Aus Liebe zu den Pflanzen. Stefano Mancuso
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George Washington Carver (Mitte, vorn) mit dem Lehrkörper des Tuskegee Institute im US-Bundesstaat Alabama
Arbeiterinnen an einem der ersten Fließbänder zum Abfüllen von Erdnussbutter
Es war stets mein großer Lebenstraum, möglichst vielen Angehörigen meines Volkes möglichst viel Gutes zu tun, und auf dieses Ziel habe ich viele Jahre meines Lebens hingearbeitet, denn ich glaube, dass das Bildungssystem der Schlüssel ist, um meinem Volk das goldene Tor der Freiheit zu öffnen.
Carver blieb siebenundvierzig Jahre, bis zu seinem Tod im Jahr 1943, in Tuskegee. Er unternimmt während dieser Zeit unzählige Anstrengungen, um das Bildungsniveau der ehemaligen Sklaven anzuheben, die in den Südstaaten nun großteils als arme Bauern lebten. So entwickelt er ein ambulantes Lehrpult, mit dem er und andere Lehrkräfte aus Tuskegee die Höfe – per Pferdekarren – aufsuchen und die Bauern, ob weiß oder schwarz, über neue Anbaumethoden unterrichten und ihnen helfen, Fehler bei der Bestellung der Äcker zu vermeiden.
Zu den gefährlichsten Fehlern zählt für Carver die Baumwollmonokultur – womit er, bedenkt man die gewaltigen aktuellen Probleme durch Monokulturen, seiner Zeit weit voraus ist. Er erkennt, dass die Böden durch Monokulturen ausgelaugt werden, die Ernten zurückgehen und, was ihn am meisten beschäftigt, dass die Bauern verarmen. Er entwickelt und propagiert daher ein Fruchtfolgesystem, bei dem im Wechsel Erdnüsse und Baumwolle angebaut werden. Sein System wird allgemein angenommen, so gut sogar, dass er beinah zum Opfer seines eigenen Erfolgs wird. Als die Landwirte auf Carvers Geheiß abwechselnd Erdnüsse und Baumwolle anbauen, erzielen sie verblüffende Erntemengen; doch obwohl die meisten Erdnüsse als Viehfutter Verwendung finden, sammeln sich schon bald enorme Restbestände an, die in den Scheunen verfaulen.
Carver sucht nach neuen Verwendungsmöglichkeiten für Erdnüsse – wohlgemerkt zu einer Zeit, als diese vom Menschen noch verschmäht wurden. Ein Klacks für ein Genie wie Carver. Schon bald hatte er dreihundert neue Möglichkeiten gefunden, wie man die Restbestände verwenden konnte, beispielsweise – nur um sich eine Vorstellung von seinem außergewöhnlichen Erfindergeist zu machen – als Erdnussderivat bei der Produktion von Klebstoff, Pomade, Bleichmittel, Chilisauce, Brennstoffplatten – die wir heute Biobrennstoff nennen würden –, Tinte, Löskaffee, Gesichtscreme, Shampoo, Seife, Linoleum, Mayonnaise, Metallreiniger, Papier, Kunststoff, Rasiercreme, Schuhputzmittel, Synthetikgummi, Straßenbelag, Talkum oder Fleckentferner für Möbel. Und natürlich in Form von Lebensmitteln wie Erdnussbutter, Milch, Käse oder Erdnussöl. Seine Ideen sollten die amerikanischen Nahrungsgewohnheiten – und die Landwirtschaft – für immer verändern. Und Carver beschränkte sich nicht auf Erdnüsse. Offenbar hatten die Bauern auch Probleme mit der Vermarktung anderer Anbauprodukte: Carver entwickelte auch Hunderte neuer Verwendungsmöglichkeiten für Süßkartoffeln, Sojabohnen oder Pekannüsse.
Carver arbeitet unermüdlich. Nicht nur als Forscher; er veröffentlicht seine Ideen zur Verwendung von Tomaten, die in den USA damals noch als ungenießbar galten, von Süßkartoffeln oder Erdnüssen auch in Mitteilungsblättern, die in die Geschichte der amerikanischen Landwirtschaft eingehen sollten. Die Titel seiner Mitteilungen – Wie man Tomaten anbaut und auf 115 Arten zubereitet, Wie man Haselnüsse anbaut und auf 105 Arten zubereiten kann, Wie man Süßkartoffeln haltbar machen und zubereiten kann – belegen, wie sehr er davon überzeugt ist, dass seine Forschungsergebnisse das Universitätslabor verlassen und den Bauern durch geeignete Publikationen bekannt gemacht werden müssen.
Jedenfalls ist es dem Erfindergeist und der Arbeit von George W. Carver zu verdanken, dass der Erdnusspreis, der wenige Jahre zuvor noch gegen null tendiert hatte, während der Großen Depression einen ungeahnten Höhenflug erlebte und in den Südstaaten ein Markt im Wert von über 250 Millionen Dollar entstand. Allein durch den Verkauf von Erdnussöl konnten die Bauern 60 Millionen Dollar erwirtschaften, und in nur wenigen Jahren entwickelte sich die Erdnussbutter zum amerikanischen Nahrungsmittel schlechthin.
Carvers Lebensgeschichte scheint umso bemerkenswerter und nötigt einem noch mehr Bewunderung ab, wenn man weiß, dass seine großartigen Leistungen, die den Wohlstand seines Landes mehrten, ihm selbst keinen Cent einbrachten. George W. Carver lebte bescheiden und steckte den Großteil seines Gehalts – und einzigen Einkommens – in die von ihm gegründete Stiftung zur Förderung der Agrarforschung. Von den fünfhundert Verwendungsmöglichkeiten landwirtschaftlicher Derivate, die er entwickelte, ließ er sich nur drei Erdnussderivate für die Kosmetik patentieren. Und wenn ihm jemand die enormen Gewinne vor Augen führte, die ihm dadurch entgingen, antwortete er nur: »Als Gott die Nüsse erschuf, präsentierte er uns auch keine Rechnung. Wieso sollte ich dann an Erdnussderivaten verdienen?«
Thomas Alva Edison, der dagegen mit Argusaugen über seine Erfindungen wachte, versuchte mit allen Mitteln, Carver als Mitarbeiter zu gewinnen. »Carver ist eine Goldgrube«, sagte er und bot ihm astronomische Summen – die Carver regelmäßig ablehnte.
George W. Carver in seinem Labor
George Washington Carver zählt zweifellos zu den bekanntesten amerikanischen Persönlichkeiten an der Wende zum 20. Jahrhundert und war vermutlich der berühmteste schwarze US-Amerikaner seiner Zeit. Henry Ford sagte über ihn: »Professor Carver hat den Platz Thomas Edisons als größter lebender amerikanischer Wissenschaftler eingenommen.« Und Senator Champ Clark nannte ihn »einen der weltweit bedeutendsten Forscher aller Zeiten«.
Als Carver am 5. Januar 1943 starb, überzeugte Präsident Franklin D. Roosevelt den amerikanischen Kongress, Carvers Geburtshaus zum nationalen Denkmal zu erklären, eine Ehre, die bis dahin nur George Washington und Abraham Lincoln zuteilgeworden war. Seit 1977 ist Carvers Name zudem in der New Yorker »Hall of Fame« verewigt, und am 5. Januar jeden Jahres ehren die Amerikaner Carver und seine revolutionären Erfindungen auf dem Gebiet der Agrarwissenschaften mit dem »George Washington Carver Recognition Day«.
Nikolai Iwanowitsch Wawilow (1887–1943)
ZWEITES KAPITEL
DAS SOWJETISCHE SUPERGETREIDE
Nikolai Iwanowitsch Wawilow, der die Russen satt machen wollte und den Hungertod starb
NIKOLAI IWANOWITSCH WAWILOW kommt am 25. November 1887 als Sohn einer reichen Moskauer Kaufmannsfamilie zur Welt. Seinen Vater Iwan, ein bettelarmes Bauernkind, hatte man dank seiner wundervollen Stimme im Alter von zehn Jahren aus einem gottverlassenen Dorf in den endlosen Weiten Russlands nach Moskau geschickt, um in einem Kirchenchor zu singen. Damit begannen Aufstieg und Glück der Familie Wawilow. Obwohl Iwan Wawilow über keinerlei Bildung verfügt, macht ihn sein guter Geschäftssinn schon bald zum wohlhabenden Miteigentümer und Leiter einer der größten Textilfabriken des Landes. Seine beiden Söhne, die nach dem Wunsch des Vaters eigentlich in die Firma einsteigen sollen, werden berühmte Wissenschaftler.