Niemand wollte uns haben.. Brigitte Jäger-Dabek
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Brigitte Jäger-Dabek
Niemand wollte uns haben.
Ostpreußen 1945 - Tagebuch einer Flucht
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Inhaltsverzeichnis
Letze Tage in Ostpreußen - Der Sturm zieht auf
Flucht-Tagebuch von Rosemarie Zander
Flüchtlingsodyssee - Niemand wollte uns haben
Vorwort
Dies ist die Geschichte einer Flucht aus Ostpreußen und steht stellvertretend für die Geschichten von Millionen ostpreußischen Frauen und Kindern, die im Januar 1945 auf Flucht gingen.
Es ist die Geschichte meiner Mutter, die gerade 21 Jahre alt, ganz auf sich allein gestellt war, zu Fuß von Königsberg über Pillau und die Frische Nehrung nach Danzig ging und zunächst nach Köslin weiter floh. Von dort flüchtete sie mit ihrer Mutter und Schwester weiter nach Westdeutschland an die Unterelbe. Wenig später wurde sie zunächst zum Alleinverdiener für die Familie, genau wie schon ihre zu jener Zeit 1914 ungefähr gleich alte Mutter während der Flucht im Ersten Weltkrieg.
Verwendet wurde das Fluchttagebuch, das nur aus kurzen Eintragungen besteht, zuweilen eher stichpunktartig. Anders war das in einer solchen existenziellen Ausnahmeerfahrung, in der es um nichts als das Überleben ging, auch gar nicht möglich. Gerade deshalb ist es besonders eindringlich und trotzdem vergleichsweise emotionslos. Es ist unbestechlich, denn es hält das Geschehen in Echtzeit fest, nicht in der Rückschau.
Ergänzt wurden die Tagebuchtexte von in kursiver Schrift kenntlich gemachten Erklärungen und Anmerkungen, die das Erlebte einer Zeitzeugin in den historischen Kontext der Entwicklung in Ostpreußen stellt und so einen überprüfbaren Zeitzeugenbericht liefert.
Weil man ja auch wissen möchte, wie es weiter ging, stellt ein abschließendes Kapitel den Neuanfang im Norden Westdeutschlands dar.
Brigitte Jäger-Dabek
† Rosemarie Jäger geb. Zander zum Gedenken
Die Flucht von Rosemarie Jäger von Insterburg über Königsberg nach Köslin
Foto: Karte © Brigitte Jäger-Dabek
Letze Tage in Ostpreußen - Der Sturm zieht auf
Die Zanders lebten in Insterburg, einer 40.000-Einwohnerstadt im Norden Ostpreußens, die genau dort lag, wo Angerapp und Inster sich zum Pregel vereinten. Karl und Anna Zander waren seit 1920 verheiratet und hatten zwei Töchter, die 1923 geborene Rosemarie und die 1930 geborene Helga. Anna Zander war Hausfrau, Karl Zander leitete die Lohnbuchhaltung der Insterburger Stadtwerke. Die Kleinfamilie war eingebettet in einen großen Verwandtenkreis, Karl Zander hatte vier Geschwister, Anna Zander, die Älteste unter den Sallowsky-Geschwistern, hatte fünf Schwestern und einen Bruder. Vor allem die Sallowsky-Schwestern waren eine Riege von außergewöhnlichen Frauen, stark, duchsetzungsfähig und lebensfroh. Man war gesellig, traf sich oft und feierte gern zusammen. In diesem Umfeld wuchs Rosemarie heran.
Foto: Ansichtskarte, gemeinfrei, Archiv B.Jäger-Dabek
Rosemarie Zander - jung wie sie war – zeigte sich trotz aller Indoktrination nicht als Anhängerin des Nazireiches. Von der gleichgeschalteten Volksgemeinschaft, die wie gleichzeitig an Fäden gezogen „Heil“ brüllte und den Arm hochriss, hielt sie nichts, vom Bund Deutscher Mädel noch weniger. Ihre Freiheit ließ sie sich freiwillig nicht einengen und schon ihre Sportverletzung am Knie vor und erfand immer neue Ausreden, um nicht zum BDM zu müssen. Der Preis: Weiter lernen und Lehrerin werden durfte sie nicht. Karl Zander gelang es, nach langen Suchen über einen Bekannten, seine Tochter in der Bank der Ostpreußischen Landschaft unterzubringen.
Als frisch gebackene Bankkauffrau lebte Rosemarie Zander nun weiter mit ihrer sieben Jahre jüngeren Schwester Helga bei ihren Eltern Anna und Karl Zander in Insterburg/Ostpreußen, als im Herbst 1944 die Front anfing unaufhaltsam näher zu rücken. Der Anfang vom Ende Ostpreußens nahte, als die Rote Armee erstmals die Reichsgrenze überschritt und ostpreußischen Boden betrat. Längst war am Horizont im Osten der große Sturm aufgezogen, als die ersten Flüchtlinge kamen.
Zum ersten Mal beschlich Rosemarie ein mulmiges Gefühl, als am Freitag, den 20.10.1944 viel zu spät der Räumungsbefehl für den Kreis Gumbinnen kam, und eine planlose Flucht einsetzte. Viele Gumbinner stürmten auch in die Bank der Ostpreußischen Landschaft in Insterburg und versuchten an ihr Geld zu kommen. Sie erzählten natürlich von ihren Erlebnissen, das mulmige Gefühl wurde intensiver, Angst kroch kalt den Rücken hoch. Noch einmal traf sie sich mit ihrem Fast-Schwiegervater, einem pensionierten Lehrer aus Gumbinnen. Sie wollte den Vater ihres gefallenen Verlobten dazu bewegen, Ostpreußen zu verlassen, doch nach dem Tod des einzigen Sohnes und dem folgenden Selbstmord der Ehefrau wollte er einfach nicht mehr. Er hatte keine Angst vor den Machthabern, sowohl er, als auch Rosemaries Verlobter hatten die junge Frau immer wieder um Vertrauen gebeten, wenn sie ihr manche Dinge zu ihrem eigenen Schutz verschwiegen. So sprachen die beiden nun ein letztes Mal ganz offen miteinander.
Als am 18.10. Hitlers Aufruf zum Volkssturm an alle waffenfähigen Männer im Alter von 16 bis 60 Jahren erfolgte, betraf das auch Rosemaries Vater Karl Zander, der zwischenzeitlich über 50-jährig von der Wehrmacht entlassen worden war. Er hatte keine Uniform mehr und bekam zu seinem Entsetzen bekam eine "Goldfasanuniform" mit allerdings schönen Stiefeln und einer bombastischen Mütze verpasst. Er beneidete Schwager Leo Sallowsky, der zwar ebenfalls zum Volkssturm eingezogen war, aber die lächerliche Seite der Angelegenheit betonte. Leo Sallowsky nämlich war recht beleibt, kein Uniformstück passte und so exerzierte er im Fleischerkittel, das Gewehr, für das es ohnehin keine Munition gab, benutzte er als Krückstock, denn er hatte war gehbehindert seit dem vorigen Weltkrieg.