Beichte in der Nacht. Friedrich Glauser

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Beichte in der Nacht - Friedrich  Glauser

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und schrie … Zweimal musste der Zug über die Bühne. Der alte Gygli am Dirigentenpult hob den Stab, die Musik brummte einen Tusch, noch einen …

      Nur das Komitee machte nicht mit. Es ist merkwürdig, aber bei Männern sind die vierziger Jahre ein gefährliches Alter. Die Männer sind in diesen Jahren immer beleidigt. Und das Komitee war beleidigt.

      Es wartete bis nach der Vorstellung. Und es sperrte die Bratwürste. Der Arbeiterturnverein regte sich auf, sie hatten Hunger, die zehn Burschen. Sie hatten ihre Abende hergegeben, ihre freie Zeit, sie mussten am Morgen um sieben Uhr in der Fabrik sein, sie hatten Hunger, und ihr Lohn war nicht groß. Nur vier waren gelernte Arbeiter. Aber, wie gesagt, mit der Sprache haperte es. Der Gott Merkur war nicht mehr da, er war mit der kleinen Lehrerin heimgegangen, die Kopfweh hatte … So biss der Dichter Kehrli in den sauern Apfel. Vergebens versuchte Elisabeth ihn zurückzuhalten. Ein dichtender Gemeindeschreiber weiß nichts von Diplomatie, er hat Mühe genug, seine Schüchternheit zu überwinden, wenn er einmal in Wut kommt, ist er nicht zu halten. Er warf den Komiteemitgliedern vor, sie hätten alle ihren Schnitt gemacht! Entsetzen! Verrat! Wut! So etwas sagt man nicht! «Die Bratwürste her», sagte Johann Kehrli, «sonst kommt ihr in den Nebelspalter!»

      Die Bratwürste wurden gebracht. Dann gab es Musik. Auf der Bühne wurde getanzt. In zwei Stunden war das Fest vorbei. Johann tanzte mit Elisabeth einen Tango. Da erschien das Komitee fünf Mann hoch auf der Bühne und holte sich den Dichter. Es sah einer Verhaftung gleich. Kehrli wurde bleich. Elisabeth ließ ihn gehen, ihr Gesicht war traurig, aber sie zuckte mit den Achseln. Noch hatte sie ihr Geld nicht … Und gesenkten Hauptes folgte der Dichter des Festspiels den fünf Herren des Komitees. Unterwegs fragte er schüchtern: «Wollt ihr mir Prügel geben?» Starres Schweigen. Gesättigt saß der Turnverein am rauhen Tisch, keiner erhob sich. Das Fest war vorbei, die Gemeinschaft zerfiel …

      Draußen rauschten die Blätter der Platanen, die Stadt war nah und trug einen milchigen Schein auf ihren Dächern. Es war warm, aber Johann Kehrli fror. Am liebsten hätte er geweint, aber er blieb tapfer. Zuerst hielt jeder der Komiteemitglieder eine Rede, ernst, schwer, tadelnd. Dann war es fertig. Alle sechs warteten, keiner wollte aufbrechen. Vorwurfsvoll sagte der Redaktor des Landboten: «Du willst uns in die Zeitung bringen, dabei haben wir so große Opfer für das Fest gebracht. Wir haben manchmal nicht zu Nacht gegessen, weil wir eine wichtige Sitzung hatten, wir haben für das Gelingen des Festes gehungert …» Nun war der Redaktor leider mit einem rundlichen Bauch behaftet. Kehrli wies mit dem Zeigefinger auf die Rundung und sagte: «Das sieht man …» Es lachte keiner. Die Luft war still. In der Ferne bellte ein Hund. Das Komitee marschierte ab, und Kehrli blieb allein zurück. Die Lichter im großen Festspielzelte erloschen. Als er hinkam, war alles leer. Niemand hatte auf ihn gewartet. Er versuchte sich an seine Verse zu erinnern, aber sie waren verweht, wie der Abend, an dem er mit dem Tod auf einer Kiste gesessen war. Es war ein schöner Tod gewesen. Und er war nur ein kleiner Gemeindeschreiber, der einmal ein Festspiel gedichtet hatte …

      «Wenn die Musik der Liebe Nahrung ist, spielt weiter, gebt mir volles Maß …», lässt Shakespeare seinen Herzog sagen … Volles Maß? … Volles Maß gibt es nicht …

      Vom Waiblikoner Musikfest sind einzig die Kränze unter Glas und Rahmen geblieben, die von Tägertschi bis nach Koppigen den leeren Stuben der kleinen Beizen als Wandschmuck dienen …

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