Götterfunken. Chris von Rohr

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Götterfunken - Chris von Rohr

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den Iden des März«, sondern: »Du findest selten, was du suchst, sondern bekommst immer das, was du gerade brauchst.«

      Sand! Ich liess ihn durch die Finger rieseln, als wir zurückschlenderten und musste zugeben: Der warme Steinpuder fasziniert mich nicht minder als der kalte Puderzucker.

      Wir fühlten uns dem Himmel nah. Und offensichtlich waren wir auch der Sonne näher gekommen, als wir auf einem Felsblock neben Schneefeldern Siesta hielten. Bereits beim Abstieg erhärtete sich der Verdacht, dass wir unsere Gesichter sogleich als Nachtlichter einsetzen können.

      Wenn ich zuweilen die verdichteten Wohngebiete verlasse, sehe ich die verschiedenen Backgrounds der Mitmenschen. Von wegen kleine Schweiz! Wer ein paar Tage in Berghütten verkehrt – wo bisher weder Latte Macchiato noch Cola Zero hinaufgeklettert sind – und anschliessend nach Zürich fährt, muss mit einem Kulturschock rechnen! Ich bezweifle, dass das auch den Bildungspädagogen stets bewusst ist, wenn sie in den Verwaltungsgebäuden und Fachhochschulen zwischen Nespressomaschinen und Klassenzimmer umherschreiten und ihre Lernmethoden postulieren. Ein neues Schuljahr beginnt. Wer sind die Kinder, die da hingehen sollen?

      Der Emmentaler Sämi bessert sein Taschengeld auf, indem er im Acker Mausefallen verlocht, der Zoran jagt derweil im betonierten Agglokasten vor einem Bildschirm Soldaten durch einen Rohbau und irgendwo in einer Acht-Zimmer-Terrassenvilla packt Emma unter der Aufsicht ihrer Nanny Tennisschläger und Turnschuhe in eine Sporttasche. Die drei führen ein völlig unterschiedliches Leben – vom Zmorge bis zum Znacht. Und es würde uns nicht wundern, wenn der Sämi einen bäuerlichen Beruf ergreift, Zoran Elektronikverkäufer wird und Emma Jura studiert. Aber wäre es auch andersrum denkbar? Die Bildungsexperten sprechen von Chancengleichheit – ich stelle vor allem einen grossen Eifer im Gleichschalten fest. Bringt’s das überhaupt?

      Ich glaube, dass wir die besten Chancen vertun, wenn wir Sämi, Zoran und Emma und ihre Land- und Stadtschullehrer harmonisieren, pasteurisieren, sterilisieren und alle an den gleichen Ort müpfen. Denn diese Kinder und ihre Rudelführer haben völlig unterschiedliches Potenzial und ebensolchen Förderbedarf. Wenn wir sie schon in der Primarschule zu Englisch und Französisch zwingen, statt eine Fremdsprache richtig zu vertiefen, sind die Schwachen überfordert und bremsen die Starken aus. Individuelle Wahlfreiheit wäre angebrachter – neben den Kernfächern könnte sich jeder Schüler auf Gebiete konzentrieren, die ihm liegen. Für Zoran ist es überlebenswichtig, in Deutsch sattelfest zu werden, damit er eine Lehrstelle bekommt und seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Fertig. Emma will am liebsten an ihrer Sportlerkarriere schrauben und den Sämi nimmt am meisten wunder, was die Argrarwissenschaft Neues an den Tag bringt. Heute, wo die Menschen zunehmend Mühe haben, Hasen und Chüngel, Zwetschge und Pflaume oder Rasen und Wiese zu unterscheiden, sind wir froh um solche Sämis, die das Wissen über die natürlichen Zusammenhänge quasi mit der Muttermilch aufsaugen.

      Früher erlebte ich pädagogischen Wildwuchs. Oft richtete sich der Unterrichtsstoff nach den Steckenpferden der Lehrpersonen. Bei der einen wurden Schlangen im Klassenzimmer gehalten, bei der anderen zur Sternwarte gepilgert und bei der dritten kriegte man eine Ausbildung in Chorgesang und Walzertanzen verpasst. Für die Schülerschaft war es ein Glücksfall, wenn Chemie und Interesse mit den Affinitäten der Lehrkraft übereinstimmten. Manche hatten aber das Gefühl, die berühmte Popokarte gezogen zu haben. Diese Problematik ist heute entschärft, aber nicht beseitigt. Trotz Gleichmacherwahn sind manche mit der Themenwahl glücklich und andere müssen darben. Dafür gleichen Herstellung, Art der Korrektur und Bewertung von Tests bald einer Doktorarbeit. Es muss gerecht sein. Kernkompetenzen und erweiterte Kompetenzen werden definiert und prozentual geprüft. Dies wird gemanagt von Menschen, die vielleicht die Kommaregeln herunterbeten können, aber überfragt sind, wenn ein Kind wissen will, weshalb die Milch weiss ist. Was ist Elementarwissen und wer bestimmt das? Bildungsdirektoren vertrauen in dieser Hinsicht ihrem Hofstaat – den Bildungsexperten, welche nicht selten »abverheite« Lehrer sind. So erklärt sich die Herummurkserei im Bildungswesen.

      Möglicherweise läuft es im Schulwesen ähnlich wie mit dem Gemüse beim Grossverteiler. Dort schlägt das Pendel jetzt zurück. Man will den Kunden wieder ein dreibeiniges Rüebli kaufen lassen, wenn er Freude daran hat. Unter dem Label Ünique – Einzigartigkeit – soll die Ware so feilgeboten werden, wie sie gewachsen ist. Da fällt mir ein: Mittlerweile gibts Wassermelonenbauern, die zimmern Schablonen, damit das Fruchtgemüse artig hineinwachsen und dann als Würfel geerntet und gestapelt werden kann. Ob sie das den hiesigen Schulen abgeschaut haben?

      Unsere Gesichter sind derzeit auch ünique. Der Teint hat etwas von Tomaten, die weit gen Himmel gewachsen sind … Henu, wer den Himmel berühren kann, sollte auch nicht an seiner Gesichtsfarbe herumstudieren.

      Am liebsten sitze ich draussen auf meiner Holzbank. Sie steht am Ende meines Gartens, der direkt in ein grosses Feld zwischen drei Klöstern mündet. Wie schön ist es an sonnigen Tagen, diese Wiese zu betrachten! Butterblümchen, Margeriten, Johanniskraut, auch Herrgottsblut genannt, und zig Wildblumen kämpfen sich durch das im Wind wogende Gras. So etwas gibt’s in keinem Blumenladen: frei, frech und wild, launig von der Natur angerichtet.

      Der grosse Dominator ist aber der sonnengelbe Teppich der zu Unrecht verschmähten Saublume. Die Kühe mögen sie nicht wegen ihres bitteren Saftes, aber die Blätter sind eine schmackhafte Salatbeigabe und die Bienen lieben ihre Blüte. Es gibt Honig und Sirup davon. Die Pusteblume bereitet den Kindern viel Spass und mich animiert sie zur Morgengymnastik. Ich reisse zurzeit täglich um die fünfzig dieser Pfanzen aus meinem Garten, damit sie nicht überhandnehmen. Ich mag die eigenwillige Saublume, diesen Löwenzahn. Die geliebte Mutter meiner Tochter nenne ich heute noch so. Nicht, weil sie sich inflationär vermehrt – das tut sie nicht, sondern, weil dieser Name einfach zu ihr passt. Löwenzahn … Das ist doch Musik, Poesie! Ein grossartiges deutsches Wort, perfekt!

      Meinen Gartenstil würde ich als kontrolliert verwildert bezeichnen – inklusive »meh Dräck«. Leben und leben lassen, bloss kein Stress wegen ein paar Schnecken, Unkraut, Wildkatzen, Riesenraben, Frechspatzen, Igeli, Hunden oder sonstigen Kreuch- und Fleuchtieren, die via Feld zu mir kommen. Die haben alle ihren Platz und tragen ihren Teil zum Ereignis Garten bei. Momentan explodieren gerade die Apfelblüten und die sagenhafte Glyzinie alias Blauregen. Ich habe zwei davon: eine als Baum und eine als Kletterpflanze an der Hausfassade. Ihr pompöser Maiauftritt, ihre Farbe und ihr Klettertalent suchen ihresgleichen. Oft zur selben Zeit jubiliert auch der Flieder, dessen Duft fast unschlagbar ist. Daneben logiert seit Jahren ein Rhododendron in einem Tonkübel. Ich staune, wie er und die Stachelbeersträucher den Winter so schadlos überleben, ohne Heizung und Pulswärmer.

      Der Garten ist für mich die Verwirklichung des eigenen Paradieses. Ich vermute aber, dass viele Menschen nicht den Mut oder das Interesse haben, in Sachen Gartengestaltung ihrer eigenen Stimme zu horchen. Sie tun schlicht dasselbe wie die Nachbarn: Abhauen, roden, flachmachen und darüber schimpfen, weil sich das Grünzeug nicht an die Topfgrösse oder die Grundstücksgrenze hält.

      Der Mensch sehnt sich nach Natur. Aber nachdem die Unterkunft mit Garten bezogen ist, fallen oft die Stauden, Büsche und Bäume der Verstädterung zum Opfer. Die üppigeren unter den botanischen Erdenbewohnern entschliessen sich halt alljährlich im Herbst, einfach ihr Kleid auszuziehen und es gleich an Ort und Stelle auf den Boden zu werfen. Wenn sie wenigstens selber damit zum Grüncontainer watscheln würden, dann könnte man ja vielleicht Gnade walten lassen. So aber folgt der Kahlschlag und danach schmachtet man unter dem künstlichen Sonnenschutz statt unter luftig fächernden Ästen. Die würden eh nur Ungeziefer anlocken oder gar Vögel, die ihr Geschäft wiederum einfach auf den Gartentisch fallen lassen. Mit einem kleinen Rasen hat man seinen Frieden. Er lässt sich neuerdings bequem von einem Robotermäher streichholzkurz halten und verbleibt so lebloser als die Sahara. Kein Laub, keine Kröten, die sich in die Waschküche verirren und keine Amseln, die einem morgens mit ihrem Gezeter in den Traum reinschnorren.

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