Handbuch zu Marcel Prousts »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit«. Bernd-Jürgen Fischer

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Handbuch zu Marcel Prousts »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit« - Bernd-Jürgen Fischer Reclam Taschenbuch

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von dem spanischen Schriftsteller und multilingualen Übersetzer (Lampedusa, Pasternak) Fernando Gutiérrez (1911–84) erscheinen. Sie wird zwar vom internationalen Fachpublikum als deutlich besser bewertet als die Übersetzung von Menasché, hat diese aber nicht aus der Gunst der südamerikanischen Leserschaft verdrängen können.

      In den Jahren 2000–05 publizierte der spanische Verlag Valdemar eine Neuübersetzung von Mauro Armiño, und 2000–09 der mexikanisch-uruguayische Verlag Lumen eine weitere Neuübersetzung von Carlos Manzano. Während sich Armiños Übersetzung durch eine penible Originaltreue auszeichnet – anders als die alte Übersetzung von Salinas, der, wie auch Scott-Moncrieff, nicht davor zurückschreckte, proustischer als Proust zu sein –, bemüht sich Manzano um eine Hispanisierung des Textes, indem er barocke Traditionen der spanischen Syntax aufnimmt, um Prousts komplexen Satzbau im Kastilianischen nachvollziehen zu können. Eine dritte Neuübersetzung durch die argentinische Autorin Estela Cantó (1916–94), die eine dem argentinischen Spanisch vertrautere Sprache zu finden sucht, indem sie die typisch kastilianischen Ausdrucksweisen Pedro Salinas’ vermeidet, ohne sich jedoch, wie Menasché es gelegentlich tut, mit »Rioplatismen« als Argentinierin ausweisen zu wollen, erschien in Buenos Aires im Losada-Verlag in den Jahren 2000–10. Allerdings ist nicht bekannt, wann Cantó – die 1994 gestorben ist – ihre Übersetzung angefertigt hat und also, auf welcher Textgrundlage; verschiedene Details deuten jedoch darauf hin, dass zumindest die ersten Teile ihrer Übersetzung noch auf dem Clarac/Ferré-Text beruhen. Craig46 betont in seiner Besprechung für La Nación, dass die drei neuen Übersetzungen von Cantó, Armiño und Manzona jene Wörtlichkeit vermeiden, zu der die Übersetzung ins Spanische aus dem so nahe verwandten Französisch einlädt und die die Übersetzungen von Menasché, Gutierrez und de la Serna kennzeichnet, und dass sie zudem auch davor zurückschrecken, Prousts Syntax »begradigen« zu wollen, wie es die Übersetzung von Consuelo Berges aus den Sechzigern noch für geraten hielt.

      Eine detaillierte Darstellung sowie eine umfangreiche Bibliographie der in Europa bislang kaum wahrgenommenen Proust-Rezeption im spanischsprachigen Amerika gibt Herbert E. Craigs Marcel Proust and Spanish America (s. S. 82).

      Spanisch

      1920 Pedro Salinas (Übers. Bd. I–III) / José María Quiroga Plá (Mitarb. an Bd. III): En busca del tiempo perdido. Bd. I. Madrid/Barcelona: Espasa-Calpe, 1920. Bd. II. Ebd. 1922. Bd. III. Ebd. 1931. [Die restlichen vier Bände von Marcelo Menasché für Rueda (Buenos Aires, Argentinien), 1945–46; von Fernando Gutiérrez für José Janés (Spanien), 1952; von Consuelo Berges für Alianza Editorial (Madrid, Spanien), 1967–69.

      1981 Julio Gómez de la Serna (Übers.): En busca del tiempo perdido. 2 Bde. Madrid: Aguilar, 1981. [Bd. I und II der dreibändigen Gesamtausgabe.]

      2000 Mauro Armiño (Übers. und Komm.): A la busca del tiempo perdido. 3 Bde. Madrid: Valdemar, 2000–05.

      Spanisch (Argentinien)

      2000 Estela Cantó (Übers.): En busca del tiempo perdido. Buenos Aires: Losada, 2000–10. [Beruht vermutl. noch auf dem Clarac/Ferré-Text. Cantó starb 1994.]

      Spanisch (Kuba)

      2008 Hugo Vidal Obregón (Übers. Bd. I) / Jacques-François Bonaldi (Übers. Bd. II): Sodoma y Gomorra. 2 Bde. Havanna: Arte y Literatura, 2008.

      Spanisch (Ecuador)

      1974 Ana Bergholtz Mujica (Übers.): Por el camino de Swann. 2 Bde. Guayaquil: Cromograf, 1974/75.

      1994 Mario Campaña Avilés (Übers.): El tiempo recobrado. Quito: Libresa, 1994.

      Spanisch (Kolumbien)

      2007 Daniel Quintero (Übers.): A la sombra de las muchachas en flor. Bogotá: Yoyo Libros, 2007.

      Spanisch (Uruguay)

      1990 Carlos Manzano (Übers.): En busca del tiempo perdido. Montevideo: Lumen, 1990 ff.

      Innentitel des 1. Bandes der russischen Übersetzung von 1973 durch Nikolaj Michajlovič Ljubimov.

      Ins Russische

      Obwohl eine größere Zahl von russischen Intellektuellen in Paris lebte und z. T. auch als Korrespondenten tätig war, so etwa Waleri Brjussow, Maximilian Voloschin, Michail Voloschin oder Michail Kusmin, entging Proust der russischen Literaturszene gänzlich, die vollkommen auf den Symbolismus fixiert war. Selbst die französischen Lobeshymnen 1913 auf Du côté de chez Swann (WS) wurden als Freundschaftsdienste abgetan; zwar machte Kuzmin, der mit dem Leningrader Verlag Academia zusammenarbeitete, diesen auf das französische Echo auf WS aufmerksam, doch der Beginn des Ersten Weltkriegs rückte Übersetzungsprojekte an den Rand des Interesses. Auch À l’ombre des jeunes filles en fleurs musste trotz des Prix Goncourt aus russischer Perspektive, die nach Krieg und Revolution eher Zeit- als Menschheitsprobleme in den Fokus zu nehmen bereit war, hinter dem zweitplazierten Dorgelès mit seinem Kriegsroman Les Croix de bois (dt. Die hölzernen Kreuze, siehe S. 90) zurücktreten, der ja auch in Frankreich Prousts »Mädchen in Blüte« absatzmäßig überrundete (in den ersten zwei Jahren 85 000 gegenüber 23 000 Exemplaren).

      Der erste sowjetrussische Hinweis auf Proust dürfte die Todesnachricht in der Krasnaja Niwa (»Rotes Feld«) vom 11. Februar 1923 sein, in der der Volkskommissar für das Bildungswesen, Anatoli Lunatscharski, Prousts außergewöhnlich eleganten Stil, seine Landschaftsbeschreibungen, seine Analyse psychischer Phänomene sowie seine subtile Kritik am aristokratischen Frankreich rühmt, das er aber dennoch – nach Lunatscharskis Auffassung – bewundere. Dieses grundlegende Missverständnis – die Fokussierung auf die Kulisse – begleitete alle späteren Stellungnahmen dieses einflussreichen Kritikers zu Proust, der ihn zunehmend als einen Repräsentanten der bourgeoisen Literatur darstellte – »es ist einfach unmöglich, sich mit dem unerträglichen Snobismus und der unterwürfigen Schmeichelei gegenüber der Aristokratie abzufinden, von denen dieser Roman überbordet. […] Zutiefst dekadent« (a. a. O., 10. Januar 1926) –, ohne ihn jedoch als einen solchen zu sehen, denn er förderte durchaus die frühen Übersetzungsbemühungen. Dennoch bestimmte auch nach seiner Amtsenthebung 1929 dieser einmal angewiesene Kurs weiter die breite Rezeption Prousts in Russland.

      Ein merkwürdiger Randaspekt ist das völlige Schweigen des Malers, Schriftstellers und tonangebenden Kunstkritikers Alexander (frz.: Alexandre) Nikolajewitsch Benois (1870–1960) über Proust. Benois lebte von 1905 bis 1907 in Paris und verkehrte in den Salons von Robert de Montesquiou, Reynaldo Hahn und Madame Greffulhe, bei der er nachweislich Proust begegnet ist; als Bühnen- und Kostümbildner (insbes. des »skandalösen« Kostüms für Nijinsky in Gisèle) der Ballets Russes bewegte er sich in den progressivsten französischen und russischen Künstlerkreisen, war mit Jean Cocteau bekannt, und über seine Künstlergruppe und Zeitschrift Mir Iskusstwa, (»Welt der Kunst«) hatte er markanten Einfluss auf das kulturelle Leben in Russland. Jedoch kein Wort über Proust, nicht einmal in seinen Memoiren. Proust dagegen erwähnt ihn in SG (S. 202) und in G (S. 503).

      1927 riskierte es der auf klassische europäische Literatur spezialisierte Leningrader Verlag Academia, den ersten Band der Recherche in der Übersetzung des ausgewiesenen Übersetzers englischer und französischer Literatur Adrian Frankowski (1888–1942) in drei Teilbänden herauszubringen, während fast gleichzeitig im Nedra-Verlag der zweite Band in der Übersetzung von Ljubow Gurjewitsch unter Beteiligung der bekannten Dichterin Sofia Parnok erschien. Die wenigen Kritiker, die diese Publikationen wahrnahmen, so I. Anassimowa, K. Loksa, G. Jakubowski, ließen zwar keinen Zweifel daran, dass es sich um das Werk eines bedeutenden Autors handelte, beim großen Publikum aber stießen sie auf wenig Resonanz. Entscheidender jedoch war, dass jetzt die russische Avantgarde

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