Das grüne Gesicht. Gustav Meyrink
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"Eigentlich könnte ich auch gehen", überlegte der Fremde; "worauf warte ich denn noch?"
Ein Gefühl der Abspannung überfiel ihn; er gähnte und ließ sich in einen Sessel fallen.
"Daß einem nicht der Kopf zerspringt, oder man sonstwie überschnappt", schälte sich ein Gedanke in seinem Hirn
los, "bei all dem verrückten Zeug, das das Schicksal um einen herumstellt! Es ist ein Wunder! – Und warum man im
Magen Übelkeit empfindet, wenn die Augen häßliche Dinge hineinschlingen?! Was hat denn, um Gottes willen, die
Verdauung damit zu tun! – Nein, mit der Häßlichkeit hängt's nicht zusammen", grübelte er weiter, "auch bei längerem
Verweilen in Gemäldegalerien packt einen unvermutet der Brechreiz. Es muß so etwas wie eine Museumskrankheit
geben, von der die Ärzte noch nichts wissen. – Oder sollte es das Tote sein, das von allen Dingen, ob schön oder
häßlich, ausgeht, die der Mensch gemacht hat? Ich wüßte nicht, daß mir schon einmal beim Anblick selbst der ödesten
Gegend übel geworden wäre, – also wird es wohl so sein. – Ein Geschmack nach Konservenbüchsen haftet allem an,
das den Namen 'Gegenstand' trägt; man kriegt den Skorbut davon." – Er mußte unwillkürlich lächeln, da ihm eine
barocke Äußerung seines Freundes Baron Pfeill, der ihn für Nachmittag ins Café "De vergulde Turk" bestellt hatte und
alles, was mit perspektivischer Malerei zusammenhing, aus tiefster Seele haßte, einfiel: 'Der Sündenfall hat gar nicht mit
dem Apfelessen begonnen; das ist wüster Aberglaube. Mit dem Bilderaufhängen in den Wohnungen hat's angefangen!
Kaum hat einem der Maurer die vier Wände schön glatt gemacht, schon kommt der Teufel als "Künstler" verkleidet
und malt einem "Löcher mit Fernblick" hinein. Von da bis zum äußersten Heulen und Zähneklappern ist dann nur noch
ein Schritt und man hängt eines Tages in Orden und Frack neben Isidor dem Schönen oder sonst einem gekrönten
Idioten mit Birnenschädel und Botokudenschnauze im Speisezimmer und schaut sich selber beim Essen zu.' – – – "Ja,
ja, man sollte wirklich bei allem und jedem ein Lachen bereit haben", fuhr der Fremde in seiner Gedankenreihe fort,
"so ganz ohne Grund lächeln die Statuen Buddhas nicht, und die der christlichen Heiligen sind tränenüberströmt. Wenn
die Menschen häufiger lächeln würden, gäb's vermutlich weniger Kriege. – Da laufe ich nun schon drei Wochen in
Amsterdam herum, merke mir absichtlich keine Straßennamen; frage nicht, was ist das oder jenes für ein Gebäude,
wohin fährt dieses oder jenes Schiff, oder woher kommt es, lese keine Zeitungen, um nur ja nicht als 'Neuestes' zu
erfahren, was schon vor Jahrtausenden in Blau genau so passiert ist; ich wohne in einem Hause, in dem jede Sache mir
fremd ist, bin schon bald der einzige – Privatmann, den ich kenne; wenn mir ein Ding vor Augen kommt, spioniere ich
längst nicht mehr, wozu es dient, – es dient überhaupt nicht, läßt sich nur bedienen! – und warum tue ich das alles?
Weil ich es satt habe, den alten Kulturzopf mit zu flechten: erst Frieden, um Kriege vorzubereiten, dann Krieg, um den
Frieden wiederzugewinnen usf.; weil ich wie Kasper Hauser eine neue urfremde Erde vor mir sehen will, – ein neues
Staunen kennen lernen will, wie es ein Säugling an sich erfahren müßte, der über Nacht zum erwachsenen Manne
heranreift, – weil ich ein Schlußpunkt werden will und nicht ewig ein Komma bleiben. Ich verzichte auf das 'geistige
Erbe' meiner Vorfahren zugunsten des Staates und will lieber lernen, alte Formen mit neuen Augen zu sehen, statt, wie
bisher, neue Formen mit alten Augen; vielleicht gewinnen sie dann ewige Jugend! – Der Anfang, den ich gemacht habe,
war gut; nur muß ich noch lernen, über alles zu lächeln und nicht bloß zu staunen."
Nichts wirkt so einschläfernd wie geflüsterte Reden, deren Sinn dem Ohre unverständlich bleibt. Die in leisem Ton
und großer Hast geführten Gespräche zwischen dem Balkangesicht und dem Zulukaffern hinter dem Vorhang
betäubten den Fremden durch ihre hypnotisierend eintönige Unablässigkeit, so daß er einen Moment in tiefen
Schlummer fiel.
Als er sich gleich darauf wieder emporriß, hatte er die Empfindung, eine überwältigende Menge innerer Aufschlüsse
bekommen zu haben; aber nur ein einziger dürrer Satz war als Quintessenz in seinem Bewußtsein zurückgeblieben, –
eine phantastische Verkettung von kürzlich erlebten Eindrücken und fortgesponnenen Gedanken: "Schwerer ist es, das
ewige Lächeln zu erringen, als den Totenschädel in den abertausend Gräbern der Erde herauszufinden, den man in
einem früheren Leben auf den Schultern getragen; erst muß der Mensch sich die alten Augen aus dem Kopf weinen,
bevor er die Welt mit neuen Augen lächelnd zu betrachten vermag."
"Und wenn es noch so schwer ist, der Totenschädel wird gesucht!" verbiß sich der Fremde hartnäckig in die
Traumidee, felsenfest überzeugt, daß er vollkommen wach sei, während er in Wirklichkeit wieder tief eingenickt war,
"ich werde die Dinge schon zwingen, deutsch mit mir zu reden und mir ihren wahren Sinn zu verraten, und zwar in
einem neuen Alphabet, statt mir, wie früher, mit wichtigtuerischer Miene alten Kram ins Ohr zu raunen, wie: 'Siehe, ich
bin ein Medikament und mache dich gesund, wenn du dich überfressen hast, oder ich bin ein Genußmittel, damit du
dich überfressen und wieder zum Medikament greifen kannst.' – Hinter den Witz, daß sich alles in den Schwanz beißt,
wie mein Freund Pfeill sagt, bin ich nachgerade gekommen, und wenn das Leben keine gescheiteren Lektionen
aufzugeben weiß, gehe ich in die Wüste, nähre mich von Heuschrecken und kleide mich in wilden Honig."
"Sie wollen in die Wüste gehen und die höhere Zauberei lernen, – nebbich –, wo Sie noch so dumm sind, einen
albernen Trick mit Korkstöpseln bar in Silber zu bezahlen, einen Vexiersalon von der Welt kaum unterscheiden
können und nicht einmal ahnen, daß in den Büchern des Lebens etwas anderes steht, als hinten draufgedruckt ist? –
Sie sollten 'Grün' heißen und nicht ich", hörte der