Götterfunken. Chris von Rohr

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Götterfunken - Chris von Rohr

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da, nebst der Freude meiner Tochter, noch etwas nach, an das ich immer wieder gerne zurückdenke – wundervolle Geschichten, als seien sie erst gestern geschehen.

      Es war in unserem Elternhaus in Solothurn am Heiligen Abend im schön geschmückten Wohnzimmer. Kurz vor dem Essen sangen wir Weihnachtslieder, die Grossmutter wie immer köstlich falsch in den hohen Lagen. Zwischendurch ging meine Mutter in die Küche, um anzurichten. Mein Hund Buzzli beobachtete, wenn’s ums Essen ging, die Szene ganz genau. Das wohlriechende Rollschinkli lag nur 20 Sekunden unbeaufsichtigt am Tischrand und schon war es im Mund des Labradors. Oma Idaso-was-war-noch-nie-da rief entsetzt: »Gib aus Buzz, gib aus!«, was er auch sofort in geduckter Haltung tat. Wir Kinder hielten uns die Bäuche vor Lachen. So war er eben der Buzz und man konnte es ihm nicht verübeln, schliesslich wollte er auch etwas Spass haben an diesem Festtag.

      Nach dem Nachtessen sassen wir alle um den Baum und bestaunten seine Schönheit, mit all den Kerzen, dem Glitter und Glimmer und den alten farbigen Kugeln, in denen sich das ganze Zimmer spiegelte.

      Dann las unser charismatischer Grossvater Hermann aus der Bibel über die Geschichte von Jesu Geburt, den Hirten und der Herde. Das war der Kern dieses Festes, die bewegte Stimme des Grossvaters und der Blick zur Krippe mit all den schönen Figuren. Die drei Heiligen Könige, Maria, Joseph und ein kleines weisses Schaf, das friedlich auf dem Schilfdach lag. Ein ganz schwaches rotes Licht brannte im Inneren der Hütte. Ein unschlagbarer Anblick, gerade in dieser Einfachheit.

      Daneben dann, unter dem Baum verstreut, die Geschenke, die so treffend den Gegensatz zwischen Erd- und Gottesreich, zwischen natürlicher und andächtiger Freude aufzeigten. Die Freude über Jesus Geburt im Stall von Bethlehem, dieses Kerzenlicht, der Duft von Zimtsternen und Lebkuchen, und dann diese drängende Unruhe im Herzen, ob nun das so lang Ersehnte auch unter den Geschenken sei. Eine wirklich skurrile Mischung.

      Unvergessen bleibt mir das Gesicht meines vier Jahre jüngeren Bruders beim Anblick seines Geschenks. Es war ein Forscherkasten mit diversen Experimentierfläschchen. Etwas, das er sich immer schon gewünscht hatte. Im Glanze des feinen Kerzenlichtes erschien sein Antlitz wunderschön. Ein selig strahlendes, vor Glück und Freude ganz und gar verzaubertes, blond gelocktes Kindergesicht, so rein und leuchtend, wie ich es nie zuvor gesehen habe.

      Während ich, ausser dem weissen Beatles Album, keines meiner Geschenke von damals noch in Erinnerung habe, blieb das Bild dieses Brudergesichtes für immer in mir haften. Später fand ich heraus warum. Es war nicht nur Schönheit, der diesem magischen Moment innewohnte, nein, es war auch ein entferntes, damals noch nicht bewusstes Erkennen, dass meine Kindheit vorbei war. Mein Bruder erlebte seine Geschenke wie ein Paradies. Mir blieb dieses unbeschwerte Glück bereits versagt. Ich konnte es zwar noch von aussen betrachten, aber die Unschuld, das Wertvollste war verloren. Ich war zwar jetzt gescheiter und älter, aber auch kälter und verächtlicher.

      Hermann Hesse schrieb: »Es gibt kein Wachstum das nicht ein Sterben enthält. Es fällt in jedem Augenblick ein Blatt vom Baum, es welkt eine Schuppe von mir ab. Dies geschieht in jeder Stunde unseres Lebens, es ist des Werdens und Welkens kein Ende. Nur selten sind wir wach und achten darauf, was in uns vorgeht. Aber muß das so sein? Warum eigentlich scheint es uns selbstverständlich, daß das Leben eine böse Macht ist, die aus dem Kinderland hinein in Schuld, Enttäuschung und ungeliebte Arbeit führt? Warum soll Freude und Unschuld diesem Leben notwendig zum Opfer fallen?«

      Ich weiss es nicht, doch seit ich mir diese Frage stelle, sind für mich Weihnachten und auch viele andere Tage des Jahres wieder wertvoller, bedeutender und inhaltsvoller geworden. Nicht Geld, Macht oder Besitztum machen uns reicher, sondern Hingabe, Teilnahme und Liebe. Das ist ein altes Lied, ich weiss, aber Wahrheit veraltet nicht.

      Schnee! Ich breitete meine Arme aus, als er vom Himmel fiel. Auch heute vermag mich diese Kristallwatte wie in Kindertagen zu faszinieren. Die weisse Pracht beruhigt meine Psyche, dämpft die hässlichen Geräusche und bringt dieses unvergleichliche Licht hervor.

      Ich malte mir schon aus, wie ich mit meiner Tochter als Zugabe ins Zermatter Winterparadies fahre. Sie hielt dem jedoch entgegen, dass sie nun wirklich genug gefroren hätte und warf mir diesen abgewandelten Rap-Satz an den Kopf: »Du bist verliebt in der falsches Wetter … wie soll ich das begegnen?« Auf Seniorendeutsch: Bleib geschmeidig, wir gehen besser nach Ägypten in die Wärme. Ich bockte etwas, willigte aber schliesslich ein – unter der Bedingung, meinem langjährigen, geistreichen Life Coach Dr. Ali Mabulu, der den Winter stets in al Qusair verbrachte, einen Überraschungsbesuch abzustatten.

      So rief ich Duppi von Duppenstein, den Minister für den Dienst am Service, Abteilung Spass am Leben, an. Wie es denn zurzeit mit etwelchen Terroraktivitäten am roten Meer so aussähe? Er meinte trocken: Der einzige Terror auf eurem Trip findet am Euroflughafen in Basel statt, beim Sicherheitscheck. Und er behielt recht. Übel gelaunte, französisch sprechende Frustianer machten einen auf CIA. Als ich sagte, dass ich mein Kopftuch aus nicht religiösen Gründen trug, durchleuchteten sie mir danach fast noch den Allerwertesten. Langhaarrocker zu schikanieren, gefiel ihnen.

      Nach vier Flugstunden landeten wir sanft in Hurghada und unser Driver erwartete uns. Ashraff stand lächelnd neben seinem verbeulten, vom Wüstensand gepeitschten Kia. Er fragte, wohin er uns fahren dürfe. Und so gondelten wir Richtung Süden. Es fühlte sich an wie auf der Ai 1975 – das heisst, alle zwei Minuten ein Auto. Dichtestress? Dieses Wort können sie hier nicht mal buchstabieren. Ich fragte Ashraff, ob das normal sei. Er nickte und meinte: »Wir haben viel Platz und fast keine Frauen am Steuer.« Wir könnten jetzt bis Port Sudan – so ca. 700 km – weiterfahren, er habe genug Wasser und Sprit im Kofferraum. Ich schüttelte den Kopf und antwortete, dass wir nach al Qusair müssten, unsere Frauen übrigens bestens Auto fahren und wir sie vor der Hochzeit sogar anschauen dürfen. Er blinzelte kurz: »Du meinst die Bikinifrauen?« – »Genau die, Ashraff.« Meine Tochter auf dem Rücksitz begann sich zu amüsieren. Das fand sie weitaus spannender, als sich im kalten Schnee die Zehen abzufrieren. Direkt von minus drei auf plus 25 Grad, das brachte Stimmung. Vor uns lag eine unendlich weite Wüste, gespickt mit ein paar lustigen Palmen. Wir schauten mit grossen Augen durch die Fensterscheiben und genossen die Magie dieser frischen Eindrücke.

      Es war nachmittags gegen fünf. Unser Fahrer stoppte in einer kleinen Hafenstadt mit dem Namen Safaga. Wir vertraten uns etwas die Beine und betrachteten das muntere Treiben. Doch plötzlich war es aus mit der Ruhe! Haben Sie vor ein paar Wochen die Sirenen-Alarmübungen in der Schweiz mitbekommen? Hier in unmittelbarer Nähe des alten Hafens schmetterten gleich drei Muezzins los, und zwar volles Rohr. Meine Tochter zuckte zusammen und fragte, halb Spass, halb Ernst: »Papa, kommt jetzt der Krieg?« Ich lachte und erklärte, dass dies im Grunde das Gegenteil sei, nämlich ein Aufruf zum Gebet. Sie sah mich ungläubig an. »Was schreien sie denn so laut von den Türmen herunter?« – »Sie rufen immer wieder ›Gott ist gross‹ auf Arabisch und das fünfmal innert 24 Stunden.« – »Auch in der Nacht?« »Nein, aber vor Sonnenaufgang am Morgen.« Mein Tochterkind hob die Augenbrauen und ich schmunzelte. Ja, wie würde ich reagieren, wenn mir in aller Herrgottsfrühe aus einem übersteuerten Megafon die Grösse von Gott eingehämmert würde? Könnte dies mein Herz erwärmen? Vermutlich etwa gleich wenig wie das übertriebene Sturmgeläute der Solothurner Kirchenglocken, die in Gottes Namen alles überdröhnen. Da lobe ich mir den Ruf des Kuckucks oder des Muschelhorns.

      Eine Stunde später waren wir in al Qusair. Das Hotel, von einer Schweizerin geführt, präsentierte sich wie ein Märchen aus 1001 Nacht. Die Begrüssung war ein Ereignis, Palmen- und Bugaliengärten ein Zauber und das Nachtessen ein Gedicht. Selig sanken wir in unsere Betten und die Wellen des nahen Meeres wogen uns in einen wohlverdienten Schlaf.

      Tags darauf machten wir uns auf den Weg zu Ali Mabulu. Wir trafen auf ein lustiges Bogendachhaus im nubischen Stil ausserhalb der Stadt. »Ihr sucht Ali?«, fragte die kleine Haushälterin Mucka. »Der ist nicht hier, er reiste vorgestern zum Skifahren in die Schweiz.«

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