Die Gärten der Medusa. Dieter Bachmann

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Die Gärten der Medusa - Dieter Bachmann

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Gras, in dem Sumpfdurcheinander Gebüsch wie bei Werner Bischof, auch Bert wurde Fotograf, und die schwarz-weißen Fotos von Bischof, waren Maßstab geworden oder Ausgangspunkt für alles, was kommen sollte.

      Bert reiste per Autostopp, einmal eine Strecke mit einem Fahrrad, das er unterwegs aufgegabelt hatte, wie er krakelig auf einer schwarz-weißen Ansichtskarte aus Marseille, Le Vieux Port, schrieb. Er hatte es geschafft, Bert. Er war in Saintes-Maries gewesen, er hatte Sumpfgrasbüschel im Gegenlicht fotografiert und die ersten Gauloises geraucht, hatte tausend Mücken totgeschlagen, die ihn in seinem Zelt auffressen wollten, und außerdem mit einem Vaquero Wildpferde gehütet. Wild, eingesperrt in der nachmittäglichen Geologiestunde, sah Bert, wie er dort unten in Frankreich stand, die Rolleiflex in der Hand, und wie er die gelbe Zunge des 6x6-Rollfilms sorgfältig in die Transportspule einfädelte.

      Es gab im ganzen Land keinen meerferneren Ort als Bern, eine Stadt, die gleichsam die Negation von Ozean war, ein Steindampfer aus Steinhäusern, für alle Zeiten auf seinem Festlandsockel aufgelaufen und festgefahren. Als Wild auf dem Rhein später einen Lastkahn sah, der mit viel Wassergewirbel am Heck langsam flussaufwärts tackerte, und er den Namen am Bug ausmachte, «Bern», glaubte er an ein Versehen.

      Das Meer. Als Wild im empfänglichsten Alter war, ein Kind, das sich nicht mehr als Kind fühlte, war Charles Trenets «La Mer» oft aus dem Lautsprecher des Grammophonmöbels gekommen und hatte ihn mit dem Geruch des Wortes «azur», einer Ahnung von «bleu marin» und der Silbenfolge «limpide» bis ins Gymnasiastenmark imprägniert. Dann kamen – Lektüre – Wörter wie «Brise», «Schaluppe», «Segel», «Leine», «Kliff», «Aquamarin», «Schaumkrone», «Brecher». Bei Charles Trenet wiederum der Begriff «le large» für das Riesenwasser, das sich vor deinem Auge dort draußen auf dem offenen Meer erstreckt.

      Dann «Käpt’n Bontekoes Schiffsjungen», die Schiffsjungen, die nach dem Brand des Seglers «Nieuw-Hoorn», der sie hätte nach Java bringen sollen, auf Sumatra stranden und sich dort durch den Dschungel nach Bantam durchschlagen. Java-Sumatra-Bantam, und der Name der Schiffsgesellschaft, die Niederländische-Ostindien-Kompanie.

      Dann genügte die Wortfolge «Hamburg-Amerika-Linie», und Wild sah Gischt und Nordsturm und schwere Taue im Kampf gegen die Wogen, schräge Riesenkamine, wie davon vier auf der «Titanic» standen.

      War Wild zur Landratte verdammt? Hatte sich niemals eingeschifft. Ein Leben als Landratte; eine Süßwasserbiografie anstatt eines Abenteurerlebens. Niemals Malaria, kein Gelbfieber, niemals Kurs auf eine unbekannte Insel genommen. Nie war Wild eine Gangway am Schiffsrumpf steil in die Höhe gestapft, um an der Einstiegsluke sein Ticket abzugeben und in ein Inneres eingelassen zu werden, den Eisenkerl, der ihn in eine andere Welt führen würde.

      Einmal fuhr Wild vom Peloponnes nach Athen, also nach Piräus. Konnte das ein Einschiffen genannt werden, dort in Neapolis, wo Wild an Bord ging?

      Er verließ am frühesten Morgen, hatte kaum geschlafen, das bienenschwirrende Land, dem Ufersaum zu abwärts durch die kargen Hänge, auf denen alte Olivenbäume ihre schütteren Äste reckten, als würden sie um Wasser flehen, die Füße wie Märtyrer auf dem glühenden Boden, nackte Erde, kalkplattenübersät, mit Eidechsen und Schlangen wohl auch. Er ging über den Pier, eine Tasche über der Schulter, und über eine einfache Brücke geradewegs an Bord des eisernen Kahns, der bewegungslos auf seinem eingedickten Hafenwasser lag, ein Omnibus. Er ging einfach so an Bord, hereinspaziert, aufs Zwischendeck. Das war keine Gangway, das konnte man so nicht nennen.

      Als das Schiff die weite, flache Bucht von Neapolis verlassen hatte, der nun dunkel und grün erscheinende Ufersaum zurückblieb, die aufragenden Kerzen der Zypressen, die Gärten, die sich bis an die Wasserlinie lagerten, als der Dampfer nun Abstand gewann und das Land langsam zurückblieb, viel langsamer als Wild sich das vorgestellt hatte, besah er Himmel und Meer, als müsste nun etwas geschehen. Aber er spürte keine besondere Bewegung. Er suchte sich zwischen einer Taurolle und einem Lüftungsturm einen Platz auf Deck.

      Ganz vorn im Schiff, tief unter dem Bug, befand sich eine enge Bar oder Buvette, die, als Wild sie betrat, schon voll war von Männern, die offenbar an einer früheren Anlegestelle an Bord gekommen waren. Manche hockten einfach da, einige tranken Bier und Ouzo, Gewohnheitspassagiere, die hier ihre sechzehn Stunden Fahrzeit absaßen, Leute vom Peloponnes, die in Athen ihren Geschäften nachgingen oder in der Hauptstadt auch nur einkaufen wollten. Wild fühlte sich als Fremdkörper unter den Männern in dem engen Verschlag aus Stahl, unter den Lampen, die nur ein undeutliches Licht hergaben.

      An Deck wurde das Vergnügen an dieser Seefahrt auch nicht größer. Als die Nacht hereingebrochen war und sich Wild daran machte, an seine Taurolle lehnend die Sterne des Himmels zu betrachten, eine Übung, die er auf einer solchen Fahrt als unerlässlich betrachtete, obwohl er die Sterne nicht kannte, ein paar wenige, den Großen Bären, den Orion und ein Vieleck, das wie ein Papierdrachen aussah. Er konnte sich an die Milchstraße halten, die wie ein erleuchteter Karrenweg über den Himmel verlief. Fahrtwind wehte ineins mit Dieselschwaden über das Oberdeck. Wild ging noch einmal zum Bug und stieg in das Eisenfach der Pinte hinunter, machte aber auf der Schwelle kehrt, als er die Männer so laut sah. Einheimische, da hatte er kein Zutrittsrecht.

      Die Nacht unter dem Himmel war lang und unbequem. Das Liegen tat weh, Wild fror. So, wie man auf dem Festland nicht frieren kann. Beim ersten Schimmer des Morgengrauens war er auf den Beinen, unausgeschlafen, als er im schwachen Licht, das zwischen Meer und Himmel kaum einen Unterschied ausmachte, ein paar Delfine sah, das heißt mehr ahnte als sah, ihre flachen, pfeilschnellen Flitzer knapp über den Wasserspiegel erhaschte, bevor die Tiere sofort wieder in den tieferen Schichten des Wassers verschwanden; einem Raum, den Wild sich nicht vorstellen konnte oben an seiner Reling, auf diesem Bügeleisen aus Stahl, das die Wasseroberfläche nur auf der dünnen Schicht zu befahren schien, dem Wassertuch über den Tiefen, von denen einer wie Wild nichts wissen konnte. Am Heck zog das Schiff eine Schleppe hinter sich her, auf die ein paar Vögel, wohl Möwen, hie und da niederstießen. Das alles hatte er in den Büchern gelesen, nur viel banaler. Einmal hatte er es nun doch geschafft.

      Aber Cook und die Sandwich-Inseln und Gauguin und Tahiti; die «Kon Tiki», Thor Heyerdahl, den Pazifik und die Schwarz-Weiß-Fotos der haushohen Wellen, über die das Balsafloß schieferte hinab in die Wellentäler, jählings hochgehoben vom nächsten Wellenkamm: Das alles gab es nur in den Büchern.

      Joseph Conrad, zu seinem Glück und Vorteil las er ihn nicht zu früh. Als er bereit war für Ausfahrt, Flaute, Sturm und Untergang als Gleichnis des Lebens, doch auch für das Versprechen der Ankunft. Das Schiff nicht nur das Zeichen des Aufbruchs, des Raums, das es vor sich hat und erobert, sondern immer auch des Ankommens. Ankunft. Ufer. Der Pier, man legt nicht nur von ihm ab, man kommt an einem Pier an, an einem anderen, Zweck der Reise.

      Niemand hatte das so zu sagen gewusst wie Conrad, und auch Joseph Conrad schaute schon zurück, als er zu schreiben begann, immer schon zurück, nicht nur auf seine Fahrten und seine See. Er kannte die Bitterkeit einer Ankunft an einem Ort, der nicht mehr der ist, der er einmal gewesen ist. Den scharfen Schmerz des Zu spät, das die des Nachkommen prägt, und sind wir nicht alle zu Nachkommen geworden? Sind wir nicht alle nur noch Spätere?

      Mon Dieu, dachte Wild, das wäre noch mal eine andere Bibliothek als die Borbakis’sche: meine Schiffe und ihre Gewässer, Darwins «Endeavour», und Melvilles «Quequod», Conrads «Narcissus», die real existierende «Normandie» und all die Modelle von ihr bis zu Catherine Anne Porters «Ship of Fools», das keinen Namen hat; die schreckliche «Tirpitz» und das Balsafloß «Kon Tiki». Fellinis «Rex» und sein Dampfer in «E la nave va» – wie heißt er denn?

      Die Schweizer im Anhang, «Rapperswil» und «Stadt Zürich»; die Blüte des vierwaldstättischen Dampferwesens, «Wilhelm Tell», «Gallia», «Rütli», «Winkelried» und «Stadt Luzern», wenn denn Süßwasserkähne überhaupt erlaubt wären,

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