Bruder Tier. Karl König
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Die Komik, die von ihm ausgeht, hat eine andere Wurzel. Liegt sie nicht dort, wo der Pinguin versucht den Menschen nachzuahmen? Statt zu fliegen, stellt er sich, wenn er an Land geht, aufrecht hin, fängt zu schnattern und zu schreien an und nimmt sich so wichtig, als wäre er wirklich jemand. So erscheint es uns; und deshalb verzieht sich unser Mund zum Lächeln. Es ist, als würde ein Fisch, dem die Bauchflossen zu Füßen geworden sind, an Land steigen und aufrecht dort herumstolzieren. Der Pinguin ist eigentlich ein zum Fisch umgewandelter Vogel. Sein Reich ist das Wasser; und dort ist er ganz zu Hause. In Brehms Tierleben heißt es:
Meist schwimmen sie unter Wasser etwa 30 m weit, dann springen sie, vermutlich um Luft zu holen, wie kleine Delphine bis 30 cm über die Oberfläche empor und verschwinden nach einem 60 bis 80 cm weiten Satz wieder im Wasser. Bei dieser Bewegungsart bedienen sie sich nur der Flügel; sie fliegen gleichsam im Wasser … Dabei bewegen sie sich mit außerordentlicher Geschwindigkeit durch die Flut, nach Chun so rasch, dass sie den in Fahrt begriffenen Dampfer mit spielender Leichtigkeit überholen.5
Bei Gerlach lesen wir:
Mit ihren Flügeln können sie nicht mehr fliegen: dafür führen sie die Flugbewegung mit ihnen unter Wasser aus. Die Flossenflügel drehen sich in geschwinder und weiter Schwingung und machen bis zu zweihundert Schläge in der Minute. Die Pinguine sausen wie im Fluge unter Wasser dahin und legen zehn Meter in der Sekunde zurück.6
Sie können also leicht in zwei Minuten einen Kilometer und in einer Stunde 30 Kilometer schwimmend zurücklegen. Ist es dann zu verwundern, dass es noch immer nicht zu ergründen ist, wohin sie ziehen, wenn sie mit ihren herangewachsenen Jungen die Inseln verlassen und ins Meer hinein verschwinden? Vielleicht sind alle südlichen Meere bis zum Äquator hinauf ihr Lebensgebiet. Wir wissen es nicht; aber das Wasser ist ihre rechte Heimat.
Kommen sie an Land, um ihre Eier zu legen und auszubrüten, dann beginnen wir erst sie komisch zu finden. Denn nun nehmen sie, wie in der Rückerinnerung, das Vogelleben an; Männchen und Weibchen finden einander, bauen Nester, und ein ehrbares Familienleben beginnt. Aus einem ziehenden Jäger ist ein gesetzter Bürger geworden. Ein Fisch verwandelt sich in einen Vogel.
Durch den aufrechten Gang, die seltsame Zeichnung und Färbung des Federkleides, mit weißer, über den Bauch reichender Hemdbrust und schwarzem, frackähnlichem Rücken, wird diese Bürgerlichkeit noch deutlich unterstrichen. Dazu stehen sie zu Tausenden zusammen, schwätzen, schnattern, stoßen einander, nehmen sich gegenseitig die Steine, die sie zum Nestbau nötig haben, fort; rauben sich auch gelegentlich die Gattin und das wohlbehütete Ei, sind aber trotzdem gute Eheleute und treubesorgte Eltern. Diese heute schon genau beobachteten und ausführlich beschriebenen Eigenschaften machen den am Land weilenden Pinguin zur komischen Figur. Er muss ein Vogel sein und kann es doch nicht; denn es fehlen ihm die Flügel, und er ist deshalb an die Erde gebunden. Um diesen Mangel zu überkommen, versucht er menschenähnlich zu sein. Dieses Wagnis jedoch ist kläglich gescheitert. So lebt der Pinguin ein missglücktes Dasein, verurteilt dazu, die Hälfte des Jahres die Heimstatt der Meere zu verlassen, an Land zu steigen und eine Zwischenform darzustellen, sich seines einstmaligen Vogellebens zu erinnern und es zu wiederholen und gleichzeitig aufrecht wie ein Mensch herumzustehen und doch keiner sein zu können. Wer erinnerte sich da nicht an Fluch- und Zaubersprüche, die Menschen in Tierleiber hineinbannen oder Wesen dazu verurteilen, einen Teil ihres Daseins an Orten zu verbringen, die ihnen zur Qual werden? Wie Demeters Tochter einst ins Reich der Unterwelt beschieden wurde und nur für wenige Monate ans Licht kommen darf! Ähnliches liegt im Leben der Pinguine verborgen und wird mit der Maske der Unvollkommenheit und Komik verdeckt. Hat Kirke, die zaubermächtige Tochter des Helios, hier ihre Hand im Spiel gehabt?
Fluglose Vögel
Auf den Ufern und Inseln der Arktis gibt es keine Pinguine. Und doch hat bis zum Anfang des vorigen Jahrhunderts eine besondere Art von Vögeln dort gelebt, die den Pinguinen durchaus vergleichbar ist: der Riesenalk. Obwohl einem ganz anderen Zweig des ganzen Vogelgeschlechtes zugehörig, sind sie einer ähnlichen Umbildung unterworfen worden. Auch beim Riesenalk wurde der Flügel zu einer verkümmerten Gliedmaße und die Fähigkeit des Fliegens ging verloren. In der Größe war er den größeren Pinguinarten gleich; er maß etwa 80 cm. Auch er war aufrecht, hatte einen weißen Bauch und einen schwarzen Rücken. Seine nächsten Verwandten sind Tordalk und Trottellumme der nordischen Vogelfelsen. Er bewohnte in früheren Zeiten nicht nur die Inseln der nördlichen Meere, sondern seine Reste aus vorgeschichtlicher Zeit wurden an den Küsten Dänemarks, Irlands und sogar in südlichen Gebieten Nordamerikas gefunden.7 Die letzten lebenden Exemplare wurden noch um 1820 in und um Grönland gesichtet. Seither ist dieser Vogel – der ähnlich zahlreich gewesen sein muss, wie es heute noch der Pinguin ist – von der Erde verschwunden.8 Er war in geschichtlichen Zeiten auf Neufundland, Grönland und Island besonders häufig anzutreffen.
Alle Beobachter erwähnen, dass sie (die Riesenalken) mit hoch erhobenem Kopf, aber eingezogenem Nacken zu schwimmen pflegten und, beunruhigt, stets untertauchten. Auf den Felsen saßen sie gerade aufgerichtet, steiler als Lummen und Tordalken. Sie gingen oder liefen mit kleinen, kurzen Schritten aufrecht einher wie ein Mensch und tauchten bei Gefahr vier bis fünf Meter hinab in die See.9
Auch dieser Riesenalk brütete im Sommer und legte ein einziges Ei; über die Art und Zeit des Brütens bestehen nur Vermutungen. Jedenfalls waren im arktischen Gebiet ähnliche Lebensformen zur Entstehung gekommen, wie wir ihnen heute noch in den Pinguinen begegnen. Beide verloren ihr Vogeltum dadurch, dass sie das Fliegen aufgaben und das Schwimmen dafür erwarben. Riesenalken und Pinguine, wohl stammesgeschichtlich nicht verwandt, unterlagen der gleichen Bestimmung und mussten dem Fliegen entraten. Gibt es auch andere Vögel, die ein ähnliches Schicksal hatten? Wir kennen eine ganze Reihe, von denen einige noch leben, andere schon ausgestorben sind. Allen voran die Familie der Strauße. Ihre Flügel sind verkümmert und tragen so weiche Federn, dass sie zum Fliegen unbrauchbar sind. Dafür aber werden Hals und Beine kräftig entwickelt, und ein richtiger Strauß erreicht oft eine Höhe von über zwei Metern. Ähnliche Gestalt haben die australischen Emus, die südamerikanischen Nandus und die seit vielen hundert Jahren ausgestorbenen Moas aus Neuseeland. Die Letzteren erreichten eine Größe von dreieinhalb bis vier Meter, mit mächtigen Oberschenkeln und gewaltigen Hälsen. Dort lebt jetzt noch ganz vereinzelt und selten der flugunfähige Kiwi, der neuseeländische Schnepfenstrauß.
Alle diese Vögel haben ihr Flugvermögen eingebüßt. Sie haben dafür, mit Ausnahme der Kiwis, mächtige Beine und ellenlange Hälse entwickelt. Es ist, als hätten sie den Verlust der Flügel an diesen Stellen wettgemacht. Man denkt unmittelbar an Goethes Darlegungen in dem Gedicht über die «Metamorphose der Tiere»:
Doch im Innern scheint ein Geist gewaltig zu ringen,
Wie er durchbräche den Kreis, Willkür zu schaffen den Formen
Wie dem Wollen; doch was er beginnt, beginnt er vergebens.
Denn