Staubfänger. Lucie Faulerová
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Ich blicke auf den stummen Fernseher. Ein schwarzbebrillter Gauner spricht mit einem anderen Gauner, der seinen Kopf eingezogen hat. Ich synchronisiere sie, das Glas auf dem Bauch, den Kopf gegen die Wand gelehnt, bis dem ohne Hals eine Kugel durch den Kopf fliegt. Und mir fliegt eine Erinnerung durch den Kopf, die ich sofort (huschsch, das Klowasser strudelt) hinunterspüle. Doch als ich am Ventil ziehe und von der Kloschüssel runterspringe, ist alles immer noch da. Und ich bin fünf, sechs Jahre alt. Und genauso wie im Fernsehen läuft der Abspann, ich sehe einen Samstagvormittag oder Sonntagvormittag, als sich mein Vater vor den Fernseher gesetzt hat, um sich die Zeit bis zum Mittagessen zu vertreiben. Das weiß ich, denn meine Mutter war in der Küche und schälte Kartoffeln, auf dem Herd blubberte eine Suppe, aus dem Backrohr strömte der Geruch von Fleisch, oder auch nicht, oder es stank auch nach Erbsensuppe, je nachdem, ob der Monatslohn gerade überwiesen wurde oder nicht. Dana panschte entweder bei meiner Mutter herum und störte sie beim Kochen, oder sie spielte mit ihren Puppen. Sie hatte schon von klein an drei Puppen, mit denen sie ständig spielte, die sie fütterte und erzog, die sie ärgerte und kämmte, denen sie auf ihren Plastikhintern klopfte und die sie tröstete, sie sollen nicht weinen, es werde alles wieder gut, und denen sie den imaginären Rotz von der Nase wischte. Das hielt sie ziemlich lange durch, vermutlich bis zu dem Tag, als man uns wegbrachte. Dann hatte sie mich statt der Puppen. Nur eine, die Stoffpuppe, behielt sie. Aber das ist eine andere Erinnerung. Huschsch. Mein Vater saß im Wohnzimmer und schaute fern. Zu Hause hatte er oft nur eine Unterhose an. Dieses klassische tschechische Ideal eines Manns. Ein Dolm in einer ausgeleierten Unterhose, aus der immer etwas rausschaut, was von selbst nie rausschauen sollte, mit einer Flasche Bier in der Hand. Manchmal nickt er ein, der Kopf fällt auf die Schulter, er rülpst, im Sessel versunken, die Füße ausgestreckt, Knöchel über Knöchel. Jedes Mal, wenn er die Beine übereinanderschlug, donnerte er mit seinen enormen Füßen gegen den Teppich, und die rissigen Fersen raschelten, wenn sie aneinander rieben. Und ich langweilte mich, wie immer. Ich gab mir selbst einen Tritt in den Hintern, nichts machte mir Spaß und ich wusste nicht, was ich tun könnte. Die meiste Zeit verbrachte ich eigentlich damit, genervt in der Wohnung herumzugehen, nach einem Versteck zu suchen, oder damit, Dana zu ärgern, und meistens kam ich damit durch, weil ich die Kleinere war. Und vor allem, weil mich niemand bemerkte.
Auch damals ging ich in der Wohnung herum, doch ich mied die Küche, um nicht irgendeine Aufgabe zu bekommen, für die ich dann nicht klein genug war. Ich landete im Wohnzimmer und beobachtete das Mufflon-Ballett der Füße meines Vaters. Irgendein Männerfilm lief. Zwei Banditen, die sich gegenseitig jagen und einer will den anderen umbringen. Er schaute sich nur solche Filme an. Oder schien es nur so, weil immer nur solche Filme am Wochenende im Fernsehen liefen, ich weiß es nicht. Manchmal war es ein Western, manchmal ein »Indianerfilm« oder ein Klassiker mit Segal, mit Van Damme, jede Menge Muskeln und Hohlköpfe und Waffen und harte Sprüche. Wie das wohl ist, wenn dieser Kerl (peng-peng-bumm zisch-zwisch bang-bumm) diese Kerle verfolgt (bang-bumm tusch-tusch bang-bumm). Manchmal fragte ich ihn, wer der Gute sei und wer der Böse. Und manchmal sagte er es mir. Wenn er wollte, sagte er: »das ist der Gute«, und deutete mit dem Kopf auf einen schmierigen Typen mit gegelten Haaren. Damals fragte ich ihn das auch, wer der Gute sei und wer der Böse. Einen Moment lang schwieg er, ich dachte schon, er würde nicht mehr antworten, und auf einmal sagte er, dass beide gut seien. Das brachte mich durcheinander. Zu wem sollte ich jetzt halten? Wer soll gewinnen? Warum kämpfen denn zwei Gute gegeneinander? Das ergibt keinen Sinn, sind nicht eher beide böse?
Finito. Ende.
Dana wartet selbstverständlich schon an unserer üblichen Stelle. Sie kommt immer rechtzeitig. Nein, anders, sie kommt immer zu früh, damit ich es bin, die zu spät kommt, auch wenn ich rechtzeitig komme. Wir treffen uns im obersten Stockwerk des Einkaufszentrums. Ein Kompromiss zwischen einem Rauchercafé und einem Ort mit Kinderecke. Das Wild wird ins Gehege gelassen, ich klick-klicke schon und Dana hustet aus Gewohnheit. Alles ist genauso wie immer. Ich weiß, dass sie es stört, wenn ich rauche. Nie wird sie müde, mir das bei jedem unserer Treffen zu versichern. Aber ich weiß, was sie noch mehr stört. Dass sie hier nicht aufstehen kann, um das Fenster zu öffnen und die Tür zu schließen.
»Warst du in der Nacht irgendwo?«, fragt sie mich.
»Na klar war ich irgendwo.«
»?«
»Jeder ist irgendwo.«
»Irgendwo unterwegs«, ergänzt sie.
»Ich war ganz normal zu Hause. Warum?«
»Du hast Augenringe.«
»Ich weiß, die fallen mir gleich runter.«
»Du bist blöd«, sagt sie und lächelt.
»Hm, sag mir doch, was bin ich noch alles?«
»Sag du es mir«, sagt sie und nimmt einen Schluck von ihrem Tee. Im ersten Moment kam das einfach so aus ihrem Mund, Konversationsautomatik, im zweiten stutzt sie irgendwie komisch und lässt ihren Blick schweifen. Sie hat etwas Seelengas in die Luft gelassen, einen Gedankenfurz, kaum hörbar, aber wenn dieses Gas entweicht, ist es draußen und kann nicht mehr zurückgenommen werden. Und man weiß nicht, ob man nur selbst davon weiß, oder ob es die anderen auch bemerkt haben, und man hat keine andere Wahl, als auf die Reaktion zu warten. Sie hat Seelengas in die Luft gelassen, und wir werden uns dessen erst eine Sekunde später bewusst, in dieser Sekunde, wo es den Raum zwischen uns ausfüllt, und es zerfließt wieder, wie der Rauch, vor dem sie für gewöhnlich die Tür schließt und den sie zum Fenster hinauslässt.
Karolína hüpft auf den Plastikkugeln herum oder dem Sand oder den Scherben oder was auch immer die da in diesem Becken haben, was weiß ich. Selbstverständlich heult sie sofort los, aber erst, als Dana bemerkt, dass sie hingefallen ist, nach der Intensität ihrer Schreie handelt es sich wohl um Scherben. Sie läuft zur Mama, um sich trösten zu lassen, und ich würde ihr am liebsten entgegenlaufen, um ihr ein Bein zu stellen.
Mit dem Stummel der ersten Zigarette zünde ich mir eine zweite an, und etwas neurotisch wackle ich unter dem Tisch mit einem Bein und spiele mit dem Feuerzeug. Klick-klick.
»Ich bitte dich«, sagt sie, während sie die Miniversion von sich selbst tröstet, »was wirst du denn machen, wenn du eigene hast.« (Ich falle von einem dreißig – na, lieber fünfzig Meter hohen Turm.) »Kája, ist ja gut, es ist gar nichts passiert.« (Ich klatsche zu Boden. Ich bewege mich nicht.