Gesammelte Werke. Sinclair Lewis
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Sie kicherten höflich, bewegten sich aber nicht aus der Sicherheit heraus, die ihnen ihr Kreis gab, und hörten nicht auf zu glotzen.
Carola hatte viel Mühe darauf verwendet, sich für das Ereignis anzuziehen. Ihre Frisur war züchtig, das Haar niedrig in die Stirn gekämmt, mit einem Scheitel und eingerollten Flechten. Jetzt wollte sie, sie hätte es hoch aufgetürmt. Ihr Kleid war unschuldig fallender Batist, mit einer breiten Goldschärpe und einem kleinen viereckigen Halsausschnitt, der den Halsansatz und schöne Schultern ahnen ließ. Während sie aber gemustert wurde, war sie überzeugt, das alles sei falsch. Einmal wünschte sie, sie hätte ein altjüngferliches hochgeschlossenes Kleid an, dann wieder, sie hätte den Mut gehabt, die Leute mit einem grellen, leuchtend roten Schal, den sie in Chicago gekauft hatte, in Empörung zu versetzen.
Sie wurde im Kreis herumgeführt. Ihre Stimme produzierte mechanisch Worte:
»Ach, sicher wird es mir hier ausgezeichnet gefallen.« »Ja, wir haben es wunderschön in den Colorado-Bergen gehabt« und »Ja, ich war einige Jahre in St. Paul. Euclid P. Tinker? Nein, ich kann mich nicht erinnern, ihn kennengelernt zu haben. Aber ich glaube ganz bestimmt, ich habe von ihm gehört.«
Kennicott nahm sie beiseite und flüsterte: »Jetzt werd' ich sie dir vorstellen, jeden einzeln.«
»Erzähl mir zuerst von ihnen.«
»Also, das hübsche Paar dort drüben sind Harry Haydock und seine Frau Juanita. Harrys Vater gehört der Bon Ton zum größten Teil, aber Harry leitet ihn und bringt Schwung in die Sache. Er ist ein flotter Geschäftsmann. Neben ihm ist Dave Dyer, der Drogist – du hast ihn am Nachmittag kennengelernt – ein fabelhafter Entenschütze. Der Riese neben ihm ist Jack Elder – Jackson Elder – dem gehört die Hobelwerkstatt, das Minniemashie-Hotel und 'n ziemlich großer Anteil an der Bauern-Nationalbank. Er und seine Frau sind feine Kerle – er und Sam und ich gehen viel miteinander jagen. Der alte Käse dort ist Luke Dawson, der reichste Mann in der Stadt. Neben ihm sitzt Nat Hicks, der Schneider.«
»Wirklich, ein Schneider?«
»Freilich, warum nicht? Vielleicht sind wir nicht ganz modern, aber demokratisch sind wir. Ich geh mit Nat ebenso gern jagen wie mit Jack Elder.«
»Das ist nett. Ich habe noch nie einen Schneider in Gesellschaft kennengelernt. Es muß angenehm sein, einen Schneider zu sehen und nicht immer daran denken zu müssen, was man ihm schuldig ist. Und gehst du – Würdest du mit deinem Friseur auch auf die Jagd gehen?«
»Nein, aber – Es hat doch keinen Sinn, diese demokratischen Sachen zu übertreiben. Übrigens, ich kenn' Nat seit Jahren und außerdem ist er ein ausgezeichneter Schütze, und – Also, so ist die Sache, verstehst du? Neben Nat ist Chet Dashaway. Ein großer Redner vor dem Herrn. Der redet dir ein Loch, über Religion und Politik und Bücher und alles.«
Carola warf einen höflichen, nahezu interessierten Blick auf Herrn Dashaway, einen braungebrannten Menschen mit großem Mund. »Oh, ich weiß! Er ist der Mann vom Möbelladen!« Sie war sehr zufrieden mit sich.
»Ja, und er ist auch der Leichenbestatter. Er wird dir gefallen. Komm, gib ihm mal die Hand.«
»Ach nein, nein! Er macht doch – er macht doch nicht das Einbalsamieren und alle die Sachen selber? Ich könnt' einem Leichenbestatter nicht die Hand geben!«
»Warum denn nicht? Du wärst stolz darauf, einem großen Chirurgen die Hand zu geben, gleich nachdem er jemand den Bauch aufgeschnitten hat!«
Sie suchte ihre reife Besonnenheit vom Nachmittag wiederzugewinnen. »Ja. Du hast recht. Ich möchte, ach, Lieber, weißt du, wie ich mir wünsche, die Leute gern zu haben, die du gern hast? Ich möchte die Leute so sehen, wie sie sind.«
»Schön, dann denk' aber auch daran, in den Menschen dasselbe zu sehen wie andere Leute! Sie haben was los. Weißt du, daß Percy Bresnahan von hier ist? Hier geboren und aufgewachsen!«
»Bresnahan?«
»Ja – du weißt – der Generaldirektor von der Velvet Motor Company in Boston – die den Velvet-Zwölf-Zylinder macht – die größte Automobilfabrik in Neu-England!«
»Ich glaube, ich hab' von ihm gehört.«
»Aber sicher. Ja, der ist vielfacher Millionär! Also, Percy kommt fast jeden Sommer zum Fischen her, und er sagt, wenn ihn das Geschäft freigäbe, würd' er lieber hier leben als in Boston oder New York oder sonstwo. Er macht sich nichts draus, daß Chet Leichenbestatter ist.«
»Bitte! Ich will – ich will alle gern haben! Ich will zu der ganzen Gesellschaft nett sein!«
Er führte sie zu den Dawsons.
Luke Dawson, der Geld auf Hypotheken verlieh und neugerodetes Land im Norden besaß, war ein unsicherer Mann in einem ungebügelten taubengrauen Anzug, er hatte vorquellende Augen in einem milchweißen Gesicht. Die Wangen seiner Frau waren farblos, farblos waren ihr Haar, ihre Stimme und ihr Benehmen. Sie trug ihr teures grünes Kleid mit der bortenbesetzten Taille, mit Troddeln und mit klaffenden Stellen zwischen den Knöpfen am Rücken, als hätte sie es alt gekauft und fürchtete, die frühere Besitzerin zu treffen. Sie waren schüchtern. ›Professor‹ George Edwin Mott, der Schulinspektor, ein braungebrannter chinesischer Mandarin, hielt Carola bei der Hand und hieß sie willkommen.
Als die Dawsons und Herr Mott behauptet hatten, sie wären »entzückt, sie kennenzulernen«, schien alles gesagt zu sein, aber die Konversation lief automatisch weiter.
»Gefällt Ihnen Gopher Prairie?« winselte Frau Dawson.
»Oh, ich bin überzeugt, ich werde sehr glücklich hier sein.«
»Es sind so viel nette Leute hier.« Frau Dawson suchte mit einem Blick bei Herrn Mott gesellschaftliche und intellektuelle Hilfe. Er ließ sich vernehmen:
»Das ist hier eine feine Menschenklasse. Wissen Sie schon, daß Percy Bresnahan aus unserer Stadt stammt? Er ist hier in die Schule gegangen, als noch das alte Gebäude stand!«
»Ich habe davon gehört.«
»Ja. Er ist ein großartiger Mann. Wir, er und ich, haben zusammen gefischt, als er das letztemal hier war.«
Die Dawsons und Herr Mott schwankten auf müden Beinen und lächelten Carola mit erstarrten Mienen zu. Sie setzte das Gespräch fort:
»Sagen Sie, Herr Mott, haben Sie schon einmal Versuche mit einem von den neuen Erziehungssystemen gemacht? Mit den modernen Kindergartenmethoden oder dem Gary-System?«
»Oh, die. Die meisten Leute, die sich als Reformer aufspielen, sind ganz einfach Menschen, die bekannt werden wollen. Ich halte was vom Handfertigkeitsunterricht, aber Latein und Mathematik werden immer das Rückgrat eines gesunden Amerikanismus sein, was auch diese Theoretiker sonst empfehlen wollen – weiß der Himmel, was die alles wünschen, stricken, glaub' ich, und Unterricht im Ohrenwackeln!«
Die Dawsons lächelten voll Anerkennung dafür, daß sie einem Weisen lauschen durften. Carola wartete darauf, daß Kennicott sie befreite. Der Rest der Gesellschaft wartete auf das Wunder, sich zu unterhalten.