Leben nach der DDR. Klaus Behling
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DDR-Unterhändler Günther Krause kennt den allerersten Vorschlag dazu: »Der Vertragsentwurf der DDR, der in der ersten Verhandlungsrunde übergeben worden ist, hat natürlich viele symbolische Fakten gehabt … Dass wir den ersten Vertragsentwurf vorgelegt haben, hat dem Wolfgang Schäuble an dem Verhandlungstag überhaupt nicht gefallen.«
Dass der Verhandlungsrahmen des Ostens ohnehin von vornherein begrenzt blieb, bestätigte der Bundesinnenminister: »Meine stehende Rede war: ›Liebe Leute, es handelt sich um einen Beitritt der DDR zur Bundesrepublik, nicht um die umgekehrte Veranstaltung. Wir haben ein gutes Grundgesetz, das sich bewährt hat. Wir tun alles für euch. Ihr seid herzlich willkommen. Wir wollen nicht kaltschnäuzig über eure Wünsche und Interessen hinweggehen. Aber hier findet nicht die Vereinigung zweier gleicher Staaten statt. Wir fangen nicht ganz von vorn bei gleichberechtigten Ausgangspositionen an.‹«
Trotzdem erkannten beide Seiten, dass solch ein Vertrag geeignet sei, um einige grundlegende Probleme zu regeln. Sie betrafen die Übertragung des Grundgesetzes auf die dann nicht mehr existierende DDR, die Bildung der neuen Länder und die gemeinsame Auffassung, Berlin als deutsche Hauptstadt vorzuschlagen. Außerdem waren die Übernahme des DDR-Vermögens und die Haftung für die DDR-Staatsschulden wichtig. Alle Einzelheiten wurden in umfangreichen Anlagen zu den verschiedenen Sachgebieten geregelt.
Die Verhandlungen über den »Einigungsvertrag« zum Beitritt der DDR zur Bundesrepublik. Vorn rechts sitzt Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, Verhandlungsführer der BRD, und auf der gegenüberliegenden Seite Günther Krause, Parlamentarischer Staatssekretär beim Ministerpräsidenten und Verhandlungsführer der DDR. (picture alliance / ullstein bild /Gisbert Paech)
Mit dem Plan der DDR, der Bundesrepublik beizutreten, war ein Weg zur Einheit gewählt worden, der keinen weiteren parlamentarischen Prozess im Westen erforderte. Dort regierte die CDU/CSU in einer Koalition mit der FDP. Die notwendigen Zweidrittelmehrheiten zur Änderung des Grundgesetzes hätten den Einigungsprozess oder Teile davon blockieren können. Viele SPD-Abgeordnete favorisierten zunächst den Weg in die deutsche Einheit über den Artikel 146 des Grundgesetzes und damit über eine gemeinsam neue Verfassung.
In der DDR bedurfte die Bestätigung des Beitritts, verbunden mit der Festlegung eines konkreten Termins, noch eines Votums der Volkskammer. Am 23. August 1990 stimmten 363 Parlamentarier darüber ab. Dabei wurden 294 Ja-Stimmen abgegeben, 62 Abgeordnete votierten mit »nein«, und es gab 7 Enthaltungen.
Am 31. August 1990 unterzeichneten die Bundesrepublik und die DDR den Einigungsvertrag. Um in Kraft treten zu können, musste er zu einem Gesetz werden, dass in beiden deutschen Parlamenten mit mindestens einer Zweidritteilmehrheit angenommen wurde. Sie war auch nötig, um im Westen Grundgesetzänderungen, die sich aus dem Vertrag ergaben – wie zum Beispiel die Streichung des Artikels 23 und die Neufassung des Artikels 146 –, zu vollziehen.
Die parallelen Sitzungen des Deutschen Bundestags in Bonn und der Volkskammer in Ostberlin fanden am 20. September 1990 statt.
Kurz zuvor drohte der gesamte Vereinigungsprozess zu platzen, weil das am 24. August 1990 von der Volkskammer mit nur einer Gegenstimme beschlossene »Gesetz über die Sicherung und Nutzung der personenbezogenen Daten des ehemaligen MfS/AfNS« im Einigungsvertrag keine Berücksichtigung gefunden hatte. Im Gegensatz zur DDR wollte die Bundesrepublik die Akten ins Bundesarchiv überführen und einer dreißigjährigen Sperrfrist unterstellen. Dagegen protestierten DDR-Bürgerrechtler mit einer erneuten Besetzung der ehemaligen Stasi-Zentrale und einem Hungerstreik. Am 18. September 1990 vereinbarten Günther Krause und Wolfgang Schäuble eine Zusatzvereinbarung zum Einigungsvertrag, die festlegte, dass »der gesamtdeutsche Gesetzgeber die Grundsätze, wie sie in dem von der Volkskammer am 24. August 1990 verabschiedeten Gesetz … zum Ausdruck kommen, umfassend berücksichtigt«. Sie wurde als »Vereinbarung vom 18. September 1990« Teil des »Einigungsvertragsgesetzes«.
In der Volkskammer sagten 299 Abgeordnete »ja«, 80 Abgeordnete »nein«, und es gab 1 Enthaltung. Im Bundestag votierten 440 Parlamentarier mit »ja« und 47 mit »nein« bei 3 Enthaltungen.
Am 21. September 1990 stimmte der Bundesrat dem Vertrag zu, am 23. September unterzeichnete ihn Bundespräsident Richard von Weizsäcker.
Ostberlin, 20. September 1990, im Haus der Parlamentarier: Namentliche Abstimmung der Abgeordneten der Volkskammer zum »Einigungsvertragsgesetz«. An der gläsernen Abstimmungsurne gibt der Vorsitzende der PDS, Gregor Gysi, sein Votum ab. (picture alliance / dpa – Report / Wolfgang Kumm)
Nach dem Inkrafttreten wurde der Einigungsvertrag mehrfach geändert, zuletzt 2016, indem überflüssig gewordene Abschnitte gestrichen wurden.
Heute ist der Blick auf den Einigungsvertrag für manche zwiespältig. Eine grundsätzliche Kritik kommt allerdings nur noch von jenen, die die Einheit Deutschlands ablehnen. Der letzte DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière zog auch nach zwanzig Jahren eine durchweg positive Bilanz: »Manches, was die Leute beklagen: ›Ja das steht im Einigungsvertrag und ist falsch‹, ist spätere bundesdeutsche Gesetzgebung, was wir gar nicht gemacht haben. Aber man hat es sich so angewöhnt, alles, was nicht klappt, dem Einigungsvertrag anzulasten. Man sollte sich ihn ansehen, um festzustellen, dass die Anerkennung der Berufsabschlüsse der Ostdeutschen im Einigungsvertrag geregelt ist, dass ein großer Teil ihrer sonstigen zivilrechtlichen Ansprüche, Eigentumsansprüche und so weiter geregelt ist. Ich halte ihn nach wie vor für ein Meisterwerk.«
Applaus von DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière (Mitte): In Berlin, im Kronprinzenpalais, besiegeln Regierungsmitglieder beider deutscher Staaten am 31. August 1990 den Beitritt der DDR zur BRD. Die beiden Verhandlungsführer des Einigungsvertrags, Wolfgang Schäuble (links) und Günther Krause (rechts), tauschen die von ihnen unterzeichneten Urkunden. Das Vertragswerk umfasst rund 900 Seiten. (picture alliance / dpa – Bildarchiv / Peter Kneffel)
Wo blieb der »Rententopf«
der DDR?
Die Frage ist einfach zu beantworten: Es gab keinen »Rententopf«, denn die Renten in der DDR wurden genauso wie auch im Westen im Umlageverfahren finanziert. Die Arbeitenden zahlten für die Ruheständler.
Die Sozialversicherung der DDR bot allen Bürgerinnen und Bürgern Schutz bei Alter, Invalidität und Tod. Seit 1971 ergänzte sie die Freiwillige Zusatzrentenversicherung (FZR), die in zwei Ausbaustufen Bruttoentgelte von mehr als 600 Mark durch Zusatzbeiträge rentenwirksam werden ließ. Etwa 85 Prozent der Berechtigten schlossen die FZR ab.
Mit der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion wurde die Angleichung an bundesdeutsches Rentenrecht nach der Einheit festgelegt. Für Frauen stieg das Renteneintrittsalter von sechzig auf fünfundsechzig Jahre, DDR-Zusagen über die künftige Rentenhöhe – sie lagen bei bis zu 90 Prozent des günstigsten Nettoverdienstes – wurden nicht übernommen. Zu den Zusatz- und Sonderversorgungssystemen hieß es: »Die bestehenden Zusatz- und Sonderversorgungssysteme werden grundsätzlich zum 1. Juli 1990 geschlossen.« Es gab siebenundzwanzig Zusatzversorgungssysteme