angedeutet: «Methoden für grundlegende religiöse Erfahrungen zu finden und zu entwickeln, die sicher und wirkungsvoll angewandt werden können.» Die Website (csp.org) bietet eine hervorragende Bibliografie der Psychedelik-Forschung und regelmäßige Updates zu der Arbeit, die an der Johns Hopkins University im Gange ist. Der CSP unterstützte später auch die Klage der UDV, die zur Entscheidung des Obersten Gerichtshofs im Jahr 2006 führte.
Der Council on Spiritual Practices erwuchs aus Jesses systematischer Erkundung der psychedelischen Literatur und der psychedelischen Community in der Bay Area nach seinem Umzug nach San Francisco. Auf seine wohlüberlegte, leicht zwanghafte und überaus höfliche Art nahm Jesse Kontakt mit den zahlreichen «psychedelischen Größen» in der Region auf – eine Vielzahl unterschiedlichster Persönlichkeiten, die sich in den Jahren vor 1970 in Forschung und Therapie engagiert hatten, bevor die meisten Drogen mit der Verabschiedung des Betäubungsmittelgesetzes und der Einstufung von LSD und Psilocybin als Schedule-One-Substanzen mit hohem Missbrauchspotenzial und ohne anerkannten medizinischen Nutzen verboten wurden. Darunter war etwa James Fadiman, der in Stanford ausgebildete Psychologe, der an der International Foundation for Advanced Study in Menlo Park eine bahnbrechende Forschung über Psychedelika und Problemlösung betrieben hatte, bis die Arzneimittelzulassungsbehörde die Arbeit der Gruppe 1966 stoppte. (Anfang der 1960er Jahre war die Psychedelik-Forschung in Stanford mindestens so intensiv wie in Harvard; es gab nur niemandem vom Kaliber eines Timothy Leary, der sich darüber öffentlich verbreitet hätte.) Dann war da noch Fadimans Institutskollege Myron Stolaroff, ein berühmter Elektroingenieur im Silicon Valley, der als leitender Angestellter bei Ampex, dem Hersteller von Tonbandgeräten, arbeitete, bis ihn ein LSD-Trip dazu anregte, (genau wie Bob Jesse) seinen Beruf aufzugeben und Psychedelik-Forscher und Therapeut zu werden. Es gelang Jesse auch, in den inneren Kreis von Sasha und Ann Shulgin vorzudringen, die in der Bay Area legendäre Figuren waren und allwöchentlich ein Abendessen für Therapeuten, Wissenschaftler und andere Psychedelikinteressierte veranstalteten. (Sasha Shulgin, der 2014 starb, war ein brillanter Chemiker, der mit Erlaubnis der Drogenbehörde neue psychedelische Substanzen synthetisierte, was er in gewaltigem Ausmaß tat. Er war auch der Erste, der MDMA synthetisierte, seit es 1912 von Merck patentiert und danach vergessen worden war. Als er die psychoaktiven Eigenschaften erkannte, machte er die psychotherapeutische Community der Bay Area mit dem sogenannten «Empathogen» bekannt. Erst später wurde es zu der als Ecstasy bekannten Klubdroge.) Und Jesse schloss Freundschaft mit Huston Smith, dem Religionswissenschaftler, der sich dem spirituellen Potenzial der Psychedelika geöffnet hatte, weil er 1962 als Dozent am Massachusetts Institute of Technology (MIT) freiwillig am Karfreitagsexperiment teilnahm und fortan überzeugt war, dass sich eine durch Drogen ausgelöste mystische Erfahrung nicht von anderen unterschied.
Mithilfe dieser «Größen» und seiner eigenen Lektüre begann Jesse den großen Fundus der früheren Psychedelik-Forschung zutage zu fördern, der der Wissenschaft größtenteils verlorengegangen war. Er fand heraus, dass es vor 1965 mehr als eintausend wissenschaftliche Arbeiten über psychedelische Drogentherapie mit mehr als vierzigtausend Forschungsthemen gegeben hatte.22 Von den fünfziger Jahren bis Anfang der siebziger Jahre hatte man psychedelische Substanzen zur Behandlung verschiedener Leiden benutzt – darunter Alkoholismus, Depressionen, Zwangsneurosen und Angst am Ende des Lebens –, oft mit beeindruckenden Ergebnissen. Doch nur wenige der Studien waren nach heutigen Maßstäben gut kontrolliert, und manche wurden durch die Begeisterung der beteiligten Forscher beeinträchtigt.
Von noch größerem Interesse war für Bob Jesse die frühe Forschung, die das Potenzial untersuchte, das Psychedelika für einen Bereich hatten, den er, markant formuliert, als «Besserung Gesunder» bezeichnete. Es hatte Studien zu künstlerischer und wissenschaftlicher Kreativität und Spiritualität bei «gesunden Normalen» gegeben. Die berühmteste war das Karfreitags- oder Marsh-Chapel-Experiment, 1962 von Walter Pahnke durchgeführt, einem Psychiater und Theologen, der unter Timothy Leary in Harvard an seiner Dissertation arbeitete.23 In seinem Doppelblindexperiment wurde zwanzig Theologiestudenten während eines Karfreitagsgottesdienstes in der Marsh Chapel auf dem Campus der Boston University eine mit weißem