Ich glaubte immer an die Kraft in mir. Bianca Sissing

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Ich glaubte immer an die Kraft in mir - Bianca Sissing

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nichts passierte. Mom erklärte mir, dass diese Menschen auf unterschiedliche Weise krank waren und Hilfe brauchten, und dass wir sie weder verurteilen noch Angst vor ihnen haben sollten. Es sind Menschen wie alle anderen. Sie werden aufgrund einer Krankheit dort behandelt und sollten als Menschen respektiert werden.

      Diese Worte habe ich nie wieder vergessen. Sie haben mich Mitgefühl, Verständnis und Akzeptanz für alle Menschen gelehrt. So einfache Worte, mit einer so kraftvollen Bedeutung. Ich versuche, jeden Tag nach diesen Worten zu leben. Ich werde immer daran und an die psychiatrische Abteilung erinnert, wenn ich Leute auf der Straße (oder irgendwo anders) sehe, die mit sich selbst reden, in einem desorientierten Zustand sind oder offensichtlich auf irgendeine Weise auffallen, die anders sind als der Mainstream. Ich erinnere mich dann daran, dass ich ihre Geschichte nicht kenne. Ich weiß nicht, wo sie waren oder was sie alles durchgemacht haben. Und selbst wenn ich es wüsste, ist das immer noch kein Grund, Menschen zu verurteilen.

      Es gibt keinen Grund, Menschen zu verurteilen. Wir sollten andere überhaupt niemals verurteilen. Ich weiß, manchmal ist es nicht einfach, sich daran zu halten. Und manchmal ertappe ich mich dabei, irgendwelche oberflächlichen Gedanken über jemanden zu haben. Doch dann versuche ich, das Ego immer wieder schnell zu verscheuchen und sage mir: »Ich kenne ihre Geschichte nicht.« Wenn du dich das nächste Mal dabei ertappst, dass du irgendwelche urteilenden Gedanken über jemanden hast, dann wiederhole drei bis fünf Mal für dich selbst: »Ich kenne ihre Geschichte nicht.« Das kann dir helfen, dir deiner Gedankenmuster bewusster zu werden und sie zu verändern.

      Die meisten depressiven Menschen schenken der Nahrung, ihrer persönlichen Hygiene und Pflege oder dem Loslassen von Emotionen nicht viel Aufmerksamkeit. Mom war eine gute Patientin. Sie hörte auf ihre Ärzte, nahm die Medizin, ging zur Therapie und folgte einem gesunden Essensplan, der drei vollständige Mahlzeiten pro Tag garantierte. Das war ein wichtiger Teil ihres Lern- und Heilungsvorgangs im Krankenhaus. Da meine Mutter auf dem richtigen Weg war, gesund zu werden, stimmten die Ärzte zu und erlaubten ihr, nach Südafrika zu reisen, um ihren biologischen Vater zu besuchen. Sie glaubten, dass so eine Reise hilfreich und therapeutisch richtig wäre. Ich war noch nie in Südafrika gewesen und hatte bisher auch niemanden von der Familie meiner Mutter getroffen. Also reisten meine Mutter und ich während meiner Sommerferien nach Südafrika und blieben dort noch ein bisschen länger.

      Das war 1988, das Land steckte noch mitten in der Apartheid. Meine Mutter wurde als »farbig« betrachtet (weder schwarz noch weiß), und so lebten wir mit Freunden und bewegten uns auf unseren täglichen Ausflügen innerhalb des »farbigen« Bezirks von Cape Town. Wir konnten durch das Gebiet der »Weißen« fahren und durch das der »Schwarzen«. Aber aus dem Auto auszusteigen, war nicht möglich. Das war gegen die Regeln.

      Ich erinnere mich noch, dass, als wir die Freundinnen meiner Mutter trafen, ich mit deren Kindern spielte und köstliches, südafrikanisches Essen aß. Wir machten Ausflüge zum Tafelberg, wo ich zum ersten Mal in meinem Leben wilde Affen gesehen habe. Während wir den Berg hinauffuhren, sprangen die Affen auf das Auto und fuhren ein Stück mit. Wir unternahmen Tagesausflüge zum Strand, wo ich wilde Seelöwen gesehen habe und eine riesige, gestrandete Qualle entdeckte. Wir aßen die besten »Fish and Chips«, an die ich mich erinnern kann, und köstliche Pizzen mit Meeresfrüchten. Zum größten Teil genoss ich die Reise. Es mag jedoch sein, dass es auch andere, weniger schöne Dinge gab, die mein Gedächtnis selektiv »vergessen« hat.

      Meinen biologischen Großvater zu treffen, war kein besonders aufregendes Erlebnis. Soweit ich mich erinnern kann, war er eher reserviert und irgendwie kühl. Für mich war es ein belangloses Erlebnis, diesen Mann zu treffen, den ich nicht kannte, den ich in naher Zukunft wahrscheinlich auch nicht wiedersehen würde, sodass ich keine erinnerungswürdigen Gedanken daran habe. Ich wusste von meiner Mutter, dass er ein talentierter Athlet, ein Boxer war und Preise gewonnen hatte. Vielleicht kommt es daher, dass ich Kickbox-Fitness mag. Das war’s, und ich genoss es, mit den anderen Verwandten und Freunden meiner Mutter zusammen zu sein.

      Ein Erlebnis in Südafrika hat sich mir besonders tief eingeprägt. Es geschah eines Abends an einer Tankstelle. Ein Freund von Mom saß am Steuer, sie auf dem Beifahrersitz und ich hinten. Es war etwa sieben oder acht Uhr. Draußen war es dunkel und wir hielten an einer Tankstelle, um zu tanken. Der Tankwart, ein dunkelhäutiger Mann, kam und bediente uns. Wie es viele Kinder machen, schaute ich aus dem Fenster und beobachtete den Mann bei seiner Arbeit. Langsam bemerkte ich, dass er mich auch betrachtete. Ich achtete nicht weiter darauf und vertraute darauf, dass ich im Auto sicher war.

      Nachdem er vom Fahrer bezahlt worden war, sagte er in dem Dialekt eines afrikanischen Stammes etwas zu Moms Freund. Der wiederum antwortete, dass er ihn nicht verstehen würde und dass er bitte Englisch sprechen möge. Da nickte der Tankwart, zeigte auf mich und fragte den Fahrer sehr höflich und in einem ganz normalen Ton: »Was kostet das kleine Mädchen?« Moms Freund antwortete: »Sie gehört nicht mir. Sie müssen ihre Mutter fragen«, und zeigte auf meine Mom. Der Tankwart ging um das Auto herum auf die andere Seite und fragte wieder sehr höflich: »Was kostet das Mädchen?«

      »Sie ist nicht zu verkaufen«, antwortete meine Mom respektvoll. »Aber ich werde sehr gut auf sie aufpassen. Sie ist sehr schön. Sie wird die Prinzessin meines Stammes sein, und wir werden sie aufziehen, damit sie die Frau des nächsten Stammeskönigs wird«, entgegnete der Tankwart. »Danke, aber sie ist nicht zu verkaufen«, wiederholte meine Mutter.

      »Ich werde Ihnen sehr viel bezahlen, 60 Kühe, sehr gut, und einen neuen Cadillac, ein Cabriolet, sehr schön!«, war das nächste Angebot des Tankwarts.

      »Ich danke Ihnen noch einmal für Ihr Kompliment, das ist sehr freundlich, aber ich liebe meine Tochter sehr, und sie ist nicht zu verkaufen. Sie wird bei mir bleiben«, war die freundliche, nun aber sehr bestimmte Antwort meiner Mom. Sie wollte ihn nicht kränken, aber sie musste standhaft sein. Der Tankwart machte dann meiner Mutter noch einige Komplimente, weil sie solch eine schöne Tochter hatte, und wünschte uns alles Gute. Mom und ihr Freund erwiderten die guten Wünsche und wir setzten unsere Fahrt fort. Zu jener Zeit wurden immer noch Kinder verkauft oder es wurde mit ihnen gehandelt, unter den Stämmen war es eine alltägliche Sache.

      Dieser Moment ist immer noch so lebendig in mir. Ich kann ihn mir im Geist vorstellen: Die dunkle Landstraße, die weit abseits gelegene Tankstelle und der Tankwart an der Zapfsäule, der mich durch das Fenster ansah. Der ganze Zwischenfall hat mich damals nicht weiter bekümmert. Ich fand ihn tatsächlich eher interessant und verstand ihn als die Erfahrung einer anderen Kultur.

      Nach drei Monaten kehrten wir nach Kanada zurück, und nach drei Tagen war Mom wieder im Krankenhaus. Die Reise hatte nicht den gewünschten Erfolg von Abschluss und Akzeptanz gebracht. Stattdessen hatte sie leidvolle Erfahrungen und Erinnerungen mitgebracht, die zur Folge hatten, dass Mom wieder in ihre lähmende Depression zurückfiel. Hinzu kam, dass Dad ankündigte, dass er seine neue Freundin heiraten würde, das spielte auch eine große Rolle bei Moms Rückfall.

      Ich wohnte währenddessen weiterhin bei Dad, um mit ihm, seiner nun zukünftigen Frau und ihren Töchtern zusammenzuleben. Die Töchter Ann (zwei Jahre älter als ich) und Lynne (sechs Jahre älter) schienen ganz nett zu sein. Wir kamen im Allgemeinen ganz gut miteinander aus und hatten sogar manchmal Spaß zusammen. Ich teilte mir ein Zimmer mit Ann, was eigentlich gut lief.

      Die Schwestern waren ganz anders als ich. Sie waren laut, redeten viel und sagten, was sie dachten. Dabei gebrauchten sie eine Sprachmelodie, mit der sie sich interessant machten. Sie verfluchten und verwünschten ihre Mutter, und manchmal sogar meinen Dad. Ich dachte zuweilen im Stillen, dass sie keinen Respekt vor ihrer Mutter und vor meinem Dad hatten. Wie konnten sie ihnen ihre Beschimpfungen einfach so ins Gesicht schleudern? Jedes Mal, wenn das passierte, zuckte ich zusammen, und es tat mir weh, zu erleben, wie mein Dad behandelt wurde. Ich war ein sehr schüchternes und reserviertes Kind, und überlegte mir zweimal, oder besser drei- oder viermal, bevor ich etwas sagte. Das war eine ziemliche, atmosphärische Veränderung für mich, einschließlich

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