Mirgorod. Nikolai Gogol

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Mirgorod - Nikolai Gogol

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Gewäsch des Lehrers zu lauschen, fünftausend Mann hoch zu Rosse stiegen und auf Abenteuer auszogen; statt der Spielwiese lag ringsum die große Steppe mit unbewachten, freien Grenzen, an denen höchstens einmal ein Tatar flüchtig seinen Kopf zeigte, oder ein grünbeturbanter Türke, ohne sich zu rühren, drohend herübersah. Statt sich, wie’s auf der Schule ist, gemeinsam einem fremden Willen zu beugen, waren diese Leute dem eignen Willen gefolgt, hatten Vater und Mutter und Elternhaus verlassen. Es gab welche, die schon den Strick um den Hals gespürt und statt des bleichen Todes das Leben gefunden hatten, das Leben in seinem tollsten Übermut, es gab welche, die nach Ritterbrauch keinen Groschen in ihrer Tasche halten konnten, es gab welche, die bisher einen Dukaten für ein Vermögen gehalten hatten, und denen man, dank den freundlichen Bemühungen der jüdischen Pächter, die Taschen umdrehen konnte, ohne befürchten zu müssen, daß etwas herausfiele. Hier fand man Seminaristen, die sich den akademischen Prügeln nicht hatten fügen wollen und die von der Schule kaum die Kenntnis eines Buchstabens mitbrachten; aber zugleich fand man hier Leute, die sich wohl auskannten im Horaz, im Cicero, in der Geschichte des römischen Staates. Hier fand man viele von den Offizieren, die später in den königlichen Heeren Ruhm gewannen; hier fand man eine Menge jener alten Parteigänger, die die edle Überzeugung hegten, es wäre ganz gleich, für wen man fechte, wenn man nur fechte, weil ein Leben in Frieden eines anständigen Menschen unwürdig sei. Gar mancher war auch im Lager, um dort gewesen zu sein und dadurch in den Geruch des tapfern Ritters zu kommen. Wen es nach kriegerischen Taten gelüstete, oder nach goldnen Bechern, kostbaren Brokaten, nach Dukaten und Realen, für den gab’s immer Arbeit. Bloß für Weiberhelden war hier kein Boden – nicht einmal in der Vorstadt des Lagers getraute sich je ein Frauenzimmer auch nur die Nase zu zeigen.

      Ostap und Andri dünkte es höchst merkwürdig, was für eine Menge Volkes ins Lager einzog, ohne daß irgendeiner darnach gefragt hätte, woher die Leute kämen, wer sie wären, und wie sie hießen. Sie kamen her, als kehrten sie in ihr eignes Haus zurück, das sie erst vor einer Stunde verlassen hätten. Der neue Gast meldete sich einfach beim Hetman, und der sagte:

      »Sei gegrüßt! Glaubst du an Christum?«

      »Ja!« gab der Neuling zur Antwort.

      »Und an den dreieinigen Gott glaubst du auch?«

      »Ja!«

      »Und du gehst in die Kirche?«

      »Ja!«

      »Also, dann schlag einmal das Kreuz!«

      Der Ankömmling bekreuzigte sich.

      »Ist schon gut«, sagte der Hetman, »such dir selber die Gemeinde aus, zu der du willst!«

      Und damit war die Zeremonie beendet. Das ganze Lager ging in die gleiche Kirche und war bereit, sie bis zum letzten Blutstropfen zu verteidigen, wenn der Kosak auch von Fasten und Kasteien nichts hören wollte. Habgierige Juden, Armenier und Tataren besaßen den Mut, in der Vorstadt zu hausen und Handel zu treiben. Reizen konnte sie das wohl, denn die Lagerbewohner feilschten nicht gern – soviel Geld einer auf gut Glück aus der Hosentasche zog, soviel warf er auch auf den Tisch. Übrigens hatten diese gierigen Krämer ein unsichres Los: sie glichen Leuten, die an den Hängen des Vesuvs Hütten bauen – hatten die Kosaken kein Geld mehr, so schlugen sie ihnen die Buden kurz und klein und nahmen sich, was sie brauchten, ohne zu zahlen.

      Das Lager bestand aus mindestens sechzig verschiednen Gemeinden, deren jede eine selbständige Republik darstellte, oder vielleicht noch eher so etwas wie eine Schule, wo die Kinder alles von der Leitung zugeteilt bekommen. Niemand schaffte sich etwas an und besaß Eigentum; alles unterstand dem Gemeindeältesten, den man deshalb auch »Vater« nannte. Er verwaltete das Geld, die Kleider, die Nahrungsmittel, Mehl, Grütze, sogar das Brennholz; jeder gab ihm sein Geld zur Aufbewahrung. Nicht eben selten gab es Streit zwischen den Gemeinden; und dann kam es ohne weiteres zur Rauferei. Man begab sich dazu auf den Gerichtsplatz und drosch so lange aufeinander los, bis eine Partei die Oberhand hatte; war es soweit, so wurde zum Abschluss ein großes Trinkgelage gehalten. Auf die Art verging die Zeit im Lager; solch ein Dasein hatte für junge Gemüter einen eignen Reiz.

      Ostap und Andri stürzten sich mit dem ganzen Feuer der Jugend in dieses Meer der Freuden und vergaßen mit einem Schlag Vaterhaus und Schule und alles, was sonst ihr Herz bewegt hatte. Das neue Leben füllte ihr Denken aus. Alles fesselte sie hier: die fröhlichen Bräuche des Lagers und seine knapp und bestimmt gefaßten Regeln und Gesetze, die sie für solch eine freie Republik manchmal beinah etwas streng dünkten: ließ sich ein Kosak auf Diebereien ein, stahl er auch nur eine wertlose Kleinigkeit, so galt das als Schmach für die ganze Kosakenschaft; er wurde als ehrloser Lump an den Schandpfahl gebunden, und neben ihm lag ein Knüppel, mit dem mußte ihm jeder, der des Weges kam, einen Hieb versetzen, bis er zu Tode geschlagen war. Wer eine Schuld nicht bezahlte, wurde in Ketten an eine Kanone geschmiedet und saß dort so lange, bis einer von den Kameraden sich bereit fand, ihn durch Bezahlung der Schuld zu befreien. Den tiefsten Eindruck aber gewann Andri von der furchtbaren Strafe, die den Totschläger traf. An dem Platz, wo man ihn griff, wurde alsbald eine Grube ausgehoben, man stieß den Mörder hinein, stellte den Sarg mit der Leiche seines Opfers auf ihn und schaufelte wieder zu. Lange Zeit ging Andri die Erinnerung an solch eine grausige Hinrichtung nach, lange noch schwebte ihm das Bild des mit dem Sarg zusammen lebendig Begrabenen vor Augen.

      Die beiden jungen Kosaken waren bald wohlgelitten bei den Kameraden. Oft zogen sie mit andern aus ihrer Gemeinde, manchmal auch mit der ganzen Gemeinde oder mit den Nachbargemeinden vereint, in die Steppe hinaus und schossen dort Mengen von Steppenvögeln, Hirschen und Rehen, oder sie fischten mit Netz und Angel in den Seen, Flüssen und Bächen, die den einzelnen Gemeinden durch das Los zugeteilt waren, und brachten reichen Fang für das Lager heim. Wurde das auch nicht zu den edeln Künsten gerechnet, in denen sich der richtige Kosak erprobt, sie konnten sich hier doch vor andern jungen Leuten durch Mut hervortun und dadurch, wie gut ihnen alles von der Hand ging. Geschickt und sicher schossen sie nach der Scheibe, sie durchschwammen den Dnjepr gegen den Strom – eine Leistung, für die man den Neuling schon feierlich in den Kreis der Kosaken aufnahm.

      Der alte Taras aber hatte andres mit ihnen im Sinn. Solch ein bummliges Leben war nicht nach seinem Geschmack – sie sollten richtig was lernen. Er ließ es sich durch den Kopf gehen: man müßte das Lager zu irgendeiner kecken Unternehmung aufstacheln, bei der seine Söhne sich tummeln könnten, wie sich’s für Ritter geziemt. Endlich ging er eines schönen Tages zum Hetman und sagte ihm gerade heraus:

      »Na, Hetman, findest du nicht, daß es Zeit war für einen fröhlichen Krieg?«

      Der Hetman nahm ruhig das Pfeifchen aus dem Mund und spuckte zur Seite.

      »Ja, das kannst du leicht sagen. Und gegen wen denn?« erwiderte er.

      »Dumme Frage! Gegen das Türkenpack oder das Tatarengesindel.««

      »Türkenpack und Tatarengesindel – ganz ausgeschlossen«, sagte der Hetman und schob die Pfeife wieder mit Seelenruhe zwischen die Zähne.

      »Was heißt denn: ausgeschlossen?«

      »Das heißt . . . Wir haben dem Sultan nun einmal den Frieden beschworen.«

      »Er ist doch ein Muselmann, Gott und die Heilige Schrift befehlen, gegen die Moslim zu kämpfen.«

      »Wir haben das Recht nicht dazu. Wenn wir es ihm nicht bei unserm Glauben zugelobt hätten, dann könnte es vielleicht noch zur Not sein, daß es ginge. So aber nicht! Es geht nicht.«

      »Was heißt: es geht nicht? Was redest du da: wir haben kein Recht? Und ich hab zwei Söhne, zwei junge Burschen. Ist noch keiner von ihnen ein einziges Mal im Krieg gewesen, und du sagst, wir haben kein Recht? Und du sagst, die Kosaken sollen

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