Hildegard von Bingen – Einfach Leben. Brigitte Schmidle

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Hildegard von Bingen – Einfach Leben - Brigitte Schmidle

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von traditionellen Institutionen sind nur noch teilweise befriedigend und glaubwürdig. Aber auch neue »Heilslehren« oder Sekten weisen keine neuen, gangbaren Wege.

      Bei der Frage nach dem geistigen Hintergrund unseres Seins geht es auch um eine Rückbesinnung und das Beleben der Werte unserer Kultur und Religion.

      Auch hier bietet die Hildegard-Lehre wunderbare Möglichkeiten der Sinnfindung.

      Begriffe wie Disziplin, Barmherzigkeit, Demut oder Reue klingen für uns heutzutage verstaubt, befremdlich oder gar abschreckend.

      Aber gerade in diesen Eigenschaften liegt oft die Lösung für einen ganzheitlichen Heilungsprozess.

      Wenn uns z. B. unser aufbrausendes und ungeduldiges Verhalten Rheuma einbringt und Freunde vertreibt, können wir dies inständig bereuen. Wir können Gott und unsere Freunde mit Demut bitten, es mit uns doch nochmals zu versuchen, und mit Disziplin an unserem Verhalten arbeiten.

      Die Reue hat therapeutische Wirkung. Wenn wir ab und zu »unsere Seele putzen«, reinigen wir uns von innen her.

       Viriditas, Discretio, Ratio, Subtilität

      Diese Begriffe sind mit Hildegard untrennbar verbunden. Wenn man sie beherzigt, bilden sie bereits die Grundlage einer Lebensführung nach Hildegard und bereichern unser Leben.

       Viriditas

      Die Viriditas wird allgemein mit »Grünkraft« übersetzt, ist aber vielmehr eine Grundkraft, die der gesamten Schöpfung (Menschen, Tieren, Pflanzen und Mineralien) innewohnt.

      Sie steckt in uns allen und ist die Grundkraft der Heilung. Mit einem modernen Ausdruck könnte man sie auch als »Spannkraft« bezeichnen.

      Grünkraft kann man auftanken und von außen beziehen, indem man mit den vier Elementen Feuer, Wasser, Luft und Erde Kontakt pflegt.

      Die Spannkraft zwischen Leib und Seele ist täglich zu pflegen.

      So geschieht z. B. durch einen einfachen Spaziergang in der Natur sehr viel für unser Wohlbefinden:

      –Wir erden uns und stimulieren über die Reflexzonen der Füße unsere inneren Organe.

      –Wir atmen die sauerstoffreiche Luft der Bäume.

      –Wir »befeuchten« unsere Augen mit dem Grün der Natur. (Die moderne Farbpsychologie hat Grün als entspannende und beruhigende Farbe nachgewiesen.)

      –Wir »hören die Stille«, ein Rascheln oder Zwitschern.

      –Wir riechen je nach Jahreszeit unterschiedliche Düfte.

      Wir empfehlen die Farbe Grün sehr bewusst und immer wieder einzusetzen:

      – Tragen Sie grüne Kleidung.

      – Verwenden Sie grünen Tischschmuck.

      – Spazieren Sie im »Grünen«.

      – Betrachten Sie Ihre Blumen und Pflanzen aufmerksam.

      – Entdecken Sie Ihre ganz persönliche Viriditas.

      Mit einem einfachen Spaziergang beschäftigen wir alle unsere Sinne und bringen sie so in ein Gleichgewicht. Wir können uns aber auch ein Beispiel nehmen an Kindern, die noch einen unverdorbenen Umgang mit den Elementen haben und ihre Viriditas täglich unter Beweis stellen.

      Die Viriditas kann durch eine einseitige Lebensführung gestört werden, indem wir uns entweder nur materiell ausrichten oder nur geistig beschäftigen und dabei leibliche Bedürfnisse abwerten.

      Aber auch wenn wir Körperkult um der reinen Optik willen betreiben, stören wir die Viriditas, weil sie sich nur voll entfalten kann, wenn Körper, Seele und Geist gleichermaßen gestärkt werden.

      Nehmen wir uns ein Beispiel an den Kindern:

      – Die Faszination einer Kerze oder eines Lagerfeuers wirkt ansteckend.

      – Das Planschen im Wasser oder das fahren lassen eines Schiffchens zieht jeden in seinen Bann.

      – Drachen steigen lassen oder draußen sein an der frischen Luft sind elementare Bedürfnisse.

      Das Ideal sieht ein gesundes Maß vor:

      Ein beschäftigter und reger Geist wohnt in einem gestärkten, gepflegten Körper und ist durch ein gesundes Maß an materiellen Dingen abgesichert.

       Discretio

      Die Discretio ist die Lieblingstugend Hildegards. Sie ist die Gabe der Unterscheidung, die Gabe, das rechte Maß zu finden.

      Das rechte Maß ist immer das eigene Maß. Denn nur ich selbst kann spüren und wissen, was mir gut tut oder was für mich geeignet ist – vorausgesetzt ich bin noch fähig zu spüren. Wenn ich mich körperlich, geistig und seelisch wohl fühle, habe ich mein rechtes Maß gefunden.

      Die Discretio ist stets dort anzuwenden, wo ich Neues kennen lernen und Altes verändern möchte:

      Mit »meinem« rechten Maß, zu »meinem« richtigen Zeitpunkt werde ich das Richtige für mich finden.

       Ratio

      Die Ratio wird meist mit »Vernunft« übersetzt, ist aber in der Bedeutung von Einsicht, Denk- und Urteilsvermögen treffender gewählt.

      Die Ratio ist eine weitere Lieblingstugend von Hildegard, denn sie ist die Fähigkeit wahrzunehmen, aufzunehmen und zu unterscheiden.

      Gerade weil wir mit so viel Information konfrontiert werden, müssen wir kritisch abschätzen, ob wir glauben können, was wir hören.

      Wenn wir sorglos glauben, überlassen wir anderen die Verantwortung und werden so leichter manipulierbar. Außerdem sollten wir auch hinterfragen, ob das, was wir wahrnehmen, unseren eigenen Erfahrungen entspricht oder ob es sich um übernommene Vorurteile handelt.

      Vorsicht vor Klatsch: Kein Wort verhallt ohne Wirkung.

       Subtilität

      Die Subtilität ist ein wichtiger Begriff, der nur in der Ernährungslehre nach Hildegard vorkommt. Sie ist die Heilwirkung, die jedem Teil der Schöpfung innewohnt. Die Wechselwirkung zwischen Heilmittel und Lebensmittel wird in der Hildegard-Küche offensichtlich.

      Hildegard unterteilt Lebensmittel (Kräuter, Pflanzen, Tiere) in die Kriterien warm, kühl, trocken, feucht und neutral und zeigt damit eine interessante Parallele zur chinesischen Ernährungslehre. Orangen wirken zum Beispiel kühlend und sollten idealerweise im Sommer genossen werden.

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