Das Leben des Giacomo Casanova und seine frivolen erotischen Abenteuer - Teil 1. Giacomo Casanova
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Vater Mancia
Vater Mancia
Am andern Morgen war die ganze Familie untröstlich; denn der Teufel, von dem Bettina besessen war, hatte sich ihrer Vernunft bemächtigt. Der Doktor sagte mir, sie müsse doch wohl besessen sein, denn allem Anschein nach hätte sie als Wahnsinnige den Vater Prospero nicht so schlecht behandeln können. Er entschloss sich, sie dem Vater Mancia anzuvertrauen.
Dies war ein als Teufelsbeschwörer berühmter Jacobiner (also vom Dominikanerorden), der im Rufe stand, dass seine Kraft noch niemals bei einem behexten Mädchen versagt hätte.
Es war Sonntag. Bettina hatte gut gegessen und war den ganzen Tag verrückt gewesen. Gegen Mitternacht kam ihr Vater nach Hause, nach seiner Gewohnheit den Tasso singend und so betrunken, dass er nicht mehr grade stehen konnte. Er trat an Bettinas Bett, umarmte sie zärtlich und sagte: „Du bist nicht verrückt, mein Kind.“
Sie antwortete ihm: „Du bist nicht betrunken.“
„Du bist besessen, mein liebes Kind.“
„Ja, Vater; und Ihr seid der einzige, der mich heilen kann.“
„Gut; ich bin dazu bereit.“
Hierauf beginnt unser Schuster wie ein Theologe zu sprechen, er redet über die Kraft des Glaubens und des Vatersegens. Er wirft seinen Mantel ab, nimmt ein Kruzifix in die eine Hand, legt die andere seiner Tochter auf den Kopf und beginnt so komisch mit dem Teufel zu reden, dass sogar seine dumme, sonst immer traurige und zänkische Frau vor Lachen sich den Bauch halten muss. Die einzigen, die nicht lachten, waren die beiden Handelnden, und grade ihr Ernst machte die Szene noch spaßhafter. Ich bewunderte Bettina, die sonst überaus lachlustig war und doch jetzt die Selbstüberwindung besaß, ganz ruhig zu bleiben. Doktor Gozzi lachte auch, wünschte aber doch, dass die Posse ein Ende nehme, denn ihm schien, der Unsinn, den sein Vater redete, wäre zugleich eine Verhöhnung der heiligen Teufelsbeschwörung. Der Teufelsbanner wurde wohl schließlich müde; er ging zu Bett, indem er sagte, er sei gewiss, dass der Teufel seine Tochter die ganze Nacht in Ruhe lassen würde.
Am andern Tage kam in dem Augenblick, wo wir vom Tisch aufstanden, Pater Mancia. Der Doktor und die ganze Familie führten ihn ans Bett der Kranken. Ich hatte so viel zu tun, den Mönch anzuschauen, dass ich gewissermaßen ganz außer mir war. Hier sein Porträt:
Von Wuchs war er groß und majestätisch, sein Alter mochte etwa dreißig Jahre sein, er hatte blonde Haare und blaue Augen. Seine Gesichtszüge glichen denen des Apollo von Belvedere, nur fehlten die Merkzeichen des Siegesbewusstseins und der Anmaßung. Seine Haut war blendend weiß, und er war daher sehr blass; aber diese Blässe schien nur dazu da zu sein, um das Korallenrot seiner Lippen zu heben, die, wenn sie sich öffneten, zwei Perlenreihen sehen ließen. Er war weder mager noch fett, und die Traurigkeit seiner Miene erhöhte noch deren Sanftheit. Er ging langsam, sein Gesichtsausdruck war schüchtern, was darauf schließen ließ, dass er bescheidenen Geistes sei.
Als wir eintraten, schlief Bettina oder tat wenigstens so. Vater Mancia nahm zunächst einen Weihwedel und besprengte sie mit Wasser. Sie öffnete die Augen, sah den Mönch an und schloss sie sofort wieder; bald aber schlug sie sie wieder auf, sah ihn etwas genauer an, legte sich auf den Rücken, ließ ihre Arme herabsinken, neigte lieblich das Köpfchen zur Seite und überließ sich einem Schlummer, der allem Anschein nach überaus süß war.
Der Teufelsbeschwörer zog aus der Tasche Ritual und Stola, die er sich um den Hals hing; hierauf legte er der Schlafenden eine Reliquie auf die Brust und bat uns mit der Miene eines Heiligen, wir möchten alle niederknien, um Gott zu bitten, dass er ihm offenbare, ob die Kranke besessen oder von einer natürlichen Krankheit befallen sei. In dieser Stellung ließ er uns eine halbe Stunde verharren, wobei er ununterbrochen mit leiser Stimme las. Bettina rührte sich nicht.
Schließlich wurde er, glaube ich, müde, diese Rolle zu spielen; er bat den Doktor, ihn unter vier Augen anzuhören. Sie traten in die Kammer, aus der sie eine Viertelstunde später wieder zum Vorschein kamen, als die Tolle ein lautes Gelächter ausstieß. Sobald sie sie eintreten sah, drehte sie ihnen den Rücken zu. Vater Mancia lächelte, tauchte den Wedel zu wiederholten Malen in den Weihwasserkessel, besprengte uns alle reichlich mit dem heiligen Nass und ging.
Der Doktor sagte uns, er werde am nächsten Tage wiederkommen und habe sich anheischig gemacht, sie in drei Stunden zu erlösen, wenn sie besessen sei; wenn sie aber wahnsinnig sei, so könne er nichts versprechen. Die Mutter rief, sie sei gewiss, dass er Bettina erlösen werde, und sie danke Gott für die Gnade, vor ihrem Tode einen Heiligen gesehen zu haben.
Am nächsten Tage war Bettinas Verrücktheit wirklich prachtvoll. Sie hielt die verrücktesten Reden, wie kein Dichter sie je ersinnen könnte, und hörte damit auch nicht auf, als der schöne Teufelsbanner hereinkam; er gönnte sich den Genuss eine Viertelstunde lang, dann legte er seinen vollen Ornat an und bat uns hinauszugehen. Wir gehorchten augenblicklich, und die Tür blieb offen. Aber was sollte das besagen? Wer hätte die Kühnheit besessen, hineinzugehend?
Drei volle Stunden lang hörten wir keinen Ton. Totenstille! Um zwölf Uhr rief der Mönch, und wir traten ein. Bettina lag traurig und ganz ruhig da, während der Mönch seine Sachen zusammenpackte. Als er ging, sagte er, er habe Hoffnung, und bat den Doktor, ihm Nachricht zukommen zu lassen. Bettina speiste zu Mittag in ihrem Bett, aß abends mit uns am Tisch und war am nächsten Tage ganz vernünftig. Da geschah aber etwas, was mich in meinem Glauben bestärkte, dass sie weder wahnsinnig noch besessen sei.
Es war am Tage vor Mariä Reinigung (Lichtmess). Der Doktor ließ uns gewöhnlich in der Pfarrkirche das Abendmahl nehmen; zur Beichte aber führte er uns in die Augustinerkirche, wo der Gottesdienst von den Jacobinern von Padua abgehalten wird. Bei Tisch sagte er uns, wir sollten uns darauf einrichten, am anderen Tage hinzugehen. Da sagte seine Mutter: „Ihr solltet alle beim Vater Mancia zur Beichte gehen, damit ihr von diesem heiligen Mann eurer Sünden ledig gesprochen werdet; ich gedenke auch zu ihm zu gehen.“ – Cordiani und die beiden Feltrini erklärten sich bereit; mir aber missfiel der Vorschlag. Ich sagte zwar nichts, aber ich war fest entschlossen, die Ausführung desselben zu verhindern.
Ich glaubte an das Beichtsiegel und war nicht imstande, ein falsches Bekenntnis abzulegen; da ich aber wusste, dass es mir freistand, mir meinen Beichtiger zu wählen, so wäre ich sicherlich niemals so naiv gewesen, dem Pater Mancia zu sagen, was zwischen mir und einem Mädchen vorgefallen wäre; denn er hätte mühelos erraten müssen, dass dieses Mädchen nur Bettina sein konnte. Übrigens war ich sicher, dass Cordiani ihm alles sagen würde, und dies ärgerte mich gewaltig.
Am anderen Morgen in aller Frühe brachte Bettina mir einen Halskragen und übergab mir einen Brief, worin es hieß:
„Hassen Sie mein Leben, aber schonen Sie meine Ehre und gönnen Sie mir das bisschen Frieden, wonach ich mich sehne. Niemand von Euch darf morgen beim Vater Mancia beichten. Sie sind der einzige, der die bestehende Absicht zum Scheitern bringen kann, und ich brauche Ihnen das Mittel dazu nicht erst anzudeuten. Ich werde sehen, ob es wahr ist, dass Sie Freundschaft für mich hegen!“
Das arme Mädchen tat mir unbeschreiblich leid, als ich dieses Briefchen las. Trotzdem antwortete ich ihr folgendes:
„Ich begreife, dass trotz der Unverletzbarkeit des Beichtsiegels das Vorhaben Ihrer Mutter Sie beunruhigen muss;