Mirgorod. Nikolai Gogol
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»Herrgott, wie protzig er daliegt! Kreuzteufel, was kostet die Welt!« sagte er und zügelte sein Pferd.
Es war in der Tat ein verwegnes Bild: der Kosak hatte sich wie ein Löwe auf die Straße gelümmelt, sein kühn zurückgeworfener Schopf lag eine halbe Elle lang am Boden, die Pluderhosen aus feinem rotem Tuch waren mit Teer beschmiert, zum Zeugnis dessen, daß er auf solche Dinge einfach pfiff.
Als Bulba sich an diesem Anblick genug ergötzt hatte, ging es weiter durch die enge Straße, wo einem noch dazu die Handwerker, die im Freien ihrer Arbeit nachgingen, überall im Weg herumstanden und Leute aus allen Nationen sich drängten – das Volk dieser Vorstadt, die einem Jahrmarkt glich und für Nahrung und Notdurft des Lagers sorgte, in dem nur geschlemmt und mit den Flinten geknallt wurde.
Endlich lag die Vorstadt hinter ihnen, und sie erblickten einige zerstreut liegende Wachhäuser, teils mit Rasen, teils nach tatarischem Brauch mit Filz gedeckt. Manche davon waren mit Kanonen bestückt. Nichts von einem Palisadenzaun oder jenen niedrigen, auf kurzen Holzsäulen stehenden Häuschen mit Schutzdächern, wie in der Vorstadt. Ein flacher Wall und ein Verhau ohne jede Bewachung zeugten von staunenswerter Sorglosigkeit. Ein paar stramme Kosaken, die, ihre Pfeifen zwischen den Zähnen, mitten im Weg herumlagen, blickten den Reisenden gleichgültig entgegen und rührten sich nicht vom Fleck.
Taras ritt mit seinen Söhnen vorsichtig zwischen ihnen hindurch und sagte: »Seid gegrüßt, ihr Herren!«
»Seid gleichfalls gegrüßt!« antworteten die Kosaken.
Wohin man blickte, wimmelte das Volk in bunten Haufen. Den sonnverbrannten Gesichtern sah man es an: dies waren kriegsharte Männer, erprobt in Not und Gefahren. Da war es nun, das Lager! Da war es, das Nest, aus dem sie sich zu weiten Flügen erhoben, die Löwenstarken, die Löwenkühnen! Dies war die Stätte, von der aus Freiheit und Kosakentum das ganze Grenzland beherrschten!
Die Reisenden kamen auf den freien Platz, wo die Ratsversammlung zu tagen pflegte. Auf einem umgestürzten Bottich saß ein Kosak ohne Hemd; er hielt es in der Hand und flickte gemächlich die Löcher darin.
Aufs neue wurde ihnen der Weg verstellt durch eine Schar Musikanten, in deren Kreis ein junger Bursch tanzte, die Mütze keck auf einem Ohr, wild mit den Armen fuchtelnd. Er schrie nur immer: »Spielt schneller, faule Bande! Foma, alter Geizkragen, schenk Schnaps ein für die rechtgläubigen Christen!«
Und Foma, ein Kerl mit einem blaugeschlagenen Auge, goss jedem, der herzutrat, ohne Bezahlung das Schoppenglas voll. Um den jungen Kosaken herum tänzelten vier alte mit kleinen Schritten, sprangen dann wie ein Wirbelwind zur Seite, beinah den Musikanten auf die Köpfe, hüpften plötzlich in der tiefen Kniebeuge umher und stampften rasend schnell und kräftig mit den silbernen Hufeisen unter ihren Hacken den hart getrampelten Boden. Die Erde dröhnte, weithin in die Luft erklangen die Schläge und Wirbel der silberbeschlagnen Hacken. Einer von ihnen aber schrie und tanzte noch wilder als die andern. Sein Haarschopf flatterte im Wind, splitternackt war die kräftige Brust; er hatte seinen dicken Winterpelz an, und der Schweiß strömte von ihm herunter, wie aus der Kanne gegossen.
»Ja, zieh doch, in Gottes Namen, erst deinen Pelz aus!« sagte Taras endlich. »Ja, seht doch bloß, wie er dampft!«
»Ausgeschlossen!« schrie der Kosak.
»Warum denn?«
»Ausgeschlossen! Das kenn ich nun einmal nicht anders: was ich vom Leib zieh, ist schon versoffen.«
Eine Mütze hatte er längst nicht mehr, der lustige Kamerad, auch keinen Gurt um den Rock und kein gesticktes Tuch – es war alles den Weg zum Juden gegangen.
Die Menge wuchs, neue Tänzer kamen hinzu: man konnte nicht ohne freudiges Herzklopfen sehen, wie alles mitgerissen wurde in den freiesten, wildesten Tanz, den die Welt kennt, und der nach den Männern, aus deren strotzender Kraft er geboren wurde, der Kosakentanz heißt.
»Ach, hätt ich nur den Gaul nicht da!« schrie Taras. »Mittanzen würd ich; gleich auf der Stelle tanzte ich mit, bei Gott!«
Inzwischen aber kamen auch gesetztere Leute heran, die für ihre Taten vom ganzen Lager geehrt wurden, alte Grauköpfe, die mehr als einmal zum Ältesten gewählt worden waren. Taras sah eine Menge bekannte Gesichter. Ostap und Andri lauschten auf die Begrüßungen: »Bist du das, Petscheritza?« – »Grüß dich Gott, Kosolup!« – »Wo karrt dich der Teufel her, Taras?« – »Woher kommst du, Doloto?« – »Sei mir gegrüßt, Kirdjäga!« – »Sei gegrüßt, Gusty!« – »Daß ich dich noch einmal seh, Remjon!« Die Recken, die aus den wilden Weiten von ganz Russland zusammengeströmt waren, küßten sich, und nun hob ein Fragen an: »Was macht Kassian?« – »Und Borodawka?« – »Und Kolopjer?« – »Und Pidßyschok?« Taras Bulba mußte hören, Borodawka wäre in Tolopan gehenkt worden, Kolopjer hätten sie in Kisikirmen bei lebendigem Leib geschunden, Pidßyschoks Kopf hinwiederum sei gut eingesalzen in einem Faß nach Stambul gereist. Da ließ der alte Bulba den Kopf hangen und sagte, ins Gedenken verloren: »Waren brave Kosaken!«
Drittes Kapitel
Taras Bulba war schon fast eine Woche mit seinen Söhnen im Lager. Ostap und Andri befaßten sich nicht viel mit kriegerischen Übungen. Im Lager hielt man wenig davon, Zeit und Mühe an den Friedensdienst zu verschwenden; der Ausbildung und Erziehung der jungen Mannschaft diente allein der praktische Ernstfall, das Schlachtgewühl, das darum auch fast nie zur Ruhe kam. Die Kosaken hätten es schandbar langweilig gefunden, die kurzen Friedenspausen mit dem Eindrillen irgendeiner Disziplin auszufüllen, höchstens, daß sie hie und da nach der Scheibe schossen und, selten einmal, ein Rennen oder eine Hetzjagd in der Steppe abhielten. Die übrige Zeit gehörte dem Pokulieren, dem man sich wahrhaft großzügig in die Arme warf. So bot das Lager ein erstaunliches Bild: das Leben hier war ein ununterbrochnes Gelage, ein Fest, das lärmend angefangen hatte und dem das Ende abgeschnitten zu sein schien. Der und jener trieb wohl ein Handwerk, manche hatten Buden aufgeschlagen und spielten den Handelsmann; der größte Teil aber zechte vom Morgen bis zum Abend, solange das Geld in der Tasche klang und der Beuteanteil noch nicht ganz in die Klauen der Krämer und Schankwirte gewandert war. Dies ewige Gelage hatte etwas Bezauberndes. Das war keine Versammlung von Schnapsbrüdern, die ihren Gram versaufen, es war ganz einfach das ausgelassene Becherschwingen urfröhlicher Leute. Wer hierher kam, vergaß alsbald und ließ fahren, was ihn bisher erfüllt hatte. Er pfiff auf das Vergangene und gab sich der freien Kameradschaft von seinesgleichen hin, ein Zecher ohne Verwandte und ohne Heimat außer dem weiten Himmel und der ewigen Lust. Hieraus entsprang die unbändige Lebensfreude, die aus keiner andern Quelle hätte fließen können. Die Geschichten und Witze, die man sich, faul auf der Erde liegend, im Kreis der Genossen erzählte, waren oft so komisch und wurden mit solchem Saft und solcher Frische vorgebracht, daß man schon die ganze äußerliche Gelassenheit des Kosaken besitzen mußte, dabei ein steinern ernstes Gesicht zu zeigen und nicht einmal mit dem Schnauzbart zu zucken. So hälts der Südrusse noch heutzutage, und das ist ein Zug, der ihn scharf von seinen Brüdern aus andern Landstrichen unterscheidet. Es war eine trunkne, lärmende Fröhlichkeit, aber es mischte sich nichts vom Ton der gemeinen Kneipe hinein, wo in mühsam gezwungener Lustigkeit der Mensch sich selber vergißt; die Kosakenfröhlichkeit