Das Zeichen der Vier. Sir Arthur Conan Doyle
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SIR ARTHUR CONAN DOYLE
Das Zeichen der Vier
Der zweite Sherlock-Holmes-Roman
Leipziger Ausgabe
Vollständig neu übersetzt und mit Anmerkungen versehen von
Susanne Luber
neu gefasst und mit Anmerkungen versehen von
Gerd Haffmans
HAFFMANS VERLAG
BEI ZWEITAUSENDEINS
Die englische Originalausgabe The Sign of the Four wurde zuerst im Februar 1890 in Lippincott’s Monthly Magazine veröffentlicht, die Buchausgabe folgte im selben Jahr bei Spencer Blackett in London.
Die deutsche Erstausgabe erschien unter dem Titel Das Zeichen der Vier im Verlag Robert Lutz, Stuttgart 1902.
Weiteres in der Editorischen Notiz am Schluss des Bandes.
1. Auflage, Winter 2021.
Alle Rechte vorbehalten. Alle Rechte an dieser Neuedition & Neuübersetzung vorbehalten.
Copyright © 2021 by Haffmans Verlag
bei Zweitausendeins Versand-Dienst GmbH,
Bahnhofstr. 30, 82340 Feldafing.
Gestaltung & Produktion: Zweitausendeins.
Umschlagsillustration: Christiane Nebel.
ISBN 978-3-96318-136-8
Inhalt
1. Kapitel: Die Kunst der Deduktion
2. Kapitel: Die Darlegung des Falles
3. Kapitel: Auf der Suche nach einer Lösung
4. Kapitel: Die Erzählung des kahlköpfigen Mannes
5. Kapitel: Die Tragödie von Pondicherry Lodge
6. Kapitel: Sherlock Holmes gibt eine Lehrstunde
7. Kapitel: Die Episode vom Fass
8. Kapitel: Die Irregulären von der Baker Street
9. Kapitel: Ein Glied der Kette bricht
10. Kapitel: Das Ende des Insulaners
11. Kapitel: Der grosse Agra-Schatz
12. Kapitel: Die seltsame Geschichte des Jonathan Small
ANHANG
Kompendium
Bemerkungen zu Sherlock Holmes von Joachim Kalka
Eine Einführung in den Kriminalroman
Who’s Who
Kleine ACD-Chronik
1. KAPITEL
Die Kunst der Deduktion
Sherlock Holmes langte nach der Flasche vom Kaminsims und entnahm einem zierlichen Saffianleder-Etui eine Spritze. Mit seinen langen, weißen, feinnervigen Fingern setzte er die dünne Nadel auf, dann schob er die Manschette des linken Hemdärmels hoch. Sein Blick ruhte eine Weile nachdenklich auf seinem sehnigen Unterarm und dem Handgelenk, die beide über und über von vernarbten Spuren zahlloser Einstiche bedeckt waren. Dann stieß er die scharfe Nadel in die Haut, drückte den kleinen Kolben nieder und sank mit einem langen Seufzer des Wohlbehagens in die Samtpolster seines Lehnstuhls zurück.
Drei Mal täglich, über viele Monate hinweg, war ich Zeuge dieses Vorgangs gewesen, ohne mich durch die lange Gewohnheit damit abzufinden. Im Gegenteil, mein Verdruss über diese Szene wuchs von Tag zu Tag, und nachts ließ mir mein Gewissen keine Ruhe bei dem Gedanken, dass ich nicht den Mut aufbrachte, dagegen einzuschreiten. Wieder und wieder hatte ich mir geschworen, mir diese Last von der Seele zu reden, aber in der kühlen, nachlässigen Art meines Gefährten lag etwas, das mir deutlich sagte, er sei der Letzte, dem gegenüber man sich auch nur die geringste Freiheit herausnehmen dürfe. Seine enormes Wissen, sein überlegenes Auftreten und die vielen Situationen, in denen ich Zeuge seiner außergewöhnlichen Fähigkeiten geworden war – all dies machte mich ihm gegenüber unsicher und schüchtern und hinderte mich, ihm Widerstand entgegenzusetzen.
An diesem Nachmittag jedoch – ob es der starke Burgunder war, den ich zum Mittagessen getrunken hatte oder ob mich Holmes’ provokantes, planmäßiges Vorgehen besonders gereizt hatte – meinte ich plötzlich, es nicht länger ertragen zu können.
»Was ist denn heute an der Reihe«, fragte ich, »Morphium oder Kokain?«
Träge hob er den Blick von dem alten Folianten, der aufgeschlagen vor ihm lag.
»Kokain«, sagte er, »eine siebenprozentige Lösung. Möchten Sie probieren?«
»Nein, ganz bestimmt nicht«, antwortete ich barsch. »Ich habe die Folgen des Afghanistan-Feldzugs noch nicht überwunden und kann meiner Konstitution keine zusätzliche Belastung zumuten.«
Er lächelte über meine Heftigkeit. »Vielleicht haben Sie recht, Watson«, sagte er. »Ich vermute, der Physis ist es tatsächlich abträglich. Aber die Wirkung auf den Geist empfinde ich als so überaus stimulierend und erhellend, dass dagegen alles andere von geringem Belang ist.«
»Aber bedenken Sie doch«, mahnte ich eindringlich, »um welchen Preis! Ihre Hirntätigkeit mag ja, wie Sie sagen, angeregt und beschwingt werden, trotzdem ist es ein pathologischer, morbider Prozess, der eine fortschreitende Gewebeveränderung zur Folge hat und zumindest eine bleibende Schwächung zurücklässt. Sie wissen doch selbst, welch schwarze Stimmung Sie danach jedes Mal überkommt. Wahrhaftig, das lohnt sich nicht! Weshalb bloß riskieren Sie um eines bloßen flüchtigen Genusses willen den Verlust jener hervorragenden Fähigkeiten, mit denen Sie begabt sind? Bitte bedenken Sie,