Damals bei uns daheim. Ханс Фаллада
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Читать онлайн книгу Damals bei uns daheim - Ханс Фаллада страница 3
Von all solchen erregenden Ereignissen blieben wir Kinder natürlich ausgeschlossen. Wir erfuhren sie erst so nach und nach aus den Gesprächen der Eltern oder, waren sie besonders schlimm, auch unter dem Siegel unverbrüchlicher Verschwiegenheit aus der Küche. Aber wir nahmen doch an allem in unsern Kinderzimmern lebhaftesten Anteil. Als ich noch klein war, mußte ich, Diner hin und Festessen her, genau wie sonst um acht Uhr im Bett liegen. Es dauerte dann oft eine lange Weile, bis mich der Schlaf überkam. Von halb neun Uhr ab ging fast ununterbrochen die Türklingel, ich hörte das Gemurmel der ankommenden Gäste. Die Schirme klapperten in den Ständern, Seide rauschte, ab und zu erhob ein Gast seine Stimme lauter, oder ich hörte auch ein fröhliches Begrüßungswort meines Vaters ...
Allmählich glitt ich dann ins Schlafland hinüber, aber bei jedem solchen Diner kam meine Mutter noch einmal zu meinem Bruder und mir ins Zimmer, legte uns von dem Festkonfekt und vor allem von den beliebten Knallbonbons einiges auf den Nachttisch und beugte sich zum Gute-Nacht-Kuss über mich. Dann erschien mir meine liebe Mutter im unsicheren Licht und halben Schlaf völlig verändert. Sonst war sie unermüdlich im großen Haushalt tätig, wir vier Kinder machten unendlich viel Arbeit und Unruhe, dazu brauchte mein zarter, oft kränklicher Vater ständige Pflege und Arbeitsfrieden. Sie kam eigentlich nie zur Ruhe, die Mutter, nur selten schlüpfte sie einmal aus ihrem Arbeitskleid.
Aber an solchen Festabenden trug sie ein tief ausgeschnittenes Seidenkleid, ihre weißen Schultern blinkten wie Schnee daraus. Sie roch so gut nach irgendeinem unbekannten Blumenduft, und ich bewunderte sie aus tiefstem Herzen mit ihrem blitzenden, funkelnden Familienschmuck: der Halskette, der perlenbesetzten Goldbrosche, den leise klingelnden Armreifen! Ach Gott, das arme bißchen Familienschmuck! Es ist dann im Weltkrieg den Weg »Gold gab ich für Eisen« gegangen, seit fünfundzwanzig Jahren habe ich ihn nicht mehr gesehen, und doch könnte ich ihn noch aufzeichnen, Stück für Stück – wenn ich bloß zeichnen könnte! Eigentlich hatte ich viel verloren, als ich nun, größer geworden, mit den älteren Schwestern bis elf Uhr abends zusammensitzen und mich mit Kostproben vom Tisch der Großen füllen durfte. Aber ich wußte noch nicht, was ich verloren hatte: ein Kindheitsparadies, in dem meine Mutter eine richtige Fee war, schöner als alle Feen der Märchenbücher.
Solange man noch wirklich jung ist, denkt man weder an Vergangenheit noch Zukunft, man lebt nur der Stunde, und so fand ich es herrlich, wenn immer wieder die Tür bei uns aufging und ein Lohndiener oder auch die Kochfrau oder besonders unser Faktotum, die alte mürrische Minna, uns Teller hereinreichten, auf denen eilig die verschiedensten Speisen zusammengeworfen waren: Blätterteigpasteten schauten zwischen Stangenspargeln hervor; der Klecks Johannisbeergelee war statt auf die Rehkeule zwischen die Petersilienkartoffeln geraten; und einmal entdeckten wir sogar in einer Omelette soufflé statt der Champignonfüllung einen veritablen Salzstreuer aus Glas – ein Sturmsignal dafür, welch fieberhafte Aufregung in der Küche herrschte!
Das schwere, ungewohnt kräftig gewürzte Essen versetzte uns Kinder bald in eine gehobene Stimmung. Wir lachten und lärmten so sehr, daß manchmal mahnend gegen unsere Tür geklopft werden mußte. Dann war es nicht mehr weit, daß eine Raubexpedition in das Badezimmer erwogen wurde: so viel Essen macht Durst! Zwar war uns Alkohol von den Eltern streng verboten, aber in unserer Feststimmung waren wir geneigt, ein wenig lax über ein solches Veto zu denken. Und schon waren wir auf dem langen Gang, mit Horchposten sowohl gegen das Speisezimmer wie gegen die Küche. Alle Welt war unserm Labetrunk feindlich gesinnt! Wie oft mußten wir uns überstürzt wieder zurückziehen, wenn ein Lohndiener, geschirrbeladen, den endlosen, echt Berliner Gang entlang scheeste, oder wenn grade in der stets offenen Küchentür Minna erschien mit dem Ruf: »Wollt ihr Rabauters woll machen, daß ihr in euer Zimmer kömmt! Gleich gibt es Eis, und wenn ihr nicht artig seid, essen wir es alleine!«
Aber dann das Glück, wenn wir mit einer Flasche Rheinwein oder gar Burgunder wieder in unserm Zimmer anlangten! Große Unterschiede machten wir zwar in den Sorten nicht, Wein war uns Wein, ein Getränk, das einen unbegreiflich lustig und unternehmend machte! Wir tranken ihn in kleinen Schlucken aus den Zahnputzgläsern der Schwestern und fühlten uns wie Seeräuber, die eine feine Prise gemacht haben.
In einer solchen echten Räuberstimmung unternahmen einmal mein Bruder Ede und ich eine kühne Expedition in die Speisekammer, deren Eingang direkt neben der Küchentür lag, so daß wir jeden Augenblick überrascht werden konnten.
Als wir aber erst drin waren, vergaßen wir jede Gefahr: von weißem Zuckerguss glänzend standen vor uns die beiden großen Baumkuchen, die am Vormittag ein Konditorjunge gebracht und die seitdem mein und Edes Herz erregt hatten. Ich kannte als der Ältere sehr wohl meine Pflicht: ich streckte meine Hand aus, brach eine Zacke ab und schon war sie in meinem Munde!
»Mir auch eine Nase! Ich will auch solche Nase!« verlangte Ede, und schon um einen Mitschuldigen zu haben, sagte ich: »Brich dir selber eine ab!«
Aber bald dachten wir nicht mehr an Schuld und Unschuld. Diese Nasen schmeckten zu verführerisch, wir brachen immer mehr ab. Hielten wir uns zuerst an einen Baumkuchen, und zwar an seinen unteren Rand, so trieb uns bald die Lust immer weiter. Damit wir einander nicht ins Gehege kämen, teilten wir die Kuchen unter uns auf: Ede brach links, ich rechts die Nasen. Ein unheilvoller Stern stand in dieser Nacht über meinem Elternhaus: kein Mensch kam in die Speisekammer und störte uns bei unserm frevlen Beginnen.
Wie wir es – nach einem überreichlichen Nachtessen – geschafft haben, ist mir noch heute unerklärlich. Jedenfalls standen in Kürze die beiden Baumkuchen völlig nasenlos vor uns. Jetzt doch ein bißchen bedenklich, schauten wir einander an, selbst wir konnten nicht übersehen, daß dies Prachtgebäck erheblich an Schönheit eingebüßt hatte.
»Ich glaub', wir gehen gleich ins Bett«, meinte ich schließlich.
»Und das Erdbeereis?« gab Ede zu bedenken.
»Wenn sie das sehen«, sagte ich düster, »bekommen wir bestimmt kein Erdbeereis!«
»Vielleicht denken sie, Baumkuchen sind so?« schlug Ede vor.
Ich zuckte nur hoffnungslos die Achseln.
»Oder wir sagen einfach, der Konditorjunge hat's gemacht!«
»Am besten gehen wir ins Bett«, wiederholte ich. »Ich stell mich schlafend.«
»Dann werde ich schnarchen«, entschied Ede. »Du bist der Ältere, zu dir kommen sie überhaupt zuerst.«
Wir lagen noch nicht lange in unseren Betten, als wir eine gesteigerte Unruhe auf dem Gang bemerkten. Dann hörten wir die aufgeregte Stimme meiner Mutter von der Küche her. Wir machten, daß wir unter die Decken krochen. Ede fing sofort an, in der lächerlichsten Weise zu schnarchen. Es war oft, meistens sehr schön, der Ältere von uns beiden Brüdern zu sein, doch hätte ich in dieser Stunde mein Erstgeburtsrecht für noch weniger als ein Linsengericht gerne hergegeben. Später hörte ich sogar Vaters Stimme aus dem Küchenbezirk. Man bedenke, unser Verbrechen war so riesengroß, daß beide Gastgeber von der Tafel weggerufen wurden! Ich konnte mir den Umfang der uns drohenden Strafe nicht einmal ausdenken!
Aber was dann eintrat, war schlimmer als jede Strafe: es trat nämlich gar nichts ein. Ich lag mit immer stärker klopfendem Herzen in meinem Bett und erwartete das Jüngste Gericht. Aber niemand kam. Ich wartete, ich flehte fast um Erlösung: niemand kam. Ede war längst richtig eingeschlafen, und immer noch lag ich wach, schlaflos über tausend Möglichkeiten grübelnd. Ich lag, wie man so sagt, die ganze Nacht wach, schließlich wäre mir die schlimmste Strafe lieber gewesen als dieses Warten. Als ich dann hörte,