Requiem für meinen Glauben. Georg Schwikart
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Diese Klarheit hätte ich gern …, aber ich habe sie nicht. Ich kann nicht behaupten, ich wüsste, Gott ist nur ein philosophisches Konstrukt, um dem Dasein Sinn und Farbe zu verleihen. Ich zweifle am Glauben – und ich zweifle am Zweifel.
Wer seine Vernunft gebraucht, zweifelt. Der Verstand ist eine Gabe Gottes. Abraham Geiger, im 19. Jahrhundert führender Vertreter des liberalen Judentums, sagte einmal: „Durch Erforschung des Einzelnen zur Erkenntnis des Allgemeinen, durch Kenntnis der Vergangenheit zum Verständnis der Gegenwart, durch Wissen zum Glauben.“ Den Verstand – in Glaubensdingen – ungenutzt zu lassen wäre eine Zurückweisung von Gottes Großzügigkeit. Gott hat uns das Leben auf diesem Planeten anvertraut, dafür müssen wir unsere Intelligenz nutzen. Vertrauen macht verletzlich, das ist in jeder liebevollen Beziehung so. Gott macht sich angreifbar.
Nach seiner Auferstehung erscheint Christus den Jüngern, die entsetzt sind, als sie ihn sehen. Er fragt sie: „Was seid ihr so bestürzt? Warum lasst ihr in eurem Herzen Zweifel aufkommen?“ (Lukas 24,38) – Warum? Was für eine Frage! Weil das, was die Jünger da erleben, so gar nicht zu dem passt, was sie gewohnt sind. Sie zweifeln, ob ihre Sinne noch intakt sind. Der Zweifel der Apostel ist kein bewusster Akt, er stellt sich als Reflex ein.
Kann man sich vornehmen, nicht zweifeln zu wollen? Haben Hiob oder Thomas „zu wenig“ geglaubt? Sie konnten aufgrund dessen, was sie erlebten, nicht anders als zu zweifeln. Wer den Zweifel unterdrückt, misstraut seiner eigenen Wahrnehmung. Wer Druck aufbaut, muss mit Gegendruck rechnen. Unterdrückter Zweifel kann Gewaltpotential entwickeln, aus Angst vor dem Zweifel entsteht Fundamentalismus. Der Gott, an den ich glaube (und der an mich glaubt), sagt: „Selig, die zweifeln, denn sie nehmen Gott ernst.“ Glauben und Zweifel sind wie ein altes Ehepaar: Sie können nicht mit- und nicht ohne einander.
Wenn ich an der Existenz Gottes zweifle, bin ich bedrückt. Doch je weniger ich gegen den Zweifel ankämpfe, desto seltener bedrängt er mich. Ab und zu zeigt er sich. Und zieht sich wieder zurück. Parallel zum Glauben läuft der Zweifel mit, aber ebenso der Glaube in den Phasen des Zweifels. Der Zweifel wird erst aufhören, wenn der Glaube aufhört – also wenn ich übergehe ins „Schauen von Gottes Angesicht“. – Diese altertümliche Formulierung ist mir seltsam unangenehm, Kirchenvokabular weitab von unserer Wirklichkeit, aber ich weiß es nicht besser auszudrücken.
Ich hatte einst die Vorstellung, irgendwann sei ich mit dem Zweifel durch. Irgendwann herrsche Ruhe. Doch Gott lässt sich nicht beweisen. Wer meint, die Schönheit einer Berglandschaft sei genügend Beweis für die Existenz Gottes, verkennt die Ernsthaftigkeit des Problems. Der Glaubende interpretiert die Welt aus seiner Sicht. Der Zweifler sieht sie aus seiner Perspektive: Das herrliche Alpenpanorama ist nicht mehr als eine Spätfolge des Urknalls.
Den Wunsch, den Zweifel loszuwerden, muss ich begraben. Ich will den Zweifel integrieren statt eliminieren. Ihm einen Platz lassen in meinem Innern. Er gehört zu mir wie andere Dinge, auf die ich nicht unbedingt stolz bin, mit denen ich mich eben versöhnen muss. Wenn Glaube Vertrauen bedeutet, dann ist Zweifel eine Vertrauenskrise. Die kommt in jeder Liebesbeziehung vor. Es muss gar nicht die Sorge sein, betrogen zu werden. Es kann auch um die Frage gehen, was man füreinander ist. Wenn eine frische Liebe die symbiotische Phase verlässt, in der man dauernd aneinandergeklebt hat, ist das die notwendige Voraussetzung, damit eine reife Partnerschaft wachsen kann. Liebende müssen sich aufeinander verlassen können, aber sie haben auch ein eigenes Leben. „Wenn man auch das Kopfkissen teilt, so sind die Träume doch verschieden“, lautet ein Sprichwort aus der Mongolei. Abweichende Geschmäcker und Meinungen können wir aushalten, sogar Pausen in der Beziehung, um sich neu füreinander entscheiden zu können.
Mir erzählte ein Mann, die Frau seiner Liebe habe ihn gefragt: „Warum liebst du mich?“ Seltsam, oder? Weil diese Frau so schön ist, so intelligent, so geistreich, lustig, kreativ, stark, wegen ihrer Stimme, ihres Geruchs, ihrer Sinnlichkeit? Oder weil sie so gut kochen kann? Welche Antwort würde der Dimension der Liebe gerecht? Übertragen auf das Verhältnis von Gott und mir: Ich liebe Gott, weil … weil es so ist, weil ich nicht anders kann. Warum liebt Gott mich? – Wir stellen einander diese Fragen nicht. „Die Liebe erträgt alles“ (1 Korinther 13,7). Gottes Liebe erträgt meine Zweifel.
Vor mehr als 25 Jahren rückte mir der Zweifel drängend auf die Pelle. Ich las mich stapelweise durch atheistische Literatur hindurch. Ich dachte, nun müsse ich mich entscheiden, Kopf oder Bauch? Zweifeln oder glauben? Aber auf eines von beiden verzichten? Ich versuchte zu beten in absoluter spiritueller Trockenheit. Mein Glaube schien erloschen, nur ein Fünkchen blieb glutrot. Ich rang mit Gottes Engel wie einst Jakob (Genesis / 1 Mose 32,23–33). Und schrieb zwei Bücher, deren Titel mir zu Leitsätzen wurden: „Zweifle dich durch“ und „Zweifeln hilft glauben“.
Mein Verlangen, den Zweifel hinter mir zu lassen, kommt in die Tiefen der Erde. Ich begrabe einen zweifelsfreien Glauben: Ruhe sanft! Der Zweifel lebt in mir. Ich lebe mit ihm. Und glaube mit ihm. Wenn auch oft unsanft.
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