Tuareg. Alberto Vazquez-Figueroa

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Tuareg - Alberto Vazquez-Figueroa Novelas

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gesprochen, denn Grenzen hatte es in der Sahara nie gegeben.

      »Welche Grenze könnte auch den Sand und den Wind aufhalten?« dachte er.

      Er wandte sein Gesicht wieder der Nacht zu und versuchte zu verstehen, aber es gelang ihm nicht. Jene Männer waren bestimmt keine Verbrecher gewesen, doch einen von ihnen hatte man umgebracht und den anderen wer weiß wohin verschleppt. Kein Mensch durfte so kaltblütig ermordet werden, mochte er auch noch soviel Schuld auf sich geladen haben. Vor allem durfte dies nicht geschehen, während er unter dem schützenden Dach eines amahar schlief.

      Mit dieser Angelegenheit mußte es eine seltsame Bewandtnis haben, aber Gacel kam nicht dahinter. Nur eines war klar: Das älteste Gesetz der Wüste war gebrochen worden. Und das konnte kein amahar hinnehmen.

      Die alte Khaltoum kam Gacel in den Sinn, und er spürte, wie sich die Furcht gleich einer kalten Hand um sein Herz legte. Er beugte sich über Laila und blickte in ihre glänzenden, wachen Augen, in denen sich der Schein des ersterbenden Feuers spiegelte. Sie tat ihm leid, denn sie war kaum fünfzehn Jahre alt. Ihre Nächte würden leer sein ohne ihn. Auch sich selbst bedauerte er. Denn auch seine Nächte würden leer sein, wenn sie nicht mehr an seiner Seite ruhte.

      Er strich ihr übers Haar und spürte, wie sie ihm diese Geste dankte, denn sie öffnete ihre großen, scheuen Gazellenaugen noch weiter.

      »Wann wirst du zurückkommen?« flüsterte sie, und es war mehr ein Flehen als

      eine Frage.

      »Ich weiß es nicht«, antwortete er kopfschüttelnd. »Sobald ich die Gerechtigkeit

      wieder hergestellt habe.«

      »Was bedeuten denn die beiden Männer für dich?«

      »Nichts«, gestand er ein. »Nichts - bis gestern. Aber es geht eigentlich nicht um

      sie. Es geht um mich, doch das verstehst du wohl nicht.«

      Laila verstand genau, aber sie sagte nichts. Sie drückte sich noch enger an ihn, als erhoffte sie von ihm Kraft oder Wärme. In einem letzten Versuch, ihn zurückzuhalten, streckte sie die Arme nach ihm aus, aber er erhob sich und trat ins Freie.

      Draußen sang der Wind noch immer sein sanftes Klagelied. Es war kalt. Gacel hüllte sich enger in seine gandura. Unwillkürlich erschauerte er, und er wußte nicht, ob es die Kälte war oder die furchtbare Leere der Nacht, die vor ihm lag, wie ein Meer von schwarzer Tinte, das ihn verschlingen wollte. Doch da tauchte Suilem mit R’Orab aus der Finsternis auf und reichte ihm die Zügel.

      »Ich wünsche dir Glück, Herr«, sagte er und verschwand, als hätte ihn der Erdboden verschluckt.

      Gacel zwang das Kamel in die Knie, kletterte auf seinen Rücken und gab ihm mit dem Hacken einen leichten Stoß gegen den Hals.

      »Schiaaaa!« rief er. »Vorwärts!«

      Das Kamel brüllte übellaunig, kam schwerfällig hoch und blieb völlig reglos auf seinen vier Beinen stehen, den Kopf in den Wind gereckt, als wartete es auf etwas.

      Der Targi richtete das Tier nach Nordosten und gab ihm mit dem Hacken einen stärkeren Stoß als zuvor, damit es sich in Bewegung setzte.

      Im Eingang von Gacels khaima zeichnete sich eine schattenhafte Gestalt ab. Lailas Augen funkelten in der Nacht. Gleich darauf waren Reiter und Kamel verschwunden, als hätte der Wind sie wie einen Dornenbusch mit sich fortgetragen.

      Noch ließ das fahle Licht des Morgengrauens auf sich warten, und Gacel mußte seine Augen anstrengen, um den Kopf seines Kamels zu erkennen, aber er brauchte nicht mehr Helligkeit. Er wußte, daß es im Umkreis von mehreren hundert Kilometern kein Hindernis gab. Der Instinkt des Wüstenbewohners und die Fähigkeit, sich mit geschlossenen Augen zu orientieren, wiesen ihm sogar in der finstersten Nacht den Weg.

      Dies war eine Fertigkeit, die nur Männer wie er besaßen, Männer, die in der Sahara geboren und aufgewachsen waren. Ähnlich wie eine Brieftaube, ein Zugvogel oder ein Walfisch in den Tiefen des Ozeans wußte ein Targi stets, wo er sich befand und wohin er unterwegs war. Norden, Süden, Osten und Westen: Wasserstellen, Oasen, Sandpisten, Berge, »Leeres Land«, Dünentäler, steinige Ebenen ... Die weite Sahara mit ihrer ganzen Vielfalt spiegelte sich in den Tiefen von Gacels Gehirn, erzeugte eine Art Widerhall, aber er wurde sich dessen nie ganz bewußt.

      Als die Sonne aufging, saß er noch immer auf seinem Mehari. Die Sonne stieg höher, bis sie über seinem Kopf stand. Ihre Kraft nahm rasch zu. Sie ließ den Wind verstummen, und ihr Licht prallte auf die Erde. Der treibende Sand kam zur Ruhe, die Dornenbüsche rollten nicht mehr hin und her. Eidechsen krochen aus ihren Höhlen. Die Vögel blieben unten am Boden. Sie wagten nicht mehr, sich in die Luft zu schwingen, als die Sonne den Zenit erreichte.

      Der Targi brachte sein Kamel zum Stehen und ließ es niederknien. Dann pflanzte er sein langes Schwert und sein altes Gewehr in den Sand, um zwischen ihnen und dem Sattelhorn eine kleine Zeltplane aus grobem Tuch aufzuspannen.

      Er flüchtete sich in den Schatten, lehnte den Kopf gegen die Flanke des weißen Kamels und war gleich darauf eingeschlafen.

      Ein Geruch, der in der Wüste von allen Menschen am sehnlichsten herbeigewünscht wird, weckte Gacel und ließ seine Nasenflügel erbeben. Er schlug die Augen auf, rührte sich aber nicht. Er atmete tief und traute sich kaum, zum Himmel aufzublicken, denn er fürchtete, daß alles nur ein Traum war. Als er schließlich den Kopf nach Westen wandte, erblickte er weit hinten über dem Horizont eine große, dunkle, verheißungsvolle, lebenspendende Wolke. Sie war anders als jene weißen Wolken, die manchmal in großer Höhe von Norden her über den Himmel zogen und verschwanden, ohne die eitle Hoffnung auf ein bißchen Regen erfüllt zu haben.

      Jene graue, tiefhängende, prachtvolle Wolke sah so aus, als enthielte sie das gesamte segensreiche Wasser der Welt. Sie war wahrscheinlich die schönste Wolke, die Gacel in den letzten fünfzehn Jahren gesehen hatte, die schönste seit dem großen Unwetter, das Lailas Geburt vorausgegangen war. Es hatte dazu geführt, daß die Großmutter dem Mädchen eine düstere Zukunft weissagte, denn der ersehnte Regen war so stark, daß er einen reißenden Strom bildete, der Zelte und Tiere mit sich fortriß, Nutzpflanzen vernichtete und eine Kamelstute ertrinken ließ.

      R’Orab bewegte sich unruhig, verdrehte den langen Hals und richtete die bebenden Nüstern auf den Vorhang aus Wasser, der das Licht des Tages zerteilte und das Gesicht der Landschaft veränderte, während er rasch näher kam. Das Kamel brüllte leise, und dann drang aus seiner Kehle eine Art Schnurren, als wäre es eine riesige, zufriedene Katze. Gacel erhob sich langsam, nahm dem Tier Sattel und Zaumzeug ab und entledigte sich selbst seiner Kleidung, die er sorgsam über die dornigen Büsche breitete, damit sie möglichst viel Regen abbekamen. Barfuß und splitternackt wartete er darauf, daß die ersten Tropfen in den Sand fielen, bevor das Wasser wie ein reißender Bach herabstürzte und seine Sinne zuerst mit einem leisen Plätschern, dann mit einem donnernden Rauschen betörte. Er würde den Regen auf der Haut fühlen wie eine Liebkosung, im Mund die Frische und Reinheit des Wassers auskosten und den köstlichen Duft der feuchten Erde einatmen, während rings um ihn ein dichter Dunst vom Boden aufstiege. Da war sie endlich, die wunderbare, fruchtbringende Vereinigung von Himmel und Erde. Noch am selben Nachmittag würde die Sonne den schlafenden Samen der achab-Sträucher wecken, so daß die Pflanzen innerhalb kürzester Zeit die weite, ebene Fläche mit ihrem Grün überziehen und diese Gegend der Wüste verzaubern würden.

      Allerdings wären sie schon nach ein paar Tagen wieder verblüht und würden abermals in einen langen Schlaf fallen, bis der nächste Regenschauer sie wiederum zum Leben erwecken

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