Zwei Städte. Charles Dickens
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Der Hufschlag eines scharf galoppirenden Pferdes kam den Hügel herauf immer näher und näher.
„Halloh!“ rief der Conducteur, so laut er brüllen konnte. „Heda! Steht, oder ich schieße!“
Das Pferd ward plötzlich angehalten und mit vielem Klatschen und Stampfen hörte man eine Mannsstimme aus dem Nebel herauf tönen: „Ist das die Dover-Post?“
„Kümmert Euch nicht drum, was es ist!“ erwiderte der Conducteur. „Wer seid Ihr?“
„Ist das die Dover-Post?“
„Warum wollt Ihr’s wissen?“
„Ich suche einen Passagier, wenn sie’s ist.“
„Wie heißt der Passagier?“
„Mr. Jarvis Lorry.“
Der uns wohlbekannte Passagier gab sofort kund, daß dies sein Name sei. Der Conducteur, der Kutscher und die beiden anderen Passagiere warfen argwöhnische Blicke auf ihn.
„Bleibt, wo Ihr seid“, rief der Conducteur der Stimme im Nebel zu, „weil, wenn ich einen Irrthum beginge, er während Eurer Lebenszeit nicht wieder gut gemacht werden könnte. Der Herr, der Lorry heißt, antworte auf der Stelle.“
„Was giebt’s?“ fragte darauf der Passagier, mit etwas zitternder Stimme. „Wer fragt nach mir? Ist es Jerry?“
„Mir gefällt Jerry’s Stimme nicht, wenn es Jerry ist“, brummte der Conducteur vor sich hin. „Er ist heiserer, als mir gefällt, der Jerry.“
„Ja, Mr. Lorry.“
„Was giebt’s?“
„Eine Depesche für Sie von drüben. Von T. u. Comp.“
„Ich kenne den Mann, Conducteur,“ sagte Mr. Lorry, indem er wieder auf die Straße hinabtrat, wobei ihm die beiden anderen Passagiere mehr rasch als höflich beistanden und darauf sofort in die Kutsche kletterten, die Thür zumachten und das Fenster hinaufzogen. „Er kann herankommen; es ist Alles in Ordnung.“
„Ich will das hoffen, gar zu sicher sieht es mir noch nicht aus“, sagte der Conducteur, immer noch vor sich hinbrummend. „Heda, Mann!“
„Nun ja, hier bin ich!“ sagte Jerry, noch heiserer als vorher.
„Kommt im Schritt heran! Hört Ihr’s? Und wenn Ihr Halfter an Eurem Sattel habt, so nehmt Euch in Acht, daß Ihr nicht mit der Hand ihnen zu nahe kommt. Denn ich bin ein Teufel im Falschverstehen, und wenn ich was falsch verstehe, so wird gleich Blei daraus. Nun wollen wir einmal sehen, wen wir haben.“
Ein Pferd und ein Reiter kamen langsam aus dem wirbelnden Nebel und an die Seite der Postkutsche, wo der Passagier stand. Der Reiter beugte sich herab und übergab, indem er den Conducteur ansah, dem Passagier ein kleines zusammengebrochenes Papier. Das Pferd des Reiters war außer Athem, und sowohl Pferd wie Reiter waren von den Hufen des Pferdes bis zu dem Hute des Mannes mit Koth bespritzt.
„Conducteur!“ sagte der Passagier in ruhigem und zuversichtlichem Geschäftstone.
Der wachsame Conducteur, mit der rechten Hand am Kolben der halb erhobenen Donnerbüchse, mit der linken am Rohr und mit dem Auge auf dem Reiter, antwortete kurz: „Sir!“
„Es ist Nichts zu fürchten. Ich bin von Tellson’s Bank. Ihr müßt Tellson’s Bank in London kennen. Ich reise in Geschäften nach Paris. Eine Krone Trinkgeld. Ich kann dies lesen?“
„Wenn Ihr rasch macht, Sir!“
Er brach den Brief beim Lichte der Kutschenlampe auf und las, erst für sich und dann laut: Warten Sie in Dover auf Mademoiselle. „Es ist nicht lang, wie Ihr seht, Conducteur. Jerry, sagt, meine Antwort wäre: Wiederauferstanden.“
Jerry fuhr im Sattel empor. „Das ist eine verwünscht seltsame Antwort“, sagte er mit seiner heisersten Stimme.
„Meldet, was ich gesagt habe und sie werden wissen, daß ich diesen Brief bekommen habe, so gut, als ob ich geschrieben hätte. Haltet Euch möglichst dazu. Gute Nacht!“
Die Postkutsche.
Mit diesen Worten machte der Passagier die Kutschenthür auf und stieg ein, ohne den mindesten Beistand von Seiten seiner Mitpassagiere zu finden, welche eiligst ihre Uhren und Geldbeutel in den Stiefeln versteckt hatten und sich jetzt alle schlafend stellten. Mit keiner bestimmteren Absicht, als der Gefahr zu entgehen, sich zu einem andern Verhalten entschließen zu müssen.
Die Kutsche rumpelte weiter und schwerere Wirbel Nebel umkräuselten sie, wie sie bergab zu fahren begann. Der Conducteur legte die Donnerbüchse bald wieder in die Waffenkiste, und nachdem er sich den übrigen Inhalt derselben betrachtet und nach den Pistolen, die er im Gürtel trug, gesehen hatte, sah er auch nach einem kleinern Kasten unter seinem Sitz, in welchem sich Hammer und Zange, ein Paar Fackeln und ein Feuerzeug befanden. Denn er war so vollständig ausgerüstet, daß, wenn der Wind die Kutschenlaternen ausgeblasen hätte, was manchmal geschah, er weiter Nichts zu thun brauchte, als sich einzuschließen, sich zu hüten, die Funken von Stahl und Stein in Stroh fallen zu lassen und mit leidlicher Sicherheit und Leichtigkeit (wenn er glücklich war) in fünf Minuten Licht zu machen.
„Tom!“ klang es halblaut über das Dach des Wagens.
„Was giebt’s, Joe?“
„Hörtet Ihr, was er sagte?“
„Ja wohl, Joe.“
„Habt Ihr was davon verstanden, Tom?“
„Ne, Joe.“
„Das trifft sich merkwürdig zusammen“, sagte der Conducteur nachdenklich vor sich hin, „denn ’s ist mir auch so gegangen.“
Jerry, im Nebel und in der Dunkelheit allein gelassen, stieg unterdessen ab, nicht nur seinem todtmüden Pferde zu Liebe, sondern auch, um sich die Kothflecken aus dem Gesicht zu wischen und den angesammelten Regen aus dem Hutrande, der etwa eine halbe Gallone halten mochte, zu schütteln. Nachdem er mit dem Zügel über dem Arm dagestanden hatte, bis man die Räder der Postkutsche nicht länger hörte und die Nacht wieder ganz still war, führte er langsam das Pferd den Hügel hinab.
„Nach dem scharfen Galopp vom Templethor, Alter, will ich’s deinen Vorderläufen nicht eher wieder zumuthen, als bis wir wieder auf ebenem Wege sind,“ sagte der heisere Bote mit einem Blicke auf sein Roß. „Wiederauferstanden. Das ist eine verteufelt seltsame Antwort. Das würde dir nicht allzu gut passen, Jerry! Nicht wahr, Jerry, du wärst verteufelt schlecht daran, wenn Wiederauferstehen Mode würde!“